Ein Jahrhundert danach 

Carl Lun und das stille Erbe eines Stadtgestalters

Freitag, 19. Dezember 2025 | 11:30 Uhr

Von: mk

Meran – 2025 jährte sich der Todestag von Carl Lun zum hundertsten Mal – ein Anlass, der einlädt, die Spuren eines Mannes neu zu lesen, der Meran in eine moderne Epoche begleitete, ohne sich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Vieles von dem, was seine Zeit prägte, ist noch heute sichtbar, während noch mehr im Verborgenen weiterwirkt – in Strukturen, Entscheidungen und Ideen, die das Werden der Kurstadt beeinflussten.

„Leicht und rasch eroberte er die Menschen, aber es ist wohl niemandem ein Geheimnis, daß man immer nur den äußeren Menschen kennen lernt ….“ schrieb Emil Knägl 1926, ein Jahr nach Luns Tod, im Schlern. Tatsächlich blieb hinter dem Ingenieur, Bauunternehmer, Entrepreneur und Politiker ein Mensch zurück, dessen innerer Antrieb vielleicht klarer war als seine äußere Selbstdarstellung: die Fortentwicklung des Kurwesens als Quelle des Wohlstands.

Ein Ingenieur, der Zukunft plante und baute

Carl Lun, 1853 in Bozen geboren, war ein Kind einer Epoche des Aufbruchs. Nach seinem Studium am Polytechnikum in München und später in Wien kehrte er mit einem Verständnis von Technik zurück, das nicht nur auf Konstruktion, sondern auch auf Transformation zielte. Ursprünglich wollte er Staatsingenieur werden und absolvierte dafür ein Praktikum bei der Bezirkshauptmannschaft Bozen. Doch statt eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen, entschied er sich für den Schritt nach Meran, wohin er 1881 gemeinsam mit seinem Schwager Josef Musch übersiedelte. Hier entwickelten die beiden rasch eine rege Bautätigkeit – und Lun fand in der prosperierenden Kurstadt jenen Resonanzraum, den seine Ambitionen brauchten.

Gemeinsam gründeten sie das „Bureau für Architektur und Ingenieurbau Musch & Lun“, das sich rasch zu einem der produktivsten Planungsbüros des Landes entwickelte. Es entstanden Villen, Hotels, städtebauliche Entwürfe und jene technischen Grundlagen, die die Modernisierung der Region überhaupt erst ermöglichten: Straßen, Brücken, Wasserbauten und Infrastrukturprojekte, die Meran und sein Umland nachhaltig prägten.

Dass Meran heute ganz selbstverständlich als gewachsener urbaner Organismus wahrgenommen wird, ist nicht zuletzt jener Epoche – und Luns Rolle darin – zu verdanken.

Merans Wachstum und die Handschrift zweier Gestalter

Als Lun und Musch nach Meran kamen, trafen sie auf eine Stadt, die neue Formen, neue Infrastrukturen und ein modernes Selbstverständnis suchte. Die beiden erkannten das Potenzial früh und wurden zu treibenden Kräften dieser städtebaulichen Entwicklung. Bereits in den ersten Jahren kauften sie das Waldergut in Obermais und bebauten es mit mehreren Objekten, darunter das spätere Hotel Austria. Dieses Projekt ist ein frühes Beispiel für das Zusammenspiel von privater Initiative, Baukultur und touristischem Aufbruch.

Bemerkenswert ist ihr Stadt-Erweiterungsplan aus demselben Jahr, der das Gebiet zwischen Rennweg und Bahnhof umfasste. Die hier vorgedachten und präzise skizzierten Baukörper fanden in den folgenden Jahrzehnten vielfach ihre Realisierung – von der Andreas-Hofer-Kaserne bis zum Hotel Habsburgerhof (heute Bellevue). So nahm Meran, wie wir es heute kennen, in diesen Linien seinen frühen Umriss an.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Börsenkrach der 1880er Jahre und dem wachsenden Kurtourismus entwickelte sich Musch & Lun zu einem der dominierenden Büros jener Zeit. Die Gründung einer eigenen Bau- und Möbeltischlerei in der Schießstandstraße verlieh ihnen eine seltene Unabhängigkeit: Entwurf, Ausführung und Innenausstattung konnten aus einer Hand gedacht werden. Hotels, Pensionen und Villen, aber auch Tiefbauprojekte wie die Suldenstraße und Wasserbauten im Etschtal, zeugen von der Vielfalt ihres Wirkens.

Gleichzeitig wuchsen die Anforderungen der Stadt: Hygiene, Trinkwasserversorgung, Schlachtung, Krankenversorgung, Verkehrswege – eine moderne Kurstadt brauchte technische Lösungen. Lun war in viele dieser Bereiche eingebunden, oft als Impulsgeber, manchmal als Stratege und gelegentlich als Unternehmer mit eigenem Interesse. Informationsreisen gehörten zu seinen Werkzeugen. Das in diesen Reisen erworbene Wissen über neueste Entwicklungen floss in Projekte ein, die Meran voranbringen sollten. Dass er das erworbene Know-how zugleich in eigene geschäftliche Interessen überführte, sorgte zuweilen für Kritik, doch sein Einfluss auf das öffentliche Bauwesen blieb unbestritten.

Elektrisches Licht für eine Region 

Es war eine Zeit, in der Ingenieure und Bauunternehmer nicht in Jahren, sondern in Generationen dachten. Exemplarisch für diese Weitsicht stehen das Kraftwerk Töll und die Elektrifizierung der Talebene zwischen Bozen und Meran – eines der kühnsten Zukunftsprojekte seiner Zeit. Lun gehörte 1897 zu den Mitbegründern der Etschwerke und binnen weniger Jahre zählte die Region zu den ersten weltweit, deren gesamte Talsohle elektrifiziert war. Diese technische Revolution veränderte Handwerk, Gewerbe und Hotellerie – und das Selbstverständnis der Kurstadt, die sich nun endgültig in der Moderne wiederfand.

Von der Stadt in die Berge 

Während Meran Ende des 19. Jahrhunderts sein modernes Gesicht entwickelte, weitete sich auch Luns Blick. Die Arbeit von Musch & Lun reichte längst über Einzelbauten hinaus und betraf grundlegende Fragen von Erschließung, Versorgung und städtebaulicher Ordnung – jene unscheinbaren Ebenen also, die eine Stadt erst funktionsfähig machen.

Doch Luns Vision endete nicht an den Stadtgrenzen. Die Idee eines modernen Kurwesens, das er als Quelle des Wohlstands verstand, ließ sich nur verwirklichen, wenn auch der Alpenraum erschlossen wurde. Während andere den alpinen Tourismus romantisch deuteten, dachte Lun ihn technisch: Energie, Wege, Materialtransport, Bauweisen in großer Höhe.

Dieses Denken fand 1895 seinen organisatorischen Ausdruck in der Gründung des „Vereins für Alpenhotels in Tirol“ – und machte Luns Wirken weit über Meran hinaus sichtbar.

Die Hotels in Sulden, Trafoi oder am Karersee aus jener Zeit waren mehr als nur Herbergen. Sie zeigten, wie weit Technik und Architektur in peripheren Lagen wirken konnten. Sie verbanden Fortschritt mit Landschaft und fügten sich nahtlos in sie ein. Viele dieser Projekte tragen die Handschrift von Musch & Lun und markieren den Beginn einer touristischen Identität, die Südtirol bis heute prägt.

Das leise Fortwirken eines prägenden Gestalters

Heute, hundert Jahre nach seinem Tod, zeigt sich Luns Vermächtnis in einzelnen Bauwerken aus jenen Jahren, aber auch in Denkweisen, Entwicklungen und Strukturen, die das Fundament eines modernen Merans bilden. Er war ein Mann, der technische Möglichkeiten als kulturelle Chancen begriff. Einer, der Zukunft nicht behauptete, sondern baute. Dass sein Wirken schon zu Lebzeiten erkannt wurde, zeigen zwei Ehrungen: 1905 erhielt er den Titel „Baurat“, ab 1923 war er Ehrenbürger von Meran.

Bezirk: Burggrafenamt

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