Milch unter der Lupe

Macht Milch dick?

Samstag, 02. März 2019 | 08:19 Uhr

Kuhmilch galt lange Zeit als Inbegriff des gesunden Lebensmittels: viel Kalzium, gut für die Knochen. Doch inzwischen gilt Milch vielen als Dickmacher. Was ist nun richtig? Und was ist der Unterschied zwischen fettarmer, Bio- und Rohmilch?

Die Bandbreite im Milchregal ist heute deutlich größer als in den 50er-Jahren. Selbst pflanzliche Alternativen sind weit verbreitet. Doch allein bei der Kuhmilch gibt es Unterschiede, die zu bedenken sind und vor allem von der Verarbeitung abhängen:

Rohmilch

Kommt die Kuhmilch direkt vom Euter in die Flasche, wird sie als Rohmilch bezeichnet. Diese ist so allerdings auf dem freien Markt nicht erhältlich, sie darf nur von den Bauern selbst als “Milch ab Hof” an die Verbraucher abgegeben werden, und auch dies nur unter strengen Vorgaben. Hintergrund dieser strengen Regelung ist, dass in der unverarbeiteten Milch oft Erreger vorkommen, die beim Melken in die Milch gelangen.

Frischmilch

Frischmilch ist nach der Vorzugsmilch die am wenigsten weiterverarbeitete Milch. Um die in der Milch vorkommenden Bakterien abzutöten, wird sie pasteurisiert, das heißt für circa 15 bis 30 Sekunden auf 72 bis 75 Grad erhitzt. Ungeöffnet ist die Frischmilch dann etwa acht Tage gekühlt haltbar. Bis vor einigen Jahren konnten wir auf den Frischmilchpackungen im Kühlregal also immer lesen: “pasteurisiert”. Eher schleichend und von den meisten Verbrauchern auch unentdeckt, wurde die Frischmilch seit 2003 von der ESL-Milch in den Kühlregalen der Supermärkte fast abgelöst.

ESL-Milch

Verpackungen und Bezeichnung der ESL-Milch (englisch: “extended shelf life” heißt “im Regal länger haltbar”) unterscheiden sich kaum von der klassischen Frischmilch – bis 2009 gab es hierzu keine gesetzliche Regelung. Erst eine gemeinsame Erklärung von Politik, Milchindustrie und Einzelhandel, welche die klassische Frischmilch durch den Zusatz “traditionell hergestellt” und ESL-Milch als “länger haltbar” bezeichnet, brachte etwas Klarheit.

In der Produktion wird ESL-Milch durch zwei mögliche Verfahren gewonnen: entweder kürzer, aber stärker als klassische Frischmilch erhitzt – für ein paar Sekunden auf zwischen 85 und 127 Grad. Oder aber mikrofiltriert, ein spezielles Vorgehen, bei dem die Milch durch verschiedene Filter gepresst wird. In beiden Fällen ist ESL-Milch ungeöffnet und gekühlt bis zu drei Wochen haltbar.

H-Milch

Wer selten Milch trinkt und dennoch nicht auf seinen Milchvorrat verzichten will, greift meist zur H-Milch, auch Haltbarmilch. Sie ist ungeöffnet und ungekühlt bis zu sechs Monate frisch. Die lange Haltbarkeit wird durch eine Ultrahocherhitzung auf 135 bis 150 Grad für ein bis zwei Sekunden erreicht. Der Vitamingehalt beträgt gegenüber der Rohmilch um die 80 Prozent, der Frischmilch bleiben dagegen zwischen 90 und 95 Prozent der Vitamine erhalten.

Fettarme Milch

Seit Jahren sehr beliebt sind auch die fettarmen Versionen dieser drei Milchvarianten. Da normale Vollmilch bis zu 3,8 Prozent Fett enthält, bevorzugen viele Menschen fettarme Milchprodukte, die meist zwischen 1,5 und 1,8 Prozent liegen. Um dies zu erreichen, wird die Milch geschleudert und der fette Teil – auch Rahm genannt – vom flüssigen Teil getrennt. Je nachdem welchen Fettgehalt die Milch erhalten soll, wird nur ein bestimmter Prozentsatz des Rahms wieder hinzugefügt.

