Von: luk
Bozen – Die Arbeitnehmer-Aussichten auf Südtirols Wirtschaft fallen auf einen historischen Tiefststand. „Südtirol ist der Covid-19-Krise überdurchschnittlich stark ausgesetzt“, sagt AFI-Direktor Stefan Perini, aber: „Wir haben aber auch die Kraft darauf zu reagieren, die andere Regionen oder Bundesländer nicht haben.“
In einer Sache sind sich die führenden Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitute Europas einig: Die Weltwirtschaft schlittert 2020 in die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Nicht einig sind sie sich bezüglich ihrer Intensität, die von der Dauer des ‚Shutdown‘, der Breite betroffener Tätigkeiten und der Schnelligkeit der Erholung abhängt.
Südtirols Wirtschaftsaussichