Keine Mimosen, sondern Gleichstellung

Tag der Frau: Das sagen die Politikerinnen

Sonntag, 08. März 2020 | 08:02 Uhr

Bozen – Der 8. März sollte nicht ein Tag sein, an dem man den Frauen Mimosen schenkt, sondern ein Tag, der an die noch notwendigen Schritte für eine substantielle Gleichstellung der Geschlechter erinnern soll. Dies teilt SVP-Senatorin Julia Unterberger in einer Aussendung mit.

„Der Notstand rund um das Coronavirus hat uns erneut vor Augen geführt, dass Italien jenes Land ist, das die zweitälteste Bevölkerungsstruktur der Welt aufweist. Die Geburtenrate nimmt immer mehr ab – nicht, weil die Frauen sich keine Kinder mehr wünschen, sondern weil sie sich immer noch zwischen Beruf und Familie entscheiden müssen und weil ihnen die finanzielle Sicherheit fehlt, Kinder in die Welt zu setzen. Paradoxerweise sind die Geburtenraten eine aussagekräftige Kennzahl für die Gleichstellung der Geschlechter geworden: In Ländern mit einer hohen Frauenbeschäftigung ist auch die Anzahl der Geburten hoch. In Schweden etwa liegt die Erwerbstätigkeit von Frauen bei 70 Prozent – auf jede Frau fallen im Durchschnitt etwa zwei Geburten. Ganz anders in Italien: Nur 50 Prozent der Frauen gehen einer Erwerbstätigkeit nach und auf jede Frau fallen durchschnittlich 1,31 Geburten“, erklärt Unterberger.

Es brauche politische Anstrengungen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten – und um die geschlechterbedingte Diskrepanz zwischen den Gehältern zu bekämpfen: Bei gleicher Qualifikation verdienen Frauen immer noch ca. 17 Prozent weniger als Männer.

„Männer müssen außerdem mehr in die unbezahlte Arbeit in der Familie eingebunden werden. In vielen europäischen Ländern ist bereits eine Väterprämie vorgesehen; falls die Väter mindestens die Hälfte der für das Paar vorgesehenen Elternzeit beanspruchen, werden zusätzliche Monate an Freistellung gewährt. In Italien hingegen ist die Zuständigkeit der Frau für die Familie immer noch in der Verfassung festgeschrieben. Art. 37 unterstreicht zwar, dass einer Frau bei gleicher Arbeitsleistung derselbe Lohn wie einem Mann zustehe. Gleichzeitig nennt er den Dienst für die Familie die wesenhafte Aufgabe der Frauen, für welche ihr und dem Kind ein besonderer, angemessener Schutz zufalle“, so Unterberger.

Ihrer Ansicht nach wäre es höchst an der Zeit, diesen Artikel abzuändern: Denn die Gleichstellung der Geschlechter bedeute gleiche Chancen und Zuständigkeiten im Beruf und in der Familie.

„Der Anteil von Frauen in Führungspositionen liegt in Italien bei nur 27 Prozent: Dieser Wert liegt weit unter dem europäischen Mittel (33,9 Prozent). Frauen sind in den Spitzenpositionen unterrepräsentiert – und sehr oft üben sie Tätigkeiten aus, die nicht ihrem tatsächlichen Studientitel entsprechen. Daher braucht es dringend ein flächendeckendes Kinderbetreuungsnetz, Maßnahmen zur Einbindung der Väter und ein Umdenken in der Gesellschaft. Auch die Beteiligung von Frauen am politischen Leben muss gefördert werden: Anzusetzen ist etwa bei den Wahlgesetzen. Die Bindung einer zweiten Vorzugsstimme bei Wahlen, an die Vergabe derselben an das andere Geschlecht, wäre ein wirkungsvolles Instrument. Leider war bisher in vielen Regionen der diesbezügliche Widerstand der Männer nicht zu überwinden. Es gibt noch viel zu tun: Daran soll uns der 8. März erinnern!“, so Unterberger abschließend.

Aktives und passives Wahlrecht

Die Landesrätinnen Maria Hochgruber Kuenzer und Waltraud Deeg, ermutigen alle Südtirolerinnen, ihr passives und ihr aktives Wahlrecht geltend zu machen: „Gemeinderatswahlen sind für uns Frauen die Chance, die Gestaltung des Ortes und damit des Landes mitzubestimmen.“ Politik werde auf allen Ebenen mit dem Blick von Frauen vollständiger. Die Landesrätinnen bieten Kandidatinnen ihre Unterstützung an.

Derzeit gestalten 477 Frauen in einem der 116 Südtiroler Gemeinderäte die Verwaltung ihres Ortes mit. Das sind 25 Prozent, der Bevölkerungsanteil der Frauen in Südtiroler aber ist 50,54 Prozent. Dennoch stellen mit 1.429 viermal so viel Männer die politischen Vertreter in ihrem Ort. „Die Chance bietet sich Frauen an, an den Gemeinderatswahlen am 3. Mai zu kandidieren“, ermutigen die beiden Landesrätinnen die Südtirolerinnen zum Mitbestimmen.

