Inklusion im Bildungssystem

unibz: Miteinander statt nebeneinander

Mittwoch, 14. Oktober 2020 | 22:07 Uhr

Bozen – Inklusive Bildung ist in Italien selbstverständliche Praxis und doch mangelt es an Ressourcen und Personal, um dieses Ziel nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen. Dennoch können Schulen und Kindergärten auf langjährige Erfahrung und gewachsene Strukturen aufbauen und nehmen damit international gesehen eine Vorreiterposition ein. Mit einem neu gegründeten Kompetenzzentrum für Inklusion im Bildungssystem wird nun an der Freien Universität Bozen verstärkt auf Forschung und Weiterbildung sowie internationale Vernetzung in diesem Fachgebiet gesetzt. „Wir wollen Südtirols Brückenfunktion für das Bekanntmachen und die Diskussion des italienischen und Südtiroler Inklusionsmodells im internationalen Raum nutzen und Forschungsprojekte zu Fragen vorantreiben, die für die lokalen Bildungsinstitutionen relevant sind“, kündigte das weibliche Führungsgremium des Kompetenzzentrums im Rahmen einer Pressekonferenz an.

Mehr als 40 Jahre sind vergangen, seit in Italien im Jahr 1971 gesetzlich festgelegt wurde, dass auch Schülerinnen und Schüler mit einer Beeinträchtigung ihre Schulpflicht an Regelschulen absolvieren. Damit war die Basis für ein inklusives Bildungssystem gelegt, mit dem sich Italien grundlegend von Schulsystemen mit Sonderschulen unterscheidet, die zum Beispiel im deutschsprachigen Raum bis heute verbreitet sind. Auch in Südtirol kann man deshalb auf eine jahrzehntelange Erfahrung mit inklusiver Bildung zurückblicken, die zudem von der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der Region geprägt ist. An der Fakultät für Bildungswissenschaften der unibz wurde dem Fachgebiet von Beginn an ein großer Stellenwert in der Forschung und Ausbildung eingeräumt, wie zuletzt auch die Spezialisierungslehrgänge für Integrationslehrpersonen zeigten.

Um die Zusammenarbeit zwischen Universität und Bildungsinstitutionen zum Thema Inklusion weiter zu stärken, wurde auf Landesebene bereits mit dem Gesetz Nr. 7/2015 die Schaffung eines universitären Kompetenzzentrums in die Wege geleitet. Dieses Zentrum hat nun an der unibz seine Tätigkeit aufgenommen. „Kompetenzzentren sind für die Universität ein Instrument, um Forschung in Bereichen voranzutreiben, die für Südtirol besonders wichtig sind“, erklärte der Prorektor für Forschung Prof. Johann Gamper. „Dabei liegt der Schwerpunkt auf angewandter Forschung in enger Zusammenarbeit mit lokalen Stakeholdern.”

Inklusionsbezogene Bildungsforschung widmet sich der Frage nach Partizipation und Lernen aller Kinder mit spezifischem Augenmerk auf Verschiedenheit. Unter diesem Blickwinkel untersucht sie die Bildungspraxis, die Professionalisierung von Fachpersonal sowie die Entwicklung der Bildungsinstitutionen und des Bildungssystems. In den Forschungsarbeiten der Kompetenzzentrums geht es vor allem darum, auf Basis solcher Erkenntnisse Impulse zu geben – sowohl regional für die Praxis als auch international zur Weiterentwicklung des Fachgebietes. „Mit dem Kompetenzzentrum investiert unsere Universität in die Weiterentwicklung sowie das Sichtbarmachen unseres besonderen Inklusionsmodells “, erklärte die Direktorin des Kompetenzzentrums Prof. Heidrun Demo im Rahmen der heutigen Pressekonferenz.

Die Covid-19-Pandemie hat nicht nur die offizielle Vorstellung des im Frühjahr 2020 operativ gewordenen Kompetenzzentrums auf Herbst verschoben. Sie hat vor allem erneut gezeigt, wie groß aller Erfahrungen zum Trotz die Herausforderung bleibt, Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer Befähigung, dem Beherrschen der Schulsprache oder der ökonomischen Lage gleichberechtigt am Unterricht teilhaben zu lassen. „Das Konzept Inklusion ist nie fertig“, unterstreicht Vize-Direktorin Prof. Simone Seitz, „Umwelt und Gesellschaft verändern sich und es ist unsere Aufgabe, ein waches Auge auf Ungleichheit im Bildungsbereich zu haben“. Umso wichtiger sei ein enger Austausch der Forschung mit Lehrpersonen und Familien, wie ihn das Kompetenzzentrum auch während der Monate des Lockdowns angeboten hat. „Wir haben einen offenen Dialog praktiziert, indem wir uns regelmäßig digital in Gruppen mit Lehrpersonen und Eltern getroffen haben, um konkrete Probleme zu behandeln und den Austausch zu stärken“, erzählt die Forscherin Vanessa Macchia.

Eine zentrale Rolle in der Tätigkeit des Zentrums wird laut dem Führungsgremium auch die international angelegte Forschung spielen. Ziel ist es, das italienische und Südtiroler Inklusionsmodell in internationalen Kontexten darzustellen und zur Diskussion zu stellen. Zum anderen dient die Vernetzung mit internationalen Forschungsnetzwerken auch der lokalen Weiterentwicklung inklusiver Bildung, die von dem Vergleich und Dialog mit anderen Systemen profitieren kann.

Die Praxisrelevanz und der Wissenstransfer der Forschung werden über einen engen Dialog mit den drei Bildungsdirektionen des Landes abgesichert. Welcher Mehrwert sich daraus für die gesamte Gesellschaft ergibt, hob in Vertretung der drei Schulämter Giuseppe Augello von der italienischen Bildungsdirektion hervor: „Die Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum gibt immer wieder wertvolle Impulse für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der inklusiven Praxis an unseren Schulen“, erklärte er. So können auch unmittelbar für das regionale Umfeld relevante Themen aufgegriffen werden, wie zum Beispiel die Frage nach Konzepten zum konstruktiven Umgang mit herausforderndem Verhalten an Bildungsinstitutionen. Aktuell konnte das Kompetenzzentrum bereits ESF-Mittel einwerben, um ein Projekt zur Begleitung von Lehrpersonen in der Erstellung individueller Bildungspläne mit Partizipation von Jugendlichen abzusichern. „Auch hier wollen wir unser Brückenfunktion nutzen, und eine zweisprachige Fortbildung mit Referent*innen aus dem deutschsprachigen und aus dem italienischen Raum anbieten“, so Prof. Heidrun Demo.

Neben den Mitgliedern des Führungsorgans sind im Kompetenzzentrum noch drei weitere Forscher*innen beschäftigt. Eine fixe Zusammenarbeit innerhalb der Fakultät für Bildungswissenschaften besteht mit dem italienweit bekannten Inklusionsexperten und Professor der Freien Universität Bozen Dario Ianes. Darüber hinaus beraten internationale Experten wie Prof. Vera Moser (Universität Frankfurt), Prof. Mel Ainscow (Universität Manchester) und Prof. Gottfried Biewer (Universität Wien) das Kompetenzzentrum.

 

Von: bba

Bezirk: Bozen