„Kinder und Fachkräfte bleiben auf der Strecke“

Sprachbarrieren im Kindergarten: Brugger liest Abgeordneten die Leviten

Donnerstag, 24. Januar 2019 | 08:41 Uhr

Bozen – Erst kürzlich hat die Süd-Tiroler Freiheit auf den Anstieg von Kindern mit Migrationshintergrund in deutschen Kindergärten hingewiesen und forderte eine Überprüfung der Deutschkenntnisse vor der Einschreibung. Sollten Kinder über gar keine Deutschkenntnisse verfügen, sollten diese in gesonderten Gruppen mit Sprachintensivprogrammen vorbereitet werden. Cornelia Brugger, selbst Kindergärtnerin, Gewerkschafterin und Gemeinderätin in Bruneck, kann dieser Forderung nur wenig abgewinnen. Ihrer Ansicht nach bleiben bei der Diskussion die Kinder und die Fachkräfte auf der Strecke – und sie liest den Abgeordneten im Landtag die Leviten.

Hier die Stellungnahme im Wortaut:

„Die Süd-Tiroler Freiheit kommt wieder einmal ihren mantraartigen Forderungen nach und schreit nach getrennten Kindergärten und Schulen. Nicht nur der Ausländeranteil in deutschen Bildungseinrichtungen ist das Problem, nein auch die italienischen Kindermitbürger sollten doch bitte dort bleiben, wo sie laut Autonomiestatut hingehören, nämlich in ihren italienischen Schulen.

Frau Atz Tammerle verlangt, dass die “Kindergartenbetreuerinnen” doch bitte noch vor der Einschreibung in den Kindergarten auf ihre Sprachkenntnisse geprüft werden, damit in Zukunft “Konfliktsituationen” vermieden werden können.

Ist Frau Atz Tammerle bekannt, dass die Kinder vor der Einschreibung oft noch nicht einmal das zweite Lebensjahr erreicht haben und somit Sprachkenntnisse auch in der Muttersprache schwierig festzustellen sind?

Ist ihr auch bekannt, dass im Kindergarten pädagogische Fachkräfte arbeiten, die zum Großteil ein Universitätsstudium absolviert haben, um in diesem Berufsbild arbeiten zu können und die Betitelung “Kindergartenbetreuerin” den täglichen komplexen Bildungsaufgaben vielleicht nicht ganz gerecht wird?

Gesellschaftliche Inklusion passiert sicher nicht über Förderklassen und Abschiebung, sondern in den bereits existierenden Bildungseinrichtungen, welche unter anderem mit genügend Fachkräften und kleinen Klassen/Gruppen ausgestattet sind. Der aktuelle Personalmangel ist bezeichnend für die herrschende Situation in den Kindergärten.

Und hier komme ich zu der Stellungnahme des zuständigen Landesrates Philipp Achammer.

Herr Landesrat, voriges Jahr wurde uns hoch und heilig versprochen, dass in den Städten Bozen, Meran und Leifers die Kinderzahl pro Gruppe von 25 auf 22 gekürzt wird und wir durften diese neue Richtlinie genau ein Schuljahr lang “genießen”.

Bereits heuer wird von diesen Versprechungen wieder zurückgerudert und nächstes Jahr werden es wieder 23. Anscheinend hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht und die Gemeinden sind arg ins Schwitzen geraten im Finden von weiteren, zusätzlichen Räumlichkeiten, die so eine Kürzung natürlich mitbringt. Wie sollen wir pädagogischen Fachkräfte aber auch die Eltern diese Nichteinhaltung eines Wahlversprechens werten? Kleinere Gruppen bedeutet mehr Zeit für den Einzelnen und Bildungsarbeit in Kleingruppen, Mehrwert für alle Betroffenen.

Und übrigens, wieso nur in den drei Ballungszentren? Wieso nicht auch in Mühlbach, Vintl, Franzensfeste usw. wo die Situation ebenfalls angespannt ist? Sie sprechen von mehr Personal, aber dieses ist in der Realität noch nicht angekommen. Wir decken weiterhin intern Abwesenheiten ab und strecken uns tagtäglich nach der Decke, um die Qualität unserer Arbeit zu erhalten.

Auch der von ihnen zitierte Bereichsvertrag des Kindergartenpersonals, der auch eine deutliche Verminderung der Arbeitszeit mit sich bringen soll, fliegt noch mit den Mücken und wurde noch nicht einmal ansatzweise geboren. So wird sicher nicht die Attraktivität des Berufes gesteigert, auch weil ja die Gehälter schon lange nicht mehr der Kaufkraft entsprechen.

Meine lieben Herrschaften, ohne deutlich mehr Personal, kleineren Kindergruppen und einer fachlichen Ausbildung, die der multikulturellen und multilingualen Kindergartenrealität Rechnung trägt, sind wir auf verlorenem Posten. Bildungseinrichtungen ohne Personal und daraus folgend ohne Qualität.“

Atz Tammerle kontert

Angesichts der aktuellen Debatte zum Spracherwerb von Kindern nicht-deutscher Muttersprache in den deutschen Kindergärten, sehen sich die Landtagsabgeordneten der Süd-Tiroler Freiheit, Sven Knoll und Myriam Atz Tammerle, hingegen bestätigt.

Nach Rücksprachen der Abgeordneten Atz Tammerle mit zahlreichem Kindergartenpersonal stehe fest: Deutschsprachige Kinder, aber auch deutsches Kindergartenpersonal, stünden vor Sprachbarrieren. Der Kommunikationsaustausch mit nicht-deutschsprachigen Kindern und den Eltern der Kinder sei häufig nahezu unmöglich, weshalb eigene Sprachförderungen und Aufnahmegespräche unabdingbar seien, schreibt die Süd-Tiroler Freiheit in einer Aussendung.

„Es haben sich bereits mehrere Eltern gemeldet, die bestätigen, dass im deutschen Kindergarten zunehmend Italienisch gesprochen wird“, zeigt Atz Tammerle auf und sagt, dass sich auch Eltern wünschen würden, dass im deutschen Kindergarten Deutsch im Mittelpunkt steht.

Zwar sei der Erwerb zusätzlicher Sprachen ein Mehrwert, jedoch sollten sich dies auch Eltern italienischer oder anderer Muttersprache, welche ihre Kinder in deutschen Bildungseinrichtungen einschreiben, für die deutsche Sprache zu Herzen nehmen.

Kritik kam von Cornelia Brugger. In einer Aussendung schreibt sie, „dass die Kinder vor der Einschreibung oft noch nicht einmal das zweite Lebensjahr erreicht haben und somit Sprachkenntnisse auch in der Muttersprache schwierig festzustellen sind.“

Die Landtagsabgeordnete der Süd-Tiroler Freiheit kontert: „Wenn auch Kinder mit zwei Jahren noch über keinen eigenen Wortschatz verfügen, verstehen sie sehr wohl, was ihnen in ihrer Muttersprache gesagt wird. Auch im Aufnahmegespräche mit den Eltern ist bereits ersichtlich, welche Sprache mit dem Kind gesprochen wird. Das müsste einer Kindergärtnerin wie Frau Brugger eigentlich klar sein.“

Auch ist Brugger der Meinung, dass „ohne fachliche Ausbildung, die der multikulturellen und multilingualen Kindergartenrealität Rechnung trägt“, wir auf verlorenem Posten seien.

Für Atz Tammerle sorgt diese Aussage für Schmunzeln. Sie stellt die Frage: „Also sollte künftig in deutschen Kindergärten nur mehr Personal angestellt werden, welches neben Deutsch und Italienisch auch Arabisch, Urdu, Chinesisch und Afrikanisch beherrscht?“

Von: mk

Bezirk: Pustertal