Von: mk
Bozen – Der Landtag befasst sich an diesen Donnerstag mit dem Gesetz für Raum und Landschaft wohl. Der Dachverband befürchtet, dass mit der Abstimmung das Gemeindeentwicklungsprogramm zu Grabe getragen wird. „Damit fallen auch die Konzepte für Mobilität, Tourismus und Klima“, erklärt der Dachverband für Natur- und Umweltschutz. Der Verband warnt vor einer Aushöhlung von Klimaplan und Landesmobilitätsplan und appelliert deshalb an den Landtag, das Gemeindeentwicklungsprogramm am Leben erhalten.
Der Landtag stimmt diesen Donnerstag über die Änderungen am Gesetz für Raum und Landschaft ab. Auf Vorschlag der Landesregierung soll die Frist gestrichen werden, innerhalb der die Gemeinden ihre Gemeindeentwicklungsprogramme abschließen müssen. Damit fällt auch die Frist für all jene Erhebungen und Pläne, die Teil dieser partizipativ zu erarbeitenden Strategien sind. Dazu zählen unter anderem ein Mobilitäts- und Erreichbarkeitskonzept sowie ein Tourismusentwicklungskonzept. „Gemeinden steht es damit frei, diese Pläne zu erstellen – oder eben auch nicht. Umweltorganisationen, aber auch Bürgerinnen und Bürger, verlieren mit dieser Gesetzesänderung die Möglichkeit die Gemeindeentwicklungspläne einzufordern“, so Josef Oberhofer, Präsident des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz. Denn ohne Abgabefrist drohe die Gemeindeplanung auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben zu werden.
„Die Landesregierung schwächt ihre wichtigsten Strategien für die nachhaltige Entwicklung: den Südtiroler Klimaplan, den neuen Landesmobilitätsplan und das Landestourismusentwicklungskonzept. Denn all diese Dokumente bauen ebenfalls auf die Gemeindeentwicklungsprogramme auf“, fügt Geschäftsführerin Madeleine Rohrer hinzu.
Der erste Teil des Klimaplans sieht unter anderem vor, dass die Gemeinden innerhalb 2025 Strategien und Pläne zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels erarbeiten und zwar als eigenes Kapitel im Zuge der Gemeindeentwicklungsplanung. Im Entwurf des zweiten Teils, der im Juni genehmigt werden soll, heißt es: „Ausarbeitung der Mobilitäts- und Erreichbarkeitskonzepte im Zuge der Gemeindeentwicklungspläne und aufbauend auf den Schwerpunkten des Landesmobilitätsplanes.“ Der Landesmobilitätsplan gehe nämlich davon aus, dass 58 Prozent des Pkw-Verkehrs außerhalb der Gemeinden stattfindet. „Das Land aber kann nicht für die Gemeinden entscheiden, wie sie die übrigen 42 Prozent an Bewegungen handhaben, wie sie ihre Parkplätze bewirtschaften, wo Radwege gebaut werden und wie das Zufußgehen einladender und sicherer gemacht wird. Dazu sind eigene Pläne auf Gemeindeebene vorgesehen“, so der Dachverband.
Im von der Landesregierung 2021 beschlossenen Landestourismusentwicklungskonzepts heißt es: „Abstimmungsprozesse zwischen der Landes- und Gemeindeverwaltung sind von großer Wichtigkeit, um die Zielsetzungen und Leitlinien …auf Gemeindeebene auch umsetzbar zu machen. Es ist notwendig, dass die Umsetzung der tourismuspolitischen Zielsetzungen in den Gemeindeentwicklungskonzepten von Seiten des Landes kontrolliert wird“.
„Nicht einmal zwei Jahre später will die Landesregierung den Landtag beschließen lassen das Gemeindeentwicklungsprogramm zu Grabe zu tragen – und damit auch den so wichtigen Abstimmungsprozess. Die Landesregierung entbindet jetzt mit der Streichung der Frist für das Gemeindeentwicklungsprogramm die Gemeinden von ihrer Pflicht eine ganzheitliche, enkeltaugliche und gemeinsam mit der Bevölkerung ausgearbeitete Vision auszuarbeiten und untergräbt zugleich die eigenen klimapolitischen Ziele“, so Oberhofer und Rohrer. „Südtirol erreicht die Klimaziele aber nur, wenn Land und Gemeinden Hand in Hand gehen“.
Heimatpfleger: „Raumordnungsgesetz wird gefügig gemacht“
Auch der Heimatpflegeverband zeigt sich über die Abänderung des Gesetzes für Raum und Landschaft besorgt, über die der Landtag in dieser Woche abstimmen soll.
„Das Landesgesetz für Raum und Landschaft hat einen schweren Stand“, erklären die Heimatpfleger. 2018 in Kraft getreten hat es bereits fünf Novellierungen erfahren, knapp 500 Abänderungen hat es bisher in Bezug auf die 107 Artikel gegeben, so der Minderheitenbericht zum neuen Gesetzentwurf, der dieser Tage im Landtag behandelt wird. „Die sechste Novellierung mit Abänderungen zu über 30 Artikeln soll heute beschlossen werden und birgt weitreichende Folgen in sich. Das Gesetz müsse man ‚anwendbar machen‘, heißt es entschuldigend, doch die bisherige Geschichte der Abänderungen zeigt, dass damit nicht das Stopfen von Löchern, sondern das Öffnen neuer Schleusen gemeint ist“, kritisiert der Heimatpflegeverband.
