Von: mk
Bozen – Werden die Prozesse gegen Pestizidkritiker in Südtirol eingestellt? Um diese Frage zu klären, hatte Richter Ivan Perathoner den Klägern eine Frist bis zum heutigen Prozesstag eingeräumt. Landesrat Arnold Schuler und die Obstwirtschaft hatten im Vorfeld des zweiten Prozesstermins gegen Bär dem Umweltinstitut gegenüber schriftlich die Rücknahme aller Anzeigen angekündigt, bis heute jedoch nicht alle Vollmachten der klagenden Obstbauern und -bäuerinnen liefern können. Angesichts der angespannten Corona-Situation haben Beklagte und Richter nun einer Verlängerung der Frist bis zum 14. Januar 2021 zugestimmt.
Der Südtiroler Prozess wegen übler Nachrede gegen Karl Bär, den Agrarreferenten des Umweltinstituts München, wurde vom zuständigen Richter Ivan Perathoner heute in Bozen auf den 14. Januar verschoben. Der Angeklagte akzeptierte diese erneute Verschiebung des ersten Verhandlungstags. In Verhandlungen mit dem Umweltinstitut im Vorfeld des heutigen Prozesstermins hatten Landesrat Schuler und die Südtiroler Obstwirtschaft die Rücknahme aller Anzeigen zugesagt. Die dafür gesetzte Frist bis zum heutigen Freitag konnte Landesrat Schuler jedoch unter anderem aufgrund der erschwerten Corona-Lage in Südtirol nicht einhalten.
„Landesrat Schuler scheint verstanden zu haben, dass ein Prozess kein angemessenes Mittel ist, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Wir glauben aber erst an ein Ende des Prozesses, wenn auch die letzte Anzeige zurückgezogen wurde. Wir können nachvollziehen, dass die Pandemie das Sammeln der Vollmachten erschwert, deshalb haben wir der Fristverlängerung zugestimmt. Aber wenn es nun in der zweiten, vom Gericht gesetzten Frist wieder nicht klappt, müssen wir davon ausgehen, dass es sich um ein Täuschungsmanöver handelt. Es wird sich zeigen, ob Landesrat Schuler an einer konstruktiven Lösung interessiert ist oder nur den Prozess verzögern und aus der Öffentlichkeit nehmen möchte“, erklärt Karl Bär, Agrarreferent des Umweltinstituts München.
Bär hatte am 18. November der Gegenseite per Brief ein Angebot unterbreitet. Darin zeigte sich das Umweltinstitut bereit, die Auswertung der Betriebshefte über den Einsatz von Pestiziden in Südtirol auf einer Veranstaltung mit den Obstgenossenschaften und der Landesregierung Südtirols zu veröffentlichen und zu diskutieren. Landesrat Schuler und Vertreter der Obstwirtschaft akzeptierten dieses Angebot und kündigten eine Rücknahme aller Anzeigen und der Nebenklägerschaft an. Den Brief von Bär ließ Rechtsanwalt Nicola Canestrini heute vor Gericht zu den Akten legen.
Den Anzeigen von Arnold Schuler gegen Bär und den österreichischen Buchautor Alexander Schiebel (“Das Wunder von Mals”) wegen übler Nachrede hatten sich im Jahr 2017 mehr als 1300 Landwirtinnen und Landwirte aus Südtirol angeschlossen. Um die Verfahren wegen übler Nachrede gegen Bär und Schiebel einzustellen zu können, werden Vollmachten von all diesen Personen benötigt. Die Anwälte konnten bisher allerdings erst 1320 der benötigten 1376 Vollmachten vorweisen.
“Die Öffentlichkeit wurde heute aus dem Saal ausgeschlossen, nur einem Journalistem wurde Eingang erlaubt: Journalistinnen und Journalisten muss auch in Pandemiezeiten erlaubt werden, ihrer in einem Rechtsstaat unentbehrlichen Funktion als ‘watchdogs of democracies’ nachzugehen. Was den Prozess angeht, warten wir gespannt, ob die Gegenseite die von ihr geöffnete Büchse der Pandora wieder schließen wird. Aber selbst wenn die Anklagen gegen Bär und Schiebel übler Nachrede zurückgezogen werden sollten, läuft das Verfahren gegen Karl Bär wegen angeblicher Markenfälschung weiter. Es handelt sich um ein Offizialdelikt, das von Staats wegen auch ohne Kläger weiterverfolgt wird. Der Angriff auf die Meinungsfreiheit in Südtirol wäre also leider nach wie vor nicht beendet”, erklärt Nicola Canestrini, Rechtsanwalt von Bär und Schiebel.
Anlass der Klage gegen Karl Bär vom Umweltinstitut München war die provokative Kampagne „Pestizidtirol“ im Sommer 2017. In deren Rahmen platzierte die Münchner Umweltorganisation ein Plakat in der bayerischen Hauptstadt, das eine Tourismus-Marketing-Kampagne für Südtirol satirisch verfremdete. Zusammen mit einer Website hatte die Kampagne zum Ziel, auf den hohen Pestizideinsatz in der beliebten Urlaubsregion aufmerksam zu machen. Für den Text auf der Website steht Bär seit September in Bozen vor Gericht. Parallel läuft ein Verfahren wegen erschwerter übler Nachrede gegen den österreichischen Autor Alexander Schiebel, der in seinem Buch „Das Wunder von Mals“ den Pestizideinsatz in Südtirol anprangert. Der Prozess gegen Schiebel beginnt am 14. Januar 2021. Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen in Zivilverfahren.