Von: mk
Moskau/Kiew – Weil die Ukraine mit gezielten Attacken russische Ölterminals und Raffinerien ins Visier nimmt, spitzt sich die Treibstoffkrise in Russland weiter zu. Betroffen ist nicht nur die Zivilbevölkerung im Inneren des Landes, sondern auch der Export.
Autofahrer stehen in der Region Promorje kilometerweise Schlange, in der Hoffnung an Treibstoff zu gelangen. Hunderte an Fahrzeugen warten für Benzin vor den Tankstellen, die Benzinpreise schnellten zwischenzeitlich in die Höhe.
Krise an der Zapfsäule
Auch die Flughäfen, die wegen ukrainischer Luftangriffe immer wieder geschlossen werden müssen, animieren die Menschen dazu, eher das Auto oder den Bus nehmen, was die Knappheit an Treibstoffen weiter verschärft. Einwohner beklagen, dass viele Tankstellen geschlossen hätten und über kein Benzin mehr verfügen würden.
In der Großstadt Wladiwostok entschuldigt sich der Betreiber einer Tankstelle mit einer Aufschrift bei seinen Kunden. „AI 95 ist leer“, heißt es auf dem Plakat. Inzwischen ruft auch die Kreml über offizielle Kanäle dazu auf, Benzin zu rationieren.
Einem Bericht der Moscow Times zufolge ist das russische Eisenbahnnetz ebenfalls von den Engpässen betroffen. Allein im August sind bisher mindestens zehn russische Energieanlagen den Kampfdrohnen aus dem Nachbarland zum Opfer gefallen.
Analysten des amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (ISW) kommen zum Schluss, dass die anhaltende Angriffskampagne der Ukraine auf russische Ölraffinerien zu Benzinknappheit in ganz Russland beitrage und voraussichtlich die „Inflation ansteigen lassen und zu weiterer makroökonomischer Instabilität in Russland führen“ werde.
Die Schattenflotte
Doch die Ukraine zielt nicht nur auf die russische Binnenwirtschaft. Weil Moskau trotz aller Sanktionen aus dem Westen weiterhin Öl an seine Verbündete liefert, fließt immer noch Geld in die Kriegskasse von Kreml-Despot Wladimir Putin. Zwar rinnt kaum mehr Öl mehr durch russische Pipelines, doch der Export funktioniert über die sogenannte Schattenflotte, die aus rund 670 Einheiten besteht. 250 bis 300 werden für den Transport von Rohstoffen aus Russland genutzt.
Bei vielen Schiffen der russischen Schattenflotte handelt es sich um ältere Modelle, die auch ein ökologisches Risiko darstellen. Im Dezember 2024 waren zwei alte russische Öltanker in der Meerenge von Kertsch zwischen dem Schwarzen und Asowschen Meer bei schwerer See gesunken. Dabei sind nach Angaben des russischen Verkehrsministeriums mindestens 2.400 Tonnen Schweröl ins Meer gelaufen.
Die Schiffe auf offener See zu stoppen, ist schwierig. Sobald sich das Öl auf den Weltmeeren befindet, gibt es Käufer. Um Putins Einnahmequelle trocken zu legen, scheint die Ukraine stattdessen eine andere Strategie zu verfolgen.
Neue Strategie
Offenbar wollen die Urkainer die Schiffe von vorneherein am Start hindern. Nach einem ukrainischen Drohnenangriff könne das Ölexportterminal Ust-Luga im September nur mit der Hälfte seiner üblichen Kapazität betrieben werden, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Branchenquellen etwa am Freitag. Neben Noworossijsk ist Ust-Luga das einzige Öl-Terminal, über das Russland verfügt. „Wenn das Öl erst gar nicht aufs Schiff kommt, ist es sehr damit, Geld zu verdienen“, erklärt Militärökonom Marcus Keupp im ZDF-Interview. Würde diese beiden Häfen getroffen, schädige man die russische Exportwirtschaft extrem.
Veto aus den USA
Unter der Biden-Aministration hat es offenbar ein Veto seitens der USA gegeben, das die Ukraine davon abhielt, Noworossijsk anzugreifen. Ob auch US-Präsident Trump am Veto noch festhält, ist unklar. Hochmoderne ERAM-Raketen aus den USA, die Ziele in 240 bis 450 Kilometern treffen, darf die Ukraine deutschen Medienberichten zufolge nicht ohne US-Erlaubnis für Angriffe aufs russische Kernland nutzen.
Flamingo als Gamechanger?
Doch die Ukraine produziert immer mehr Waffen in Eigenregie. Zuletzt sorgte der selbst entwickelte Flamingo-Marschflugkörper für Schlagzeilen, der laut Herstellerangaben zum Teil sogar leistungsfähiger als der Taurus ist – mit einer Reichweite von bis zu 3000 Kilometern und einem Sprengstoff-Anteil von bis zu 500 Kilogramm. Die Serienproduktion läuft bereits. Während im Moment ein Flamingo pro Tag produziert wird, sei es das Ziel, bis Ende 2025 rund 2500 Stück jährlich herzustellen.
Keupp hält es durchaus für möglich, dass die Ukraine mit dem Flamingo militärisch Erfolge erzielt und Öl-Terminals aus der Ferne treffen kann. Voraussetzung sei allerdings, dass der Flamingo in der Lage ist, die russische Luftabwehr zu unterfliegen. Ob sich die Ukraine dann noch von einem Veto aus den USA abhalten lässt, bleibt fraglich.
Treffen in China
Auch Russlands Bündnis mit Indien und China hält Keupp für brüchig – trotz des Gipfeltreffens in zwischen Chinas Präsidenten Xi Jinping, Putin und Indiens Ministerpräsidenten Narendra Modi in der Hafenstadt Tianjin.
China treibt massiv seine Energiewende voran und setzt vermehrt auf erneuerbare Energie wie Wind- und Solarkraft. Derzeit kaufe China zwar noch aus pragmatischen Gründen russisches Öl, um den industriellen Bedarf zu decken, doch die Zukunft könne dies ganz anders ausschauen. „In zehn Jahren ist Russland der Juniorpartner Chinas, und nicht umgekehrt“, erklärt Keupp.
Eine ähnliche Entwicklung erwartet Keupp für Indien – vor allem angesichts der Strafzölle von 50 Prozent, die US-Präsident Donald Trump gegen Indien verhängt hat. Indien erhält russisches Öl derzeit mit sieben Prozent Discount im Vergleich zum Weltmarktpreis. Als weltgrößter Ölexporteur handle Amerkika sicher auch aus Eigeninteresse heraus, sagt Keupp. Trotzdem könnte für Indien russisches Öl in Zukunft an Attraktivität verlieren. Stattdessen sei Indien in Zukunft möglicherweise ebenfalls bestrebt, von fossilen Brennstoffen unabhängiger zu werden.
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