Umfragen wiesen zuletzt nur mehr zwischen 32 und 35 Prozent aus

Südtirol-Wahl: Quo vadis, SVP?

Montag, 09. Oktober 2023 | 10:35 Uhr

Die Südtiroler Landtagswahl am 22. Oktober wird für die seit dem Jahr 1948 regierende wie dominierende Südtiroler Volkspartei (SVP) zum Tag der Wahrheit. Droht die SVP in noch nicht geahnte Wahlergebnis-Tiefen abzustürzen, wie es Umfragen suggerieren? Kommt Landeshauptmann und Spitzenkandidat Arno Kompatscher bei seinem letzten Antreten zu Fall? Im Wahlkampf beschwört der Parteiapparat die “Stabilität” und ruft die Wähler zu Geschlossenheit auf.

Als “Sammelpartei aller deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler in Italien bezeichnet sich die Südtiroler Volkspartei seit Jahrzehnten – und bei Wahlen hat sie ihre Schäfchen auch bisher noch immer beständig – mal in größerem, mal in weniger größerem Ausmaß – eingesammelt. Bis zum Jahr 2013 regierte das “Edelweiß” sogar mit der absoluten Mandatsmehrheit die autonome Provinz südlich des Brenners. Bei der Landtagswahl 2018 kam man trotz eines Minus immer noch auf 41,9 Prozent bzw. 15 der 35 Landtagsmandate. Zwar keine absolute Mehrheit, aber doch ein noch immer relativ stolzes Ergebnis. Aufgrund des ethnisches Proporzes muss zumindest eine italienische Partei in der Landesregierung vertreten sein – also koalierte die SVP mit der rechtsgerichtete Lega, die im italienischen Bereich auf Platz eins landete.

Doch nun droht Ungemach. Nur 35 Prozent wies das Tagblatt “Dolomiten” der SVP zuletzt in einer veröffentlichten Umfrage aus. Die “Südtiroler Wirtschaftszeitung” hatte noch schlechtere Umfrage-Nachrichten für Kompatscher, Parteiobmann Philipp Achammer und Co. parat: Gar nur 32 Prozent waren es dort. Nach den Corona-Jahren und der generell grassierenden Unzufriedenheit mit den “Eliten” und dem “Establishment” scheint nichts mehr sicher zu sein. Die SVP-Oberen sind zudem vorgewarnt, wurden doch in jüngerer Vergangenheit europaweit die Regierenden reihenweise “abgestraft”.

Nun setzt man alles auf den zweiwöchige Endspurt im Wahlkampf. Und trommelt – neben dem ständigen Hinweis, dass das Land zahlreichen Parametern zufolge doch tatsächlich gut dastehe – konsequent vor der Gefahr der “Instabilität” und des “Chaos”, sollten die Südtirolerinnen und Südtiroler nicht der SVP ihre Stimme schenken, sondern der Vielzahl der gegen die Mehrheitspartei antretenden Listen. Insgesamt 16 Gruppierungen kandidieren bei dieser Landtagswahl. Auch wird der Erfolg Südtirols quasi gleichgesetzt mit dem Erfolg der Partei – vor allem, was den Vertretungsanspruch der Minderheit in Rom betrifft. Die “Geschlossenheit” in puncto der Vertretung gegenüber Rom habe immer die Stärke des Landes ausgemacht, betont die SVP-Spitze unentwegt.

“Wir arbeiten für Südtirol” – lautet das offizielle Credo der SVP. Manchmal unausgesprochener, manchmal ausgesprochener Nachsatz: Während die vielen anderes unseriös und populistisch agieren sowie Chaos mit sich bringen würden. Die große Unbekannte: Der im äußersten Unfrieden von der Partei geschiedene Ex-SVP-Landesrat Thomas Widmann, der mit der eigenen Liste “Für Südtirol mit Widmann” antritt. Wird er die “Sammelpartei” an der Wahlurne spalten? Derzeit schwer zu sagen, Umfragen weisen nur Werte im eher niederen einstelligen Prozentbereich aus. Doch: Er knabbert am SVP-Wählerkuchen. Wobei beim SVP-Wahlkampfauftakt in Völs am Schlern eher die Sorge zu hören war, die unzufriedenen Wähler könnten zu Nichtwählern werden.

Sollte die Südtiroler Volkspartei tatsächlich auf 35 Prozent abstürzen, ist schwer vorauszusagen, ob sich der an sich beliebte Kompatscher – und mit ihm Achammer – wird halten können. Er baute im APA-Interview schon mal etwas vor und meinte, “deutliche Stimmenverluste” seien realistisch. Auch die damit zusammenhängende Koalitionsfrage ist völlig offen. Wird die SVP sogar auf einen dritten Partner angewiesen sein? Es wäre ein absolutes Novum. Muss oder nimmt man gar die rechtsgerichtete “Fratelli d’Italia” von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ins Boot, die zumindest laut Umfragen vor der Lega Matteo Salvinis liegt. Letzterer absolviert übrigens in den verbleibenden Wochen einige Wahlkampfauftritte in Südtirol.

Nicht recht vom Fleck bzw. vom eher niederen Prozentbereich scheinen alteingesessene Oppositionsparteien wie die “Süd-Tiroler Freiheit” und die Freiheitlichen zu kommen. Den Grünen werden nach letzter Prognose Zugewinne beschieden. Unsicher ist, ob das “Team K” wieder so gut abschneiden kann, wie bei der vergangenen Landtagswahl 2018 (15,2 Prozent). Damals hatte die Bewegung sechs Mandate erzielt und war der Überraschungssieger. Doch zwei Abgeordnete verließen die Gruppe im Laufe der Legislaturperiode, nun kandidiert mit “Enzian Südtirol” eine Abspaltung.

Thematisch gewann im bisherigen Wahlkampf, der trotz der Brisanz der SVP-Situation eher unspektakulär verlief, zuletzt vor allem das Flüchtlings- bzw. Migrationsthema an Gewicht. Und zwar nicht nur wegen der Situation auf Lampedusa oder beginnender Diskussionen um Grenzkontrollen am Brenner. Sondern vor allem in Verbindung mit dem Thema Sicherheit. Zahlreiche Meldungen über Angriffe auf Passanten, Jugendkriminalität und Schlägereien sowie das von Rom geplante Abschiebezentrum befeuerten die Debatte – vor allem durch die Opposition im Mitte-Rechts-Spektrum. Selbst aus der SVP wird der Ruf nach einer Landespolizei wieder laut.

Auch das Gesundheitssystem und vor allem lange Wartezeiten auf fachärztliche Visiten wird von vielen Oppositionsparteien ins Visier genommen. Ein weiteres Thema ist das Wohnen. Vor allem für junge Familien müsse es leichter möglich sein, eine leistbare Wohnung zu finden.

Das Thema “Wolf und Bär” ist zudem ebenso im Fokus wie die bürokratischen Auflagen für das Ehrenamt oder die Erhaltung des ländlichen Raumes. Gerade bei jungen Wählern und Kandidaten stehen das Angebot an interessanten Arbeitsstellen und ein attraktives Freizeitangebot im Mittelpunkt.

Der regierenden Mehrheit wird von verschiedener Seite auch vorgeworfen, dass sie zu sehr den Vorgaben aus Rom folge. Vor allem die Widmann-Liste fordert einen verstärkten Einsatz zum weiteren Ausbau der Autonomie und kritisiert, dass nur teilweise die in den vergangenen Jahren verloren gegangene Kompetenzen zurückgeholt werden konnten. Kompatscher und die SVP werben indes mit dem auf den Weg gebrachten Verfassungsgesetzesentwurf im Hinblick auf die Wiederherstellung der Autonomiestandards gemäß der Streitbeilegungserklärung von 1992. Letzteres hatte Meloni versprochen, was von den Verantwortlichen in Südtirol wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde und wird. Bis es aber wirklich zur konkreten Umsetzung kommt, wird wohl noch das eine oder andere Jahr vergehen.

Von: apa

Bezirk: Bozen