Regierungschef Donald Tusk berief Sondersitzung ein

Polen schießt Drohnen ab und ruft NATO auf den Plan

Mittwoch, 10. September 2025 | 17:18 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters/PAP/AFP

Polen hat nach Regierungsangaben mehrere Drohnen abgeschossen, die während eines russischen Angriffs auf die Ukraine am Mittwoch in den Luftraum des NATO-Staats eingedrungen sind. Es ist der erste bekannte Fall, bei dem ein Mitglied des westlichen Militärbündnisses seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Schüsse abgefeuert hat. “Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg standen wir einem offenen Konflikt so nah”, sagte Ministerpräsident Donald Tusk im Parlament.

Die politische Lage habe sich verändert. Er habe daher Konsultationen der NATO-Verbündeten beantragt. Tusk berief sich dabei auf Artikel vier des Bündnisvertrags, der Beratungen der Militärallianz vorsieht, wenn sich eines ihrer Mitglieder bedroht sieht. Mehrere führende Politiker aus dem Westen warfen Russland eine Eskalation vor und erklärten sich demonstrativ solidarisch mit Polen.

Tusk zufolge handelte es sich um russische Drohnen. Insgesamt sei der polnische Luftraum in der Nacht 19 Mal verletzt worden. Ein großer Teil der Drohnen sei von Belarus aus eingedrungen. Das Land ist einer der engsten Verbündeten Moskaus und grenzt wie die Ukraine an Polen. An dem Abwehreinsatz waren einem Insider zufolge polnische F-16-Kampfjets, niederländische F-35-Maschinen, italienische AWACS-Aufklärungsflugzeuge sowie gemeinsam von der NATO betriebene Tankflugzeuge beteiligt. Nach Angaben des polnischen Innenministeriums wurden bis Mittag an verschiedenen Orten sieben Drohnen sowie Trümmerteile einer Rakete gefunden. Die Herkunft der Objekte sei noch nicht geklärt. Opfer gab es nach polnischen Angaben keine.

“Wir haben es mit einer großangelegten Provokation zu tun”, erklärte Tusk. “Wir sind darauf vorbereitet, solche Provokationen abzuwehren. Die Lage ist ernst, und wir müssen uns ohne Zweifel auf verschiedene Szenarien vorbereiten.” Das polnische Militärkommando bezeichnete den Vorfall als einen “Akt der Aggression” und sprach von einer “realen Bedrohung” für die Bevölkerung. Mehrere Flughäfen, darunter der internationale Airport Chopin in der Hauptstadt Warschau, stellten ihren Verkehr vorübergehend ein, bevor das Militär den Einsatz am Vormittag für beendet erklärte. Die Bevölkerung insbesondere im Grenzgebiet wurde während des Vorfalls aufgefordert, aus Sicherheitsgründen zu Hause zu bleiben.

Polens Direktor für internationale Sicherheitspolitik, Marcin Kazmierski, bei einem Treffen der E5-Verteidigungsminister in London, sein Land hoffen auf konkrete Unterstützung der Verbündeten. Das sagte . Zu der Gruppe gehören neben Deutschland und Großbritannien auch Frankreich, Italien und Polen.

Polnische Darstellung für Moskau Mythos

Das russische Außenministerium erklärte, das Verteidigungsministerium habe Darstellungen als Mythos entlarvt, Drohnen absichtlich in polnisches Gebiet gelenkt zu haben. Das Verteidigungsministerium habe zwar einen Großangriff auf militärische Einrichtungen in der Westukraine ausgeführt, es habe aber keine Pläne gegeben, Ziele in Polen zu treffen. Man sei zu Gesprächen mit der polnischen Seite bereit, um den Vorfall zu klären, kündigte das Außenministerium an.

Der polnische Vize-Ministerpräsident Krzysztof Gawkowski warf Moskau und Belarus vor, in seinem Land eine Desinformationskampagne zu dem Drohnen-Vorfall gestartet zu haben. Der Einflug von Drohnen in den polnischen Luftraum sei eine von Russland geplante Aktion gewesen, betonte Gawkowski. Russland hatte kurz zuvor erklärt, keine Angriffe auf Ziele in Polen geplant zu haben. Das Militär des eng mit Russland verbündeten Belarus teilte seinerseits mit, vom Kurs abgekommene Drohnen abgeschossen zu haben. Zudem habe Belarus Polen und Litauen über den Anflug von Drohnen informiert.

Seit Beginn des Krieges im Februar 2022 kam es vereinzelt vor, dass russische Raketen oder Drohnen in den Luftraum von Nachbarländern der Ukraine eindrangen. Dies geschah jedoch nie in einem solchen Ausmaß, und von Abschüssen wurde bisher nichts bekannt. 2022 starben in Polen zwei Menschen durch eine fehlgeleitete ukrainische Flugabwehrrakete.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach nach dem Vorfall am Mittwoch von “einem weiteren Eskalationsschritt”. Insgesamt habe Russland in der Nacht diesmal 415 Drohnen und 40 Raketen gegen die Ukraine eingesetzt. Mindestens acht der vom Iran hergestellten Drohnen seien auf Polen gerichtet gewesen. Es habe sich nicht um ein Versehen gehandelt. “Das ist ein extrem gefährlicher Präzedenzfall für Europa.” Nötig sei eine starke und gemeinsame Reaktion “der Ukraine, Polens, aller Europäer und der USA”.

Drohnen sind “Game-Changer”

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sieht das mutmaßlich absichtliche russische Eindringen in den Luftraum Polens als eine Art Zäsur, die nicht folgenlos bleiben darf. “Was in Polen passiert ist, ist ein Game-Changer”, sagte Kallas im Gespräch mit Journalisten aus Brüssel. Man müsse nun sehr stark und entschlossen reagieren. Sie prüfe derzeit auch die Option, die europäischen Verteidigungsminister und Außenminister zu Beratungen über Handlungsoptionen einzuberufen.

Zur möglichen Motivation Russlands sagte Kallas, Kremlchef Wladimir Putin wolle die Europäer offensichtlich testen und zeigen, dass er Dinge wie diese einfach tun könne. Er werde dabei jedes Mal dreister, weil die bisherigen Reaktionen nicht stark genug gewesen seien.

Als Ansatzpunkt für eine entschlossene Reaktion der EU nannte Kallas den bereits laufenden Planungsprozess für das mittlerweile 19. Paket mit EU-Russland-Sanktionen. Er soll in den kommenden Tagen in einem konkreten Vorschlag der EU-Kommission für Rechtsakte münden. Diese müssten dann noch von den Regierungen der Mitgliedstaaten angenommen werden. Kallas sagte, das neue Paket müsse aus ihrer Sicht sehr stark werden. Grund sei, dass es nicht nur um die Ukraine, sondern auch um die EU gehe.

Trump will mit Polens Präsidenten telefonieren

US-Präsident Donald Trump will mit dem polnischen Präsidenten Karol Nawrocki telefonieren. “Präsident Trump und das Weiße Haus verfolgen die Berichte aus Polen, und es gibt Pläne, dass Präsident Trump heute mit Präsident Nawrocki sprechen wird”, sagte ein Vertreter des Weißen Hauses. Trump hatte Nawrocki vor einer Woche im Weißen Haus empfangen und ihm Unterstützung für die Sicherheit Polens zugesichert.

Wien steht “an der Seite Polens”

Bundeskanzler Christian Stocker sprach von einer “ernsthaften und inakzeptablen Eskalation”. “Wir stehen in voller Solidarität an der Seite Polens”, postete der Kanzler auf X. Für Außenministerin Beate Meinl-Reisinger ist der Vorfall “inakzeptabel.” “Putin dreht immer weiter an der Eskalationsspirale und zeigt der gesamten Welt, dass er kein Interesse an Frieden hat”, reagierte die Außenministerin. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner schrieb auf X, dass es nun wichtig sei, “besonnen zu reagieren und die Lage nicht militärisch weiter eskalieren zu lassen”.

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