Homogenisierte Milch

Liest man etwas genauer, was auf der Milchpackung steht, fällt in den meisten Fällen die Bezeichnung “homogenisiert” auf. Dieses Verfahren führt dazu, dass sich in der Milch wässrige und fette Anteile zu einer schönen weißen Flüssigkeit vermengen. Nicht-homogenisierte Milch rahmt stark auf, das heißt, die in der Milch enthaltenen Fettkügelchen setzen sich an der Oberfläche als Rahm ab. Um dies zu vermeiden, wird die Milch mit hohem Druck durch sehr feine Düsen gepresst, die Fettkügelchen werden zu kleineren Teilen zerstäubt und mischen sich dauerhaft gleichmäßig mit den anderen Bestandteilen.

Biomilch

Alle Milchsorten gibt es auch noch als Biomilch. Für die Erzeugung gelten spezielle Regeln wie die Milchkühe gehalten und gefüttert werden dürfen. Grundsätzlich gibt es viele verschiedene Bio-Siegel, die unterschiedlich strengen Vorlagen unterliegen. Am weitesten verbreitet sind das deutsche Bio-Siegel und das EU-Bio-Siegel. Beide Siegel sagen aus, dass die Milchkühe ausreichend Platz im Stall und Zugang zu einer Außenfläche haben. Das Futter muss zu 95 Prozent aus ökologischem Anbau stammen und darf keine Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker oder gentechnisch veränderte Stoffe enthalten. Werden Kühe transportiert, ist darauf zu achten, den Stress für sie so gering wie möglich zu halten.

Heumilch

Kühe, die Heumilch produzieren, bekommen ausschließlich Gras, Hülsenfrüchte, Getreide und Heu zu fressen. Die sogenannte Silage, also vergorenes Futter aus Gras oder Getreide, ist nicht erlaubt. Heumilch gilt als hochwertiger als konventionelle Milch im Bezug auf Inhaltsstoffe und Geschmack. Weil sie wenig Bakterien enthält, die bei der Käsereifung stören könnten, wird aus ihr vor allem Rohmilchkäse hergestellt. Heumilchprodukte tragen das EU-Zeichen “garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.)”, das mit verschiedenen Auflagen verbunden ist. Zum Beispiel dürfen Heumilch-Kühe kein gentechnisch verändertes Futter bekommen.

Am Fettgehalt der Milch spalten sich die Meinungen:

Seit Jahren diskutieren Ärzte, Ernährungswissenschaftler und neuerdings auch Blogger über den Gesundheitswert der Kuhmilch. Besonders im Internet finden sich pauschale Urteile, etwa dass Milch mit “Blut und Eiter verseucht sei” und “dick, schlapp und pickelig mache”. Andere Kritiker verweisen darauf, dass der Verzehr von Milch angeblich zu Übergewicht führt, und das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs erhöhe.

Viele der Argumente basieren auf dem relativ hohen Fettgehalt der Milch: In 100 Milliliter Vollmilch sind circa 3,5 Gramm Fett enthalten, davon sind rund zwei Gramm gesättigte Fettsäuren. Mediziner gehen davon aus, dass Lebensmittel mit einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren den LDL-Cholesterinspiegel steigen lassen. LDL-Cholesterin ist wiederum bekannt dafür, das Risiko für Herz-Kreislauf-Leiden zu erhöhen. “Ihren teils schlechten Ruf hat die Milch deswegen zum Großteil dem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren zu verdanken”, erklärt Professor Bernhard Watzl, Leiter des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max Rubner-Institut in Karlsruhe. Doch bisher deutet die Forschungslage nicht darauf hin, dass die gesättigten Fettsäuren in der Kuhmilch diesen negativen Effekt haben.

Um eine verlässliche Einschätzung zu diesen Theorien zu erhalten, fassten Watzl und sein Institut über 200 internationale Studien zum Gesundheitswert der Kuhmilch zusammen. In ihrem Bericht “Ernährungsphysiologische Bewertung von Milch und Milchprodukten und ihren Inhaltsstoffen” gibt das Institut Entwarnung, wenn es um erhöhte Krankheitsrisiken geht. Dazu gehören auch Symptome wie Schlappheit und Verschleimung der Atemwege. Ganz im Gegenteil, in vielen Fällen würde ein höherer Milchkonsum sogar zu einem niedrigeren Krankheitsrisiko führen: so bei Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfällen, und Dickdarmkrebs. Der Blutdruck würde sinken und die Knochendichte sich erhöhen.

