Von: apa
Asaf Avidan hat mit “Unfurl” ein tollkühnes, hoch emotionales Album abgeliefert. Der in Frankreich lebende, israelische Künstler mit einzigartiger Stimme verbindet Jazz, Rap und Folk mit orchestralen Klängen, die an Filmmusik erinnern. Der 45-Jährige steht nicht nur für innovative Klänge, sondern auch für Dialog: “Die Idee, Musik als Brücke und nicht als Mauer zu nutzen, erscheint mir sinnvoller”, betont er im APA-Interview. Am 5. Dezember tritt er im Wiener Gasometer auf.
Fünf Jahre sind zwischen dem aktuellen Album und dem Vorgänger “Anagnorisis” vergangen. In Berichten war von einer Schreibblockade zu lesen. “Man kann es Schreibblockade nennen – oder sagen, dass ich fünf Jahre gebraucht habe, den ersten Song für das Album zu schreiben”, sagt Avidan. “Es ist nicht so, dass ich nicht geschrieben hätte. Ich saß nicht etwa zu Hause und trank Martinis. Ich meine, obwohl ich das schon tat”, schmunzelt der Künstler, “aber ich habe geschrieben.”
Außerdem soll er an Panikattacken gelitten haben, wurde kolportiert. Tatsächlich hatte sich Avidan mit dem “Roten Buch” von C.G. Jung intensiv beschäftigt, das die Auseinandersetzung des Schweizer Tiefenpsychologen mit dem Unbewussten dokumentiert. Avidan versuchte sich an Techniken, “die Grenzen zwischen dem Unterbewusstsein und dem Bewusstsein verschwimmen” lassen, erzählt er. Es sei fast wie ein LSD-Trip gewesen: “Ich fiel in eine Leere, die ich nicht erklären kann.” Er schrieb Traumtagebücher, mietete sich ein Haus am Meer in Mexiko, las, schrieb, lebte: “Und alles schien so oberflächlich.”
Brad Pitt und Hitchcock-Film als “Geburtshelfer”
Dann besuchte Brad Pitt ein Konzert von Avidan und lud den Musiker nach Miraval ein. “Er besitzt ein riesiges Anwesen in Südfrankreich, etwa drei Autostunden von mir entfernt. Ich wusste, dass er dort ein legendäres Studio wiedereröffnet hat. ‘The Wall’ von Pink Floyd wurde dort aufgenommen, wie viele andere großartige Alben. Ich sagte ihm, dass ich keine Songs hätte. Er meinte, ich solle trotzdem kommen, vielleicht würde es mich ja inspirieren, neue zu schreiben.”
Nachdem er alles andere ergebnislos versucht hatte, fuhr Avidan zum Anwesen. “Ich sah Pitt zwar nie wieder, aber ich war sein Gast und wurde in dieser Villa untergebracht, weitab vom Rest des Geländes. Ich war völlig allein. Und es regnete. Ununterbrochen. Eigentlich sollte es schönes Wetter sein, aber es regnete einfach immer weiter. Es fühlte sich an wie in einem Kurosawa-Film, ständig prasselte Regen ans Fenster”, schildert Avidan. Ich weiß nicht, warum es passiert ist, aber die ersten drei Songs des Albums entstanden dort.”
Wieder zu Hause sah sich Avidan einen Hitchcock-Film an, der Soundtrack von Bernard Herrmann hinterließ Eindruck. “Ich dachte: Moment mal, genau diesen Sound will ich haben. Als all diese Teile zusammenkamen, schrieb sich das Album quasi von selbst – in etwa zwei Wochen. Hat es also zwei Wochen gedauert, bis ich meine Songs für das Album fertiggestellt hatte? Oder waren es fünf Jahre mit all diesen Experimenten?”, so Avidan.
“Scheiß drauf, mach’s einfach”
Für ihn sei es gleich klar gewesen, dass die Lieder auf “Unfurl” nicht radiotauglich sind. “Dass es keine Top-40-Hits werden, und dass nicht das sein wird, was Kids hören werden, wusste ich schon sehr früh. Und das hat mir wahnsinnige Freiheit gegeben. Ich dachte: Weißt du was? Scheiß drauf, mach’s einfach, ist mir jetzt egal. Wenn’s Anklang findet, findet’s Anklang, und wenn nicht, dann eben nicht. Dann bin ich total durchgedreht, habe alles, was da war, einfach zu etwas Größerem gemacht. Wirklich!”
Um seine Ideen umzusetzen, holte Avidan ein Orchester und ein Jazzensemble ins Studio. Auf Tournee tritt er in einem Film-Noir-Ambiente mit Band auf. Der Sänger: “Ich bin strikt gegen den Einsatz von Computern und Playback in meinen Shows, daher wird alles live gespielt. Wir versuchen, nicht nur die Musik, sondern die gesamte Atmosphäre des Albums wiederzugeben – dieses Gefühl, sich in einem Wohnzimmer der 40er-Jahre zu befinden, in einer Zeit und an einem Ort, wo die Dinge noch nicht so schnelllebig waren wie Instagram-Reels. Das ist zumindest meine Vorstellung dieser Zeit.”
Plädoyer für den Dialog
Bei seinen Konzerten lässt Avidan Informationen über NGOs auflegen, in denen Israelis und Palästinenser, “die beschlossen haben, dass Gewalt nicht länger die Lösung für alles sein kann”, zusammenarbeiten. “Menschen, die auf beiden Seiten Familienmitglieder verloren haben, sprechen miteinander, nicht um Rache zu üben, sondern um den Teufelskreis von Gewalt zu durchbrechen”, so Avidan, der sich, nicht nur den Nahost-Konflikt betreffend, gegen einseitige Sichtweisen ausspricht: “Wenn du wirklich etwas verbessern willst, dann schlag dich nicht nur auf eine Seite, sondern beziehe beide Seiten ein.”
(Das Gespräch führte Wolfgang Hauptmann/APA)
(S E R V I C E – www.asafavidan.com – www.barracudamusik.at)




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