Auch er beklagt sich darüber, dass das Gemeindeentwicklungsprogramm ausgehebelt werde: „Das Gemeindeentwicklungsprogramm war eines der Kernstücke des Gesetzes für Raum und Landschaft und sollte die Gemeinden zu einer weitreichenden Planung bringen. Die zentralen Instrumente dafür: eine Erhebung des Leerstands, die Erhebung der Ensembles und somit von schützenswerter Bausubstanz, ein Mobilitäts- und Erreichbarkeitskonzept, ein Tourismusentwicklungskonzept und die Ausweisung der Siedlungsgrenzen, allesamt Pläne, die man meinen möchte, für eine vernünftige Gemeindeplanung längst bestehen sollten. Dass dem nicht so ist, beweist, dass bisher nur zwei der 116 Gemeinden ein entsprechendes Programm eingereicht haben. Die Frist für die Einreichung des Programms war bereits einmal verlängert worden, nun soll sie komplett fallen. So steht es jedenfalls im Novellierungstext. Nachdem viele Gemeinden mit der Planung noch gar nicht richtig begonnen haben, ist zu befürchten, dass das so bleiben wird. Denn ohne Frist hat das Gemeindeentwicklungsprogramm keine zeitliche und somit überhaupt keine Verbindlichkeit.“
In der Praxis bedeute das, dass viele Gemeinden sich weiterhin keine Gedanken über Mobilität, Leerstandsmanagement und Ensembleschutz machen müssten. „Das, obwohl der kürzlich vorgestellte Landesmobilitätsplan einen beachtlichen Teil der Einsparungen beim motorisierten Individualverkehr auf die Gemeinden schiebt und das, obwohl dringend geboten wäre, bestehende Bausubstanz zu sanieren, statt neue Flächen zu versiegeln. Der 1997 auf Initiative des Heimatpflegeverbandes gesetzlich verankerte Ensembleschutz bleibt leider nur mehr optionales Beiwerk und wird wohl auch weiterhin von vielen Gemeinden nicht umgesetzt werden. Für unsere Ortsbilder wird das weitreichende negative Veränderungen bringen“, so die Heimatpfleger.
„Übergangsbestimmungen fördern die Zersiedelung“
Problematisch sei auch, dass, solange es kein Gemeindeentwicklungsprogramm gebe, die Übergangsbestimmungen (Artikel 103) in Kraft blieben, die voller Schlupflöcher für Einzel- und Lobbyinteressen seien. „Während das Gemeindeentwicklungsprogramm Siedlungsgrenzen klar festlegen und somit auch Bauvorhaben außerhalb limitieren sollte, gilt gemäß den Übergangsbestimmungen bereits eine Gruppe von zehn Häusern als zusammenhängende Siedlung, wo entsprechende Baurechte gelten. So darf auch außerhalb der Ortschaften munter weitergebaut und zersiedelt werden. Bürgermeister und Gemeindeausschüsse können dort nach Belieben Tourismuszonen ausweisen und Baurechte vergeben. Der Druck auf die Gemeindevertreter wird somit weiter steigen. Für unsere Landschaft hat das fatale Folgen“, so der Heimatrpflegeverband.
Außerdem komme das unterirdische Bauen kommt zurück: „Die Novellierungen beschränken sich aber nicht nur auf das Gemeindeentwicklungsprogramm, sondern versuchen durch die Hintertür auch Teile der Abänderungen am Landschaftsleitbild in das Gesetz zu schmuggeln, die im Frühjahr 2023 durch den Umweltvorbericht gefallen waren, und zwar jene zum unterirdischen Bauen.“ Im Artikel 3 unter „Grundsatz der Einschränkung des Bodenverbrauchs“ finde man just jenen Passus wieder, den die Umweltverbände bereits bei den Abänderungen zum Landschaftsleitbild vehement kritisiert hätten, weil die unterirdische Baumasse bereits vielen Höfen im wahrsten Sinne des Wortes einen „Beton“-Riegel untergeschoben hatte, was zum Abbruch vieler historischer Altbauten führte.
„Mit den Novellierungen bleibt das Bauwesen fast zur Gänze in der Kompetenz der Gemeinden. Die Umweltverbände haben bereits öfters beklagt, dass das Land damit sogar auf große urbanistische Fehlentscheidungen bei Durchführungsplänen und Bauleitplanänderungen keinen Einfluss und keinen Zugriff mehr hat, ebenso beim Ensembleschutz, womit dieser im wahrsten Sinne des Wortes ‚erledigt‘ ist. Es wäre dringend anzuraten, jetzt die Möglichkeit zu nutzen, eine wirksame ‚Notbremse‘ für Ausnahmefälle in das Landesgesetz einzubauen“, so die Heimatpfleger.
Bei der Einführung des Gesetzes für Raum und Landschaft 2018 sei eines der Versprechen gewesen, für Rechtssicherheit zu sorgen. „Sechs Novellierungen und knapp 500 Änderungen später ist nun klar, dass das Gegenteil eingetreten ist: Die Verunsicherung bei Bevölkerung, Planern, Gemeinden und Beamten ist größer denn je. Ständig wird korrigiert und dabei den Lobbys nachgegeben. Doch bisher bestand immer noch die Hoffnung, dass mit der Ausarbeitung der Gemeindeentwicklungsprogramme ein demokratischer Prozess entsteht, bei dem die Bevölkerung und die Gemeindepolitik gemeinsam eine lebenswerte, nachhaltige und erreichbare Zukunftsvision ihrer Orte und Gemeinden entwickeln. Mit dem Streichen der Fristen fällt das Kernstück des Gesetzes. Die Geschichte des Raumordnungsgesetzes kommt einer Kapitulation auf Raten gleich“, erklärt der Verband abschließend.