„Auf Gemeindeebene, im Stadtviertel oder in den Fraktionsverwaltungen lernt man die Politik von Grund auf kennen“, so Landesrätin Hochgruber Kuenzer, die selbst in der Brunecker Fraktion St. Georgen und später im Gemeinderat von Bruneck ihre ersten politischen Erfahrungen gesammelt hat.

Wichtig sei auch die Vorbildwirkung. Erfolgreiche Frauen gebe es in allen Lebensbereichen, egal ob an der Spitze der EU-Kommission Ursula Von der Leyen oder bei der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde, ebenso wie in erfolgreichen Unternehmen oder im Bankenwesen (wie Christine Novaković). „Frauen können und sollen sich viel zutrauen und selbstbewusst ihren Weg gehen“, sagt Landesrätin Deeg, die von vielen weiblichen Vorbildern inspiriert und bestärkt wird.

Ihr Engagement kann jede Frau auf Ortsebene einbringen und zwar gibt es zwei Formen, an der Gemeindepolitik teilzunehmen: selbst zu kandidieren oder mit anderen Frauen Kandidatinnen zu unterstützen. „Entscheiden ist in jedem Fall, sich zu vernetzen und hinter den Frauen zu stehen, die für eine Kandidatur bereit sind,“ zeigt sich Hochgruber Kuenzer überzeugt, „es braucht Dialog und Austausch mit allen Richtungen.“

Viele Frauen hätten die Bereitschaft, mitzugestalten, Beziehungen zu pflegen, mit Geldmitteln hauszuhalten, Entscheidungen zu treffen – das seien oft Kompetenzen, die Frauen in ihrem beruflichen und familiären Alltag längst ausüben. Genau darauf komme es auch zugunsten des Gemeinwohls in den politischen Gremien an. „Frauen sind bestens vorbereitet, schaffen vieles und können sich alles zutrauen“, sagt Deeg.

Die Landesrätinnen richten ihren Appell ebenso an erfahrene Gemeindepolitikerinnen: „Einerlei, ob Sie noch im Amt sind oder ob Sie Ihre politische Phase abgeschlossen haben: Unterstützen Sie Frauen und geben Sie den Kandidatinnen Ihre Kompetenzen weiter.“

Die Landesrätinnen bieten ihre Unterstützung selbst auch an. „Zusammen haben wir Zuständigkeiten, die auf Gemeindeebene und gesellschaftspolitisch maßgeblich sind. Es ist uns beiden wichtig, dass mit mehr Frauen in der Politik weibliche Lebensrealitäten und Bedürfnisse stärker in den Mittelpunkt rücken“, sagt Landesrätin Hochgruber Kuenzer, und Landesrätin Deeg ergänzt: „Es liegt in unseren Händen, an jeder einzelnen Frau, dass wir aktiv in der Politik mitgestalten: Entweder als Kandidatin, in jedem Fall aber als Wählerin haben wir Frauen es in der Hand.“

Frauen in der Gemeindepolitik in Zahlen
Bürgermeisterinnen Stand 2019
Trentino: 156 Bürgermeister davon 20 Bürgermeisterinnen – 11,4 Prozent
Tirol 279 Bürgermeister davon 27 Bürgermeisterinnen – 5,7 Prozent
Südtirol 116 Bürgermeister, davon elf Bürgermeisterinnen – 9,5 Prozent
Von Frauen regierte Bürgerinnen und Bürger in Südtirol 25.739

Gemeinderäte Stand: 2017
Südtirol: 1.317 Gemeinderäte, davon 280 Rätinnen – 21,3 Prozent
Trentino: 1.767 Gemeinderäte, davon 681 Rätinnen – 27,8 Prozent
Tirol: 2.931 Gemeinderäte, davon 767 Rätinnen – 20,7 Prozent

Gemeindeausschüsse Stand: 2017
Südtirol: 358 Referenten, davon 160 Referentinnen – 44,7 Prozent
116 VizeBM, davon 26 VizeBMinnen – 22,4 Prozent

Italien – je größer die Gemeinde, desto seltener gibt es eine Bürgermeisterin
7.904 Gemeinden, 1.131 Bürgermeisterinnen – 14,26 Prozent
Provinzhauptstädte von 93 Provinzen: sechs Bürgermeisterinnen – 6,45 Prozent
Regionalhauptstädte von 20 Regionen, davon 3 Bürgermeisterinnen – 15 Prozent
Von Frauen regierte Bürgerinnen und Bürger Italiens: 10,267 Mio

Österreich: 2.096 Gemeinden, 169 Bürgermeisterinnen – acht Prozent
Höchster Anteil in Niederösterreich – zwölf Prozent
Gemeinderätinnen insgesamt 23 Prozent
Höchster Anteil im Burgenland – 25 Prozent

Schweiz
2.212 Gemeinden: 352 Gemeindepräsidentinnen – 16 Prozent
Gemeinderätinnen: 24,4 Prozent

Bayern
186 Bürgermeisterinnen: 9,6 Prozent
Gemeinderätinnen: 20,1 Prozent

Amhof: Jede Chance nutzen!

