Südtiroler Sextherapeutin hilft weiter

Sexflaute bei Paaren: Die Ursachen liegen oft tiefer

Donnerstag, 22. Februar 2018 | 07:15 Uhr

Bozen – In Sachen Sexualität wirkt unsere Gesellschaft auf den ersten Blick freizügig und offen. Doch der Schien trügt. Weil vor allem Medien Bilder vom perfekten Liebhaber und der idealen Verführerin vermitteln, die immer Lust haben und immer können, werden falsche Erwartungshaltungen geweckt und es entsteht Druck. Das muss nicht sein, denn dass Paare Phasen von Lustlosigkeit durchlaufen, ist normal.

Südtirol News hat mit der Südtiroler Sexualtherapeutin Miriam Pobitzer darüber gesprochen: Sie meint, dass eine Sexflaute in einer Beziehung oft nur der Gipfel des Eisbergs ist und die eigentlichen Ursachen tiefer liegen. Dabei hapere es meist schon an der Kommunikation. Nur eine vertraute Beziehung ermöglicht intime Liebe und intensiveren Sex. Pobitzer gibt den einfachen Rat “Liebe leben, Sex vergessen”, und fügt hinzu, dass in einer Langzeitbeziehung weniger Sex eigentlich der Normalzustand ist.

 

Frau Pobitzer, wie kann man sich ihre Arbeit vorstellen?

Meine Arbeit gliedert sich in drei Teile: zuhören, Neues vermitteln, begleiten. Meine Arbeit besteht aus Kommunikation und ich gebe Übungen für Zuhause auf. Ich liebe meine Arbeit und damit natürlich die Menschen, mit denen ich spreche. Das ist das Kernstück: Ich lebe verbales Mitgefühl bei meiner Arbeit. Das kommt beim Sex oft zu kurz und deshalb erkranken viele am Sex.

 

Gehören Ehepartner oder Menschen in Langzeitbeziehungen zu ihrer „Stammkundschaft“?

Partner, die vor dem Aus der Beziehung stehen, leiden unter der Krisensituation und entscheiden sich deshalb oft für eine Hilfe von außen. Häufig wird dem Sex die Schuld für die Krise gegeben und deshalb dort nach einer Lösung gesucht. Sex ist aber nur der Gipfel vom Eisberg. Die Menschen mit ihren kommunikativen und partnerschaftlichen Fähigkeiten schaffen eine Situation, in der Liebe und Sex möglich sind – oder eben nicht.

Ich arbeite auch mit Menschen, die von Urologen und Gynäkologen geschickt werden, weil das körperliche Problem eine nicht körperliche Ursache hat. Die Lösung liegt deshalb im Aufarbeiten von Gefühlen und im Ändern von Gedanken und Verhaltensmustern, häufig auch im Ablegen von Blockaden.

Oft hören sich auch junge Menschen um die 20 gern einen Tipp an, das freut mich sehr. Ich bin natürlich idealistisch und denke mir: Wenn die “Basics” passen, dann kann es nur gut gehen.

Und diese sind menschlicher Natur: Nähe, Wärme, Vertrauen, Sicherheit, Geborgenheit, Akzeptanz und Austausch. Also guter Sex kommt von Menschen, die per se liebesfähig sind. Und daran lässt sich gut arbeiten.

 

Ist einschlafender Sex die größte Gefahr für eine Langzeitbeziehung?

Einschlafender Sex ist leider nur das Ende einer oft schleichenden Entwicklung in die Entfremdung und das Ergebnis eines stillen Machtkampfs. Leider sind wir gesellschaftlich auf genitalen Sex reduziert, was sowohl der  Liebesqualität als auch der Beziehung schadet. Was wir brauchen ist ein neuer Zugang zum gesamten Thema Sex. Sex kann nicht auf die Genitalien reduziert werden. Die Ernährung auch nicht auf das Kauen.

 

Stimmt etwas nicht, wenn der Sex fehlt?

Je nachdem, was wir unter Sex verstehen. Penetration von Penis in Scheide ist oft mehr schlecht als recht. Es ist häufig heilsam, wenn es das nicht mehr gibt und das Paar sich wieder als Menschen erkennt und nicht als sexuelle Leistungsmaschinen. Alles, was mit Sex zusammen hängt, macht oft Stress und Druck, darunter leidet in Folge die gesamte Beziehung.