Sind gesättigte Fettsäuren in der Milch gesund?

Aber wie ergibt das Sinn? Wie kann die Milch, die so viele gesättigte Fettsäuren enthält, genau vor den Krankheiten schützen, die normalerweise dadurch verstärkt werden? Im Gespräch mit Watzl kann dieser auf solche Fragen keine eindeutigen Erklärungen anbieten. Da tappe die Forschung noch ziemlich im Dunkeln, sagt er. “Aber wir wissen, dass Kuhmilch in ihrer chemischen Zusammensetzung einzigartig ist.” Mit bis zu 400 verschiedenen Fettsäuren, die von ihrer Struktur her sehr besonders und teils selten sind, ist die Kuhmilch kaum vergleichbar mit irgendeinem anderen Lebensmittel. Möglicherweise liegt also hier das Geheimnis der gesundheitsfördernden Wirkung der Milch – möglicherweise ist dieser spezielle Fettanteil eben genau verantwortlich für die positive Wirkung der Milch.

Zwei wissenschaftliche Befunde sprechen momentan für diese These: Einerseits vermindern sich die gesundheitsfördernden Effekte von Milch, wenn die Fettkügelchen in kleinere Teile zerstreut werden – die meiste, in den Supermärkten erhältliche Milch ist so homogenisiert. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Vollmilch gesünder ist als fettreduzierte Milch. Umso mehr Fett in der Milch enthalten ist, und je ursprünglicher die Fettkügelchen in ihrer Form erhalten bleiben, umso gesünder ist die Milch also? Watzl ist hier sehr vorsichtig, kann sich aber vorstellen, dass zukünftige Forschungsergebnisse in diese Richtung weisen könnten. Einiges spricht dafür, dass die Wirkung von Milchfett nicht gleichzusetzen ist mit ähnlichen Fetten in anderen Lebensmitteln.

Bio- und Alpenmilch enthalten mehr Omega-3-Fettsäuren

Forscher fanden auch heraus, dass Biomilch einen höheren Anteil an ungesättigten Fettsäuren aufweist als Milch aus konventionellen Großbetrieben. Besonders der Anteil an Omega-3-Fettsäuren ist in der Biomilch fast verdoppelt. Die Zufuhr dieser Fettsäuren ist für den menschlichen Organismus besonders wichtig, da er sie nicht selbst produzieren kann. Der Körper gewinnt sie, neben Milch, nur aus wenigen anderen Nahrungsmitteln wie manchem Fisch oder pflanzlichen Ölen und benötigt sie zur Verwertung anderer Fettsäuren. Watzl betont aber, dass es die Art der Fütterung ist, die diesen Anstieg verantwortet. “Das Entscheidende ist, dass die Kühe auf Weiden grasen können, anstatt Konzentrat zum Fressen zu kriegen. Alpenmilch hat in dieser Hinsicht also eine ähnlich positive Zusammensetzung wie Biomilch”, erklärt er.

Nur in einem Punkt bestätigte das Max Rubner-Institut auch negative Effekte. Männer, die über längere Zeit sehr viel Milch tranken – täglich mehr als 1,25 Liter – haben wahrscheinlich ein erhöhtes Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken.

Angesichts dieser vielen positiven Studienergebnisse kann Watzl nicht ganz verstehen, warum die Milch bei vielen Menschen einen so schlechten Ruf hat. Wir Europäer gehören zu einem Teil der Menschheit, der seit Jahrtausenden Milch als wichtigen Nährstofflieferanten verwerten kann – ein großer Vorteil, denn damit waren unsere Ahnen unabhängig von schlechten Ernten und anderen jahreszeitlich schwankenden Ernährungsbedingungen. Watzl sagt, er fände es schön, wenn die Menschen wieder mehr Vertrauen in den gesundheitlichen Nutzen von Milch hätten. Er glaubt, dass die Milch für uns noch immer genauso gesund ist, wie sie es einst für unsere Vorfahren war.

Von: bba