Von: mk
Oberbozen – Der Katholische Familienverband Südtirol (KFS) ist am Samstag mit neuem Konzept in die mittlerweile neunte Ausgabe des KFS-Familienkongresses gestartet. Professor Holger Ziegler von der Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld, Evolutionspädagogin Rita Schwingshackl und Sozialpädagoge Manuel Oberkalmsteiner spannten den Bogen vom Thema Achtsamkeit und Beachtung bis hin zur Medienerziehung. Auch die Kinder und Jugendlichen selbst waren am Samstag als Kongressteilnehmende dabei und holten sich im Workshop mit dem Psychologen Michael Reiner Tipps für den sicheren Umgang mit Smartphone und sozialen Medien, bevor es mit dem Erlebnispädagogen Georg Pardeller hinaus ins Freie ging.
Warum eigentlich Familie? Diese Frage stellte Holger Ziegler, Professor für soziale Arbeit an der Universität Bielefeld und Hauptreferent beim neunten KFS-Familienkongress provokant in den Mayr-Nusser-Saal im Haus der Familie in Oberbozen. Wer argumentieren möchte, wofür es Familie braucht, könne schließlich viele Aspekte finden, die auch andere Institutionen genauso gut erfüllen und die ihre Leistungen sogar gerechter auf alle Kinder verteilen können, erklärte er. „Wenn es etwas gibt, das völlig jenseits der eigenen Entscheidung feststeht, dann die Familie, in die wir hineingeboren werden. Gleichzeitig ist sie es, die am meisten prägt. Und sie ist die Institution, die die stärkste Ungleichheit produziert, sie ist es, die die Lebenschancen verteilt, ob wir etwa wohlhabend aufwachsen oder nicht.“ Warum also sollte eine demokratische Gesellschaft ein solches Ungleichgewicht fördern? „Weil Familie als einzige ein ungemein wertvolles Gut produziert, nämlich eine Liebes-Sorge-Beziehung, die bedingungslose Sorge um das Wohlergehen der Kinder, das aufrichtige Interesse und das Sich-Kümmern.“
Dass es dramatische Auswirkungen auf das Aufwachsen und auf unser Zusammenleben hat, wenn diese Beziehung nicht gegeben ist, kennt Ziegler aus seiner Arbeit für die Kinder- und Jugendhilfe. Eine seiner bekanntesten Studien zum Thema Achtsamkeit, für die er über 1000 Kinder, Jugendliche und Eltern befragt hat, zeigt jedoch Grund zum Optimismus. Etwa 70 Prozent der Kinder fühlen sich von ihren Eltern voll und ganz beachtet. „Unsicherer sind aber die Eltern selbst“, berichtet der Erziehungswissenschaftler. Gerade das Keine-Zeit-Haben sei eine Gegenwartserfahrung, die alle teilen. Trotzdem sei eine gelungene Liebes-Sorge-Beziehung in allen sozialen Schichten und auch unter ungünstigen Rahmenbedingungen möglich. Dran ändere auch die Digitalisierung nichts. Aufgabe der Familienpolitik müsse es sein, diese vor allem anderen zu fördern und den Wert der Familie zu stärken.
„Es macht einen Unterschied, wenn man weiß, dass jemand an einen denkt und einem Beachtung schenkt. Kinder brauchen diese Menschen“, ist Rita Schwingshackl überzeugt. Im Workshop mit der Evolutionspädagogin erlernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Bewegungsspiele und Techniken, um Blockaden zu erkennen und zu lösen. „Die Ersterfahrungen die Kinder etwa mit Lernen, mit Neugierde machen, sind sehr prägend und wirken sich auf die weitere Entwicklung aus“, erklärte Schwingshackl. Sie forderte die Kongressteilnehmer heraus, sich auch selbst an verschiedenen Übungen zu versuchen und zeigte Tricks, wie zuvor schwierige Schritte, plötzlich ganz von selbst gelangen.
200 bis 300 Nachrichten verschicken Kinder und Jugendliche täglich mit ihrem Smartphone. Diese Zahlen präsentierte Manuel Oberkalmsteiner, Sozialpädagoge im Forum Prävention, und beruhigte gleichzeitig die Eltern. Genauso wie Generationen vor ihnen, suchen auch die heutigen Jugendlichen halböffentliche Räume, abseits der elterlichen Einflussnahme. Diese Räume finden sie in digitalen Netzwerken, auf Snapchat, WhatsApp oder Instagram. Auch die Stars und Vorbilder lachen nicht mehr vom Poster im Teenie-Zimmer, sondern wie Bibi aus „Bibis Beauty-Palace“ aus dem YouTube-Video. Wie Eltern mit der Mediennutzung ihrer Kinder umgehen können, zeigte Oberkalmsteiner mit der Nachstellung klassischer Szenen, wie sie in jeder Familie vorkommen können. Und einfach verbieten? „Bei einem Handyverbot sollte uns immer bewusst sein, dass wir nicht nur ein technisches Gerät verbieten, sondern damit auch den Kontakt zu den Freunden unterbinden“, erklärte er. Auch wenn Jugendliche das Smartphone nicht wieder weggeben würden, so spüren sie selbst das Ungleichgewicht, wenn sie es zu häufig verwenden und versuchen auch von alleine Strategien zu finden, die Medienzeit zu regulieren.
Kinder und Jugendliche ab acht Jahren durften heuer erstmals selbst am Kongress teilnehmen. Mit Micheal Reiner, besprachen die Digital Natives die positiven und negativen Seiten der Mediennutzung und lernten auch das eigene Medienverhalten zu hinterfragen. „Schwimmen kann jeder, surfen leider nicht“, hob der Psychologe bei Young & Direct hervor und zeigte praktische Tipps, wie man Fallen im Netz vermeiden kann.
Anschließend holte Georg Pardeller die Gruppe zum Kontrastprogramm hinaus ins Freie. Statt dem virtuellen Netz wurden vor dem Haus der Familie mit Seilen wirkliche Netzwerke gespannt und ganz reale Kontakte geknüpft, bei Abenteuerspielen körperliche Grenzen ausprobiert.