Wenn die körperliche Nähe gemieden wird, fehlen Vertrauen und Sicherheit. Mann und Frau fühlen sich nicht “nackt” akzeptiert und vermeiden Situationen, in denen sie sich öffnen und gehen lassen könnten. Die genüssliche Ekstase wird vermieden, weil die Voraussetzung dafür nicht gegeben ist. Genauer formuliert stimmt die partnerschaftliche Beziehung nicht, wenn Momente der Sinnlichkeit, der Freude und des Wohlbefindens fehlen – in jeglichen Lebenssituationen. Komplizenschaft ist auch ein Begriff, der die “Basics” beschreibt: Fühlen sich die Partner als Komplizen im Leben, ist der Weg zur Intimität sehr kurz.

 

Wie häufig ist normal und wie sehr gehen die Vorstellungen zwischen Partnern da auseinander?

Normal ist ein bis zweimal pro Monat. Wenige öfter, viele gar nie. Alles andere ist von den Medien überspitztes Geschwätz, um die Sensationslust und gleichzeitig die private Unzufriedenheit zu füttern.

Stark verallgemeinert sind Männer weiter als Frauen von den Gefühlen entfernt und können sich daher leichter auf ein erregendes Erlebnis einlassen, auch wenn vieles im emotionalen Kontext nicht stimmt. Deshalb meinen Männer darunter zu leiden, dass sie zu wenig Sex bekommen. Den Frauen fehlt der Inhalt der Beziehung, und sie haben daher keine Lust, noch mehr von sich zu geben und für Ziele anderer zu funktionieren. Sie leiden unter dem Druck, sexuell funktionieren zu müssen. Männer und Frauen produzieren dann körperliche Symptome, die Sex problematisch oder unmöglich machen.

 

Also wird die Kommunikation oft vernachlässigt?

Ja, die Kommunikation wird immer vernachlässigt. Im Sexuellen, auf der körperlichen und emotionalen Ebene. Das ist das Tragische daran und gleichzeitig das Spannende. Auch Männer sehnen sich nach nichts anderem als nach dem Gefühl, geliebt zu werden. Haben das beide Teile verstanden, ist enorm viel genüssliches Potenzial vorhanden. Dann wird der Horizont weit, Frauen beginnen zu fordern und Gutes für sich zu bestimmen, Männer dürfen endlich einfach nur so sein, wie sie sind mit aller Bedürftigkeit. Damit wird aus Sex köperlich kommunizierte Liebe, und das fühlt sich viel intensiver an.

 

Welche Probleme begegnen Ihnen am häufigsten?

Lustlosigkeit bei Frauen und vorzeitiger Samenerguss bei Männer. Auch Vaginismus (Scheidenkrampf, Anmerkung der Redaktion) und jede Form von “Sexsucht” sind häufig. Unter Schmerzen während und nach des Sexualaktes leiden meist Frauen, Männer beklagen sich über die nachlassende Potenz.

 

Stichwort Untreue: Wenn in einer Beziehung im Bett tote Hose herrscht, kommt es manchmal zu Untreue. Ist das ein fataler Fehler, kann man drüber hinwegsehen oder macht es oftmals sogar Sinn?

Es kommt, ich trau mich zu sagen, immer zu Untreue in Gedanken, Worten und/oder Taten. Das kann fatal sein oder wie ein Wachrütteln oder wie ein Neustart. Treue ist ein großes und wichtiges Thema – nicht nur eine Regel, die auch mal nicht eingehalten werden kann. Das Konsumieren von Abenteuern und Adrenalin sind heute modern, deshalb wird die Untreue zum Kick. Ehrlichkeit und Verantwortung erachte ich als wichtiger als die Treue, denn das ist noch Kommunikation. Die Ehrlichkeit mit sich selber bedarf einer Schulung mehr als alles andere. Denn nur dann kann ich mir selbst treu sein.

 

Welche Ratschläge geben sie Paaren mit auf den Weg, die sich in einer kritischen Situation befinden?

Liebe leben. Sex vergessen. Sex passiert von alleine, da dürfen wir unseren Körpern vertrauen, die wissen schon, was ihnen gut tut. In die Sensibilität für uns und für die Menschen, die wir lieben, dürfen wir investieren. Das wirkt sich positiv auf das gesamte Lebensqualitätskonto aus und Sex bekommt eine neue Dimension.

Von: luk

Bezirk: Bozen