Magdalena Amhof, Landtagsabgeordnete und Vorsitzende der SVP-Arbeitnehmerinnen meint zum Tag der Frau: „Wir Frauen müssen lauter werden, wenn es um unsere Themen geht. Um unsere Ziele zu erreichen, müssen wir alle Chancen nutzen – Tag für Tag und bei jeder Gelegenheit! Dazu gehört auch, dass wir Frauen endlich Frauen wählen!“

Jedes Jahr bietet der Weltfrauentag am 8. März den Anlass, Frauen und ihre Rollen, ihre Erfolge, ihre Geschichten, ihre Themen, Anliegen und Wünsche in den Mittelpunkt zu stellen. Lohnunterschiede, Rentenschere, Altersarmut oder unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Beruf zählen immer noch zu den offenen Baustellen der heutigen Gesellschaft.

„Um diesen Themen gerecht zu werden, brauchen wir Engagement, Diplomatie und Durchsetzungsvermögen. Wir brauchen Frauen mit ‚lauten Stimmen‘. Wir sind oft zu leise, zu bescheiden und manchmal auch zu ängstlich“, sagt Magdalena Amhof. Sie appelliert am Tag der Frau an alle Südtirolerinnen, sich mehr zuzutrauen, Gelegenheiten beim Schopf zu packen und Herausforderungen als Chancen zu sehen.

„Wir sind schon lange nicht mehr das ‚schwache Geschlecht‘ und ohne uns geht gar nichts. Deshalb sollten wir noch couragierter werden, wenn es um wichtige Themen geht. So wie es vor über 100 Jahren tausende Frauen waren und damit das aktive und passive Wahlrecht für uns erkämpften“, erinnert Amhof an die Frauenrechtlerinnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts Großartiges in ihrem Zusammenhalt und mit ihrem Mut erreichten.

Heute sei es eine Selbstverständlichkeit, dass „frau“ die Wahlkabine besucht, ebenso selbstverständlich werden Frauennamen auf Kandidatenlisten geschrieben. „Was uns heute noch fehlt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der wir Frauen Frauen wählen. Da sollten wir ansetzen, diese Chancen müssen wir nutzen. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich am 3. Mai!“, sagt Amhof.

116 Gemeinden in Südtirol werden ihre Gemeinderätinnen neu bestellen. „In den kommenden Wochen sollten wir Frauen zur Kandidatur ermutigen, wir müssen ihnen die letzten Zweifel nehmen und ihnen sagen, dass wir sie brauchen, weil sie unsere Anliegen kennen und leben. Und am 3. Mai werden wir sie wählen, damit sie sich mit lauter Stimme für unsere Anliegen einsetzen können“, betont Amhof.

STF: Starke Frauen statt Quotentanten

Zum Tag der Frau fordert die Frauengruppe der Süd-Tiroler Freiheit einmal mehr die Abschaffung der „entwürdigenden Frauenquote“ bei Wahlen und in politischen Gremien. „Starke Frauen brauchen keine Quoten, die lediglich den Eindruck entstehen lassen, als ob wir Frauen es ohne Hilfe nicht schaffen“, unterstreicht die Frauensprecherin und Landtagsabgeordnete der Süd-Tiroler Freiheit, Myriam Atz Tammerle.

Es widerspreche dem Prinzip der demokratischen Wahlfreiheit, wenn Wähler – und vor allem auch Frauen selbst – nicht mehr frei entscheiden können, wen sie wählen wollen, sondern zu einer geschlechtsspezifischen Wahl genötigt würden.

Starke und selbstbewusste Frauen hätten es bereits weltweit vorgemacht, dass das Geschlecht bei Kompetenz zweitrangig sei.

„Frauen dürfen nicht länger auf ihr Geschlecht reduziert werden. Wir Frauen haben das notwendige Potenzial, alles erreichen und mitgestalten zu können. Wir müssen dieses nur nutzen“, meint Myriam Atz Tammerle und fügt abschließend hinzu: „Wir brauchen Frauen in der Politik, die sich aus Überzeugung aktiv einbringen, und somit Vorbilder für andere Frauen sind, aber keine Quotentanten, die andere Frauen davor abschrecken, sich politisch zu engagieren. Denn nur motivierte Frauen, die mit Elan, Kompetenz und Engagement in der Politik mitarbeiten, sind positive Vorbilder, die dadurch andere Frauen ermutigen, politisch aktiv zu werden.“

 

Von: mk

Bezirk: Bozen