Südtiroler Sportlehrer: "Es ändert sich nichts und wir werden von Kollegen attackiert"

Kritik: Macht Sport wirklich Schule?

Freitag, 06. April 2018 | 13:18 Uhr

Bozen – Seit einiger Zeit ist Südtirols Sportunterricht in aller Munde. Die Schlagzeilen in den Medien reichen von: “Sport macht Schule – Namhafte Südtiroler Spitzensportler besuchen Südtirols Schüler”, bis hin zu: “Religion für Turnen auf Opferbank”. Was steckt wirklich hinter der aktuellen Reform? Wird der Sportunterricht durch die Gesetzesreform in der Praxis tatsächlich aufgewertet? Bedroht der Sportunterricht andere Schulfächer? Laura Huber von der Interessensvertretung der Südtiroler Sportlehrer (ISSL) will sachliche Auskunft geben.

Von wegen “Sport macht Schule”: Es wird sich wenig ändern

Im Dezember 2017 wurde von der Landesregierung ein neues Gesetz zur Erhöhung der Sportstunden an Südtirols Mittel- und Grundschulen erlassen. Demgemäß soll jede MittelschülerIn 120 Minuten regelmäßigen Schulsportunterricht pro Woche erhalten, wie in den Rahmenrichtlinien vorgesehen. Die DirektorInnen haben aufgrund der Autonomie der Schulen die Aufgabe, die Stundentafeln ihrer Schulen entsprechend zu verändern.

Nach Monaten der autonomen Planungsarbeit an den einzelnen Schulen wurden die vorläufigen Ergebnisse gesammelt, um einen landesweiten Vergleich zu ermöglichen – von der Interessenvertretung der Südtiroler SportlehrerInnen (ISSL), in Zusammenarbeit mit den Sportlehrkräften der Mittelschulen. “Das Ergebnis war enttäuschend, besonders angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Erhöhung des wöchentlichen Schulsportunterrichts in erster Linie um die Förderung der Gesundheit der Kinder und Jugendlichen geht. Abgesehen von einigen wenigen positiven Aushängeschildern soll sich an den meisten Mittelschulen des Landes wenig ändern”, zeigte sich Huber enttäuscht. Die Schülerinnen und Schüler an nicht weniger als 17 Mittelschulen im Land würden demnach weiterhin nur 100 Minuten oder gar 90 Minuten Sport pro Woche anstatt der 120 Minuten haben, trotz “Sport macht Schule”. Wie kann das sein?

Schwierigkeiten bei der Umsetzung: “Fachgruppen werden gegeneinander ausgespielt”

Am 16. März gab es auf Anfrage der ISSL ein Treffen mit Landesrat Philipp Achammer und Inspektorin Martina Rainer. Neben den Vertretern des ISSL-Ausschusses (Patrizia Gozzi, Kurt Bauer, Werner Überbacher und Laura Huber) waren beim Treffen 19 weitere Sportlehrerinnen und -lehrer als Vertreter der einzelnen Bezirke anwesend. Beim Gespräch sei laut Huber klar geworden, welche enormen Schwierigkeiten es bei der praktischen Umsetzung des neuen Gesetzes für mehr Sport an Südtirols Schulen gäbe – abgesehen davon, dass das Arbeitsklima in den Lehrerkollegien stark darunter leiden und dass bei der Änderung der Stundentafeln verschiedene Fachgruppen gegeneinander ausgespielt würden.

Grundsätzlich dürften die Schulen seit Einführung der Fünf-Tage-Woche jedes Unterrichtsfach um 20 Prozent kürzen – gemessen an den Rahmenrichtlinien. Der Turnunterricht wurde bisher an den meisten Schulen bereits um 17 Prozent gekürzt. Andere Fächer sind nur um wenige Prozentpunkte gekürzt worden, einige sind sogar im Plus. Es wäre also für Huber “nur logisch, die bestehenden Stundentafeln wieder einmal umzuschichten, um die erhebliche Kürzung des Sportunterrichts auszugleichen. Schulen, die mit 45 Minuten-Einheiten arbeiten, erreichen gar nur 90 Minuten Sportunterricht. Das bedeutet eine Kürzung von 25 Prozent und ist nicht einmal gesetzlich in Ordnung. Solange allerdings die Entscheidung im Plenum fällt, hat die Erhöhung der Stunden schlechte Karten: An den Schulen gibt es sehr wenige Lehrpersonen für Bewegung und Sport, und die Mehrzahl der Lehrpersonen für andere Fächer stimmt dagegen, verständlicherweise will keine Fachgruppe freiwillig Stunden abgeben”, erläutert die Sportlehrerin die Situation.

Die Diskussionen in den Lehrerkollegien hätten das Arbeitsklima an vielen Schulen erheblich beeinträchtigt, so Huber. “Sportlehrkräfte werden von anderen Lehrpersonen verbal attackiert, wenn sie versuchen, auf einer sachlichen Ebene für die Wichtigkeit der Umsetzung der neuen Rahmenrichtlinien zu argumentieren. Fachgruppen fühlen sich benachteiligt, beschweren sich bei den zuständigen Landesämtern, oder sie wenden sich an die Medien. Die dabei vorgebrachten Argumente sind manchmal unsachlich und inhaltlich nicht korrekt”, kritisiert Huber.

Sportlehrer stellen klar: “Sportunterricht steht nicht in Konkurrenz zu anderen Fächern”

“Bei der Änderung der Rahmenrichtlinien handelt es sich nicht um einen Angriff des Sportunterrichts auf andere Fächer, sondern um eine Gesetzesreform zur Verbesserung des schulischen Bewegungsalltags zum Wohl der Kinder. Das dauernde Sitzen in der Schule, im Bus und zu Hause (Stichwörter Smartphone und Hausaufgaben) wirkt sich insgesamt sehr negativ auf die psychomotorische Entwicklung vieler Kinder und Jugendlichen aus. Es ist uns ein Anliegen, einen Beitrag zur – gesetzlich vorgeschriebenen – Gesundheitserziehung an den Schulen zu leisten”, so Huber.

“Das hier Gesagte betrifft in gleicher Weise Grund- und Mittelschule, wobei an den Grundschulen allerdings nicht flächendeckend ausreichend ausgebildetes Personal vorhanden ist (siehe Schulsportstudie 2009). Seit der eben genannten Studie sind Jahre vergangen, doch hat sich die Situation nicht verbessert. Schade, denn wenn wir unsere Kinder und Jugendlichen nicht schleunigst mehr bewegen, haben wir in unserem Land bald mehr Menschen die an Bewegungsmangelkrankheiten leiden, als es sich unser Gesundheitssystem leisten kann. Ob wir uns damit als Gesellschaft etwas Gutes tun, darf ernsthaft bezweifelt werden”, warnt Huber abschließend.

Von: mho