Dreisprachige, autonome Provinz als Vorzeigemodell Europas

Südtirol – Ein schmerzvoller Weg bis zur Autonomie im Herzen Europas

Mittwoch, 18. Oktober 2023 | 07:05 Uhr

Eine autonome Provinz, in der drei Sprachen – Deutsch, Italienisch und Ladinisch – als Amtssprachen anerkannt sind: Südtirol gilt als Vorzeigemodell für Europa. Bis dahin war es ein langer, schmerzvoller Weg, begleitet von Unterdrückung und der Bedrohung der eigenen Identität. Den Beginn markierte der 10. September 1919, als mit dem Friedensvertrag von St. Germain Südtirol sowie das Trentino (das damalige Welschtirol) von Österreich abgetrennt und Italien zugesprochen wurden.

Mit der Machtübernahme der Faschisten unter Benito Mussolini wurden ab 1922 massenhaft Italiener in Südtirol angesiedelt. Die ortsansässige österreichische Bevölkerung fürchtete mehr und mehr um ihre nationale Identität. Mit dem “Hitler-Mussolini-Pakt” wurden die Südtiroler 1939 vor die Wahl gestellt, sich als Italiener zu bekennen oder nach Deutschland auszuwandern.

Das erste Autonomiestatut erhielten die Südtiroler im Jahr 1948, nachdem es auf Drängen der Westmächte am 5. September 1946 zum Abschluss eines Schutzvertrages gekommen war, der von den Außenministern Karl Gruber und Alcide De Gasperi unterzeichnet (“Gruber/De Gasperi-Abkommen” oder “Pariser Vertrag”, Anm.) wurde. Allerdings wurde Südtirol auf Initiative De Gasperis mit dem Trentino in eine Region zusammengefasst. Dadurch erlangte die italienische Bevölkerung die Mehrheit.

Nach Ende der Besatzungszeit intervenierte Österreich erstmals wegen Südtirol in Rom. Verhandlungen werden von italienischer Seite aber abgewiesen. Am 17. November 1957 rief der spätere, legendäre Landeshauptmann Silvius Magnago (SVP) vor rund 35.000 Südtirolern auf Schloss Sigmundskron südlich von Bozen das legendäre “Los von Trient!” aus. Der damalige österreichische Außenminister Bruno Kreisky (SPÖ) brachte den Südtirol-Streit schließlich im Jahr 1960 erstmals vor die UNO.

Im Jahr 1961 erreichten die Anschläge des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) schließlich ihren Höhepunkt und mündeten in der sogenannten “Feuernacht”, in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni. 37 Hochspannungsmasten wurden unter anderem in dieser Nacht gesprengt, um die Weltöffentlichkeit auf die Unterdrückung der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol aufmerksam zu machen.

Am 20. Jänner 1972 trat schließlich das neue Autonomiestatut für Südtirol in Kraft. Alle Durchführungsbestimmungen hätten bis 1974 erlassen werden müssen. Gegen Ende der 1970er-Jahre verlangsamte sich das Tempo aber immer mehr. Die Verhandlungen dauerten schließlich bis zum Jänner 1992.

Am 30. Jänner desselben Jahres gab dann der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti vor dem römischen Parlament die Erklärung ab, dass seine Regierung das Paket für erfüllt halte. Im April übergab Italien Österreich eine diplomatische Note, in der die Autonomie für erfüllt erklärt wurde. Am 11. Juni folgte der formelle Abschluss der Südtirol-Verhandlungen. Am 19. Juni 1992 legten Österreich und Italien schließlich den Streit vor der UNO in New York bei. Österreich betonte, dass die auf dem Gruber/De Gasperi-Abkommen fußende Schutzmachtfunktion aufrecht bleibe.

In den darauffolgenden Jahren wurde die Südtirol-Autonomie schrittweise erweitert. Unter anderem erfolgte die Errichtung eines eigenen Oberlandesgerichtes in Bozen. Die deutsche Sprache wurde bei Polizei und Gericht gleichgestellt. Nach dem österreichischen EU-Beitritt (1995) und dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens (1998) wurde an den Übergängen zu Nord- und Osttirol der Wegfall der Grenzbarrieren gefeiert.

Bis heute drehen sich die politischen Debatten in Südtirol indes um die Erweiterung der erstrittenen Autonomie. Immer wieder ist auch von der, von Alt-LH Luis Durnwalder (SVP) geprägten, Formulierung der “dynamischen Autonomie” die Rede. Zuletzt war weiter Bewegung in die Sache gekommen: Die SVP und Landeshauptmann Arno Kompatscher arbeiteten mit einem auf den Weg gebrachten Verfassungsgesetzentwurf an der Wiederherstellung der Autonomiestandards gemäß der Streitbeilegungserklärung von 1992. Regierungschefin Giorgia Meloni (Fratelli D’Italia) hatte zuvor in ihrer Regierungserklärung Unterstützung signalisiert.

Die deutschsprachigen Oppositionsparteien rechts der Mitte lancierten hingegen in den vergangenen Jahren immer wieder Ideen, die teils von der Loslösung von Rom, einem Freistaat Südtirol bis hin zu einer Rückkehr zu Österreich reichen. Die vor der vergangenen Landtagswahl im Jahr 2018 geführte Debatte um eine Doppelstaatsbürgerschaft – befeuert durch die FPÖ in der damaligen österreichischen Bundesregierung – spielte seit dem Auseinanderbrechen der türkis-blauen Koalition in Wien keine Rolle mehr. Auch dahingehende Forderungen aus Südtirol wurden leiser.

Seit dem Beitritt zur Europäischen Union wurde die Identitätspolitik Südtirols von Durnwalder und in weiterer Folge von Kompatscher weitergesponnen. Das “Europa der Regionen” fand in der Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino Ausdruck. Regelmäßige Treffen, gemeinsame Landtagssitzungen und grenzüberschreitende Projekte sind Teil der Partnerschaft. In der Debatte um die Doppelstaatsbürgerschaft argumentierte Kompatscher stets sinngemäß, dass Staatsbürgerschaften im vereinten Europa nicht mehr die Bedeutung wie früher hätten. Ablehnend zeigte er sich jedoch nicht.

Von: apa

Bezirk: Bozen