Antrag der Demokratischen Partei

Sensibles Thema im Landtag: Ärztlich assistierter Suizid

Mittwoch, 07. Juni 2023 | 13:24 Uhr

Bozen – Der Landtag hat sich heute mit einem kontroversen Tagesordnungspunkt befasst.

Behandelt wurde der Beschlussantrag Nr. 711/23 Ärztlich assistierter Suizid (eingebracht vom Abgeordneten Repetto am 17.05.2023) behandelt: Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, A. dem an alle Präsidenten der Regionen gerichteten Schreiben des Gesundheitsministers Roberto Speranza vom 20. Juni 2022, in dem dieser darauf hinweist, dass die Einrichtungen des staatlichen Gesundheitsdienstes aufgefordert sind, das Urteil des Verfassungsgerichtshofs in allen Punkten umzusetzen, konkrete Maßnahmen folgen zu lassen; in besagtem Schreiben wird zudem präzisiert, dass die medizinischen Kosten, die auf den ärztlich assistierten Suizid von Patienten mit irreversiblen Erkrankungen und unerträglichen Schmerzen zurückzuführen sind, nach Abschluss der den staatlichen Gesundheitseinrichtungen anvertrauten Überprüfungsverfahren, zulasten des staatlichen Gesundheitsdienstes gehen müssen; B. dafür zu sorgen, dass die Aufnahme dieser gesetzeskonformen Dienstleistung in die Grundversorgung als wesentlichen Betreuungsstandard erfolgt, wie dies für die Regionen und die Autonome Provinz Bozen vorgesehen ist, zumal es laut Gesundheitsministerium offensichtlich ist, dass die Kosten des ärztlich assistierten Suizids nicht von den Patienten getragen werden können, die sich gemäß dem vom Verfassungsgerichtshof vorgegebenen Verfahren an den staatlichen Gesundheitsdienst gewandt haben; C. festzulegen, welche Gesundheitseinrichtungen für die Umsetzung der Verfahren zuständig sind; D. sich für die Festlegung eines klaren Auswahlverfahrens zur Bestellung der Ethikkommission einzusetzen, die eine Stellungnahme abzugeben hat und der ein Palliativmediziner angehören muss, der prüfen soll, ob alles nur Mögliche unternommen wurde, um das Leid der Patienten zu lindern.

Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) unterstrich, dass es sich hier um ein sensibles Thema handle. Auf nationaler Ebene sei in den vergangenen Jahren rund um den ärztlich assistierten Suizid einiges passiert: Die Richter des Verfassungsgerichtshofs hätten einen spezifischen Bereich ausgemacht, in dem die strafrechtliche Ahndung aufgrund von Beihilfe zum Suizid gemäß Artikel 580 des Strafgesetzbuchs nicht verfassungskonform sei. Dabei gehe es um die Fälle, in denen Personen Beihilfe zum Suizid geleistet wird, die an einer irreversiblen Krankheit leiden, welche unerträgliches körperliches oder psychisches Leid verursacht, und die dank lebenserhaltender Behandlungen – wie zum Beispiel der künstlichen Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung – weiter am Leben gehalten werden, und voll und ganz in der Lage seien, freie und bewusste Entscheidungen zu treffen. Gemäß dem Staatsgesetz zur Patientenverfügung könnten Personen, die diese Voraussetzungen erfüllen, entscheiden, sich sterben zu lassen; sie könnten die Unterbrechung der lebenserhaltenden Maßnahmen beantragen und sich einer kontinuierlichen starken Sedierung unterziehen, die sie bis zum Zeitpunkt des Todes in einen Zustand der Bewusstlosigkeit versetzt. Diese Entscheidung müsse auch der Arzt respektieren.

Das Gesetz erlaube es dem Arzt jedoch nicht, den Patienten Behandlungen zukommen zu lassen, die zum Tod führten. Um sterben zu können, seien die Patienten also gezwungen, einen längeren Weg auf sich zu nehmen, der auch für die Angehörigen äußerst schmerzvoll sein könne. Der Verfassungsgerichtshof sei zu dem Schluss gelangt, dass diese Diskriminierung zu beseitigen sei. Dazu sei im Gesetz über die Patientenverfügungen ein „Bezugspunkt“ festgemacht worden, auf den man sich bezüglich des Verzichts auf die für das Überleben der Patienten erforderlichen Behandlungen und der Gewährleistung einer angemessenen Schmerztherapie und Palliativversorgung zurückgreifen könne. Zudem hätten die Verfassungsrichter festgestellt, dass die Überprüfung der Voraussetzungen für den assistierten Suizid, damit diese Beihilfe als legal erachtet werden kann, und der Art und Weise, in der diese durchgeführt wird, bis zur Verabschiedung entsprechender Gesetzesbestimmungen weiterhin den öffentlichen Einrichtungen des staatlichen Gesundheitsdienstes anvertraut werden sollte. Das Urteil lege demnach bestimmte Voraussetzungen für den Zugang zur ärztlich assistierten Selbsttötung fest und schreibe weiters vor, dass der staatliche Gesundheitsdienst die Überprüfung dieser Bedingungen und der Modalitäten für die Einnahme eines Medikaments durchführen soll, damit ein möglichst schneller, schmerzfreier und würdiger Tod gewährleistet werden kann. Im Rahmen der Zuständigkeit der Regionen und folglich der Autonomen Provinz Bozen, sei es notwendig, die vom Verfassungsgerichtshof durch ein unmittelbar vollstreckbares Urteil beschriebenen Aufgabenbereiche, Fristen und Verfahren festzulegen, unbeschadet der Notwendigkeit eines Staatsgesetzes, das die heute bestehende Diskriminierung zwischen Patienten abschaffen soll. Es handle sich beim Thema ärztlich assistierter Suizid um ein ethisches Problem, das aber angegangen werden müsse; dazu gebe es verschiedene Zugänge. Er bat um Annahme des Antrages, um damit ein Zeichen zu setzen.

Auch Franz Ploner (Team K) verwies auf die Diffizilität des Themas. Vom Verfassungsgerichtshof sei der klare Auftrag ans Parlament gegangen, den Art. 580 des Strafgesetzbuches entsprechend zu ändern. Er selbst, so der Abgeordnete, wolle von selbstbestimmten Sterben sprechen, nicht von ärztlich assistiertem Suizid. Doch in Art. 580 stehe nach wie vor klar drin, dass ein Arzt, der in welcher Form auch immer assistiere, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könne. Die Autonomie des Menschen stehe aber höher als die medizinische Leistung, das stehe auch in Art. 32 der Verfassung. Er sei der Meinung, dass es höchste Zeit wäre, den Art. 580 zu revidieren. Es gebe in Südtirol die ethischen Beratungen. Man werde den Antrag mittragen.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) sagte, man habe in der Coronazeit gesehen, der vom Abg. Ploner zitierte Verfassungsartikel wert sei. Jeder, der Medizin studiere, wolle ein Leben retten, nicht eines beenden. Was aber nicht bedeute, dass man nicht begleiten könne. Die Frage sei, ab wann ein Leben nicht mehr lebenswert sei. Er berichtete von einem Beispiel einer Bekannten, die nach einer Bauchspeichelkrebserkrankung in die Schweiz gegangen sei, um dort zu sterben – zu einem Zeitpunkt, an dem es ihr noch gut gegangen sei; dies habe die Angehörigen belastet. Knoll beantragte eine getrennte Abstimmung der beschließenden Punkte, da es eine ethische, breite Diskussion brauche, bevor es die Einrichtung eines Zentrums geben solle.

Brigitte Foppa (Grüne) verwies zunächst auf persönliche Erfahrungen und auf eine Ausbildung, die sie derzeit mache. Ein großer Teil der Selbstbestimmung gehe durch die derzeitigen Regelungen verloren. Die Selbstbestimmung im Angesicht von Todesnähe und großer Schmerzen aufgeben zu müssen, stelle sie sich schrecklich vor. Der Antrag habe Ansätze, die in die richtige Richtung gingen, deshalb würden die Grünen diesem zustimmen.

Wenn es um den assistierten Suizid, Sterbehilfe gehe, müsse er an Dinge denken, die die eigene Familie betroffen habe, so Marco Galateo (Fratelli d’Italia). Er werde gegen den Beschlussantrag stimmen – wenn auch mit großem Respekt vor allen, die das Thema persönlich betreffe. Die Anzahl der Fälle von assistiertem Suizid sei stark angestiegen. Die Frage, die sich stelle, sei: Wer entscheidet, wer auf Assistenz zurückgreifen dürfe und wer nicht? Es gebe im Ausland einige extreme Fälle. Doch wenn in unseren Regelwerken die Öffnung dieses Weges ermöglicht wird, könnten Menschen dazu verleitet werden.

Magdalena Amhof (SVP) unterstrich, dass die Thematik rund um wie “mein Leben zu Ende gehen soll, wenn ich todkrank bin” sei eine zutiefst ethische. Es gebe verschiedene Zugänge, wie das Leben in solchen Situationen beendet werden könne. Für den ärztlich assistierten Suizid fehlten noch rechtliche Grundlagen. Um auch den Ärztinnen und Ärzten eine Sicherheit zu geben, brauche es eine rechtliche Grundlage. Man habe ein Ethikkomitee, das sich stark mit dem Thema befasse. Als Landtag solle man stark für die Thematik sensibilisieren und Druck darauf ausüben, dass die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen würden.

LH Arno Kompatscher schickte voraus, dass man dem Beschlussantrag nicht zustimmen könne – der Grund sei rechtlicher Natur. Das Thema werde in vielen Ländern der Welt diskutiert, es gebe Länder, in denen es geregelt sei, und solche, in denen nicht. Er persönlich halte es richtig, dass es Regelungen gebe – auch damit es keine Form des Missbrauchs geben könne. Es gebe keinen Spielraum dafür, dass der Themenbereich autonom mit Landesgesetz geregelt werden könne. Doch sobald es staatliche Normen gebe, sei man bereit, zu agieren. Man habe aber die Ethikkommission bereits um Fachleute aus dem Bereich erweitert. Italien sei in dieser Frage sehr restriktiv, bis zum bekannten Gerichtsurteil. Das Parlament sei nun gefragt, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, das Land sei dafür gerüstet.

Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) berichtete, er habe sich bei Verfassungsexperten erkundigt, ob das Land in dieser Frage tätig werden könne. Die Antwort sei positiv. Die einzelnen Forderungen des Antrags wurden in getrennten Abstimmungen mehrheitlich abgelehnt.

Von: mk

Bezirk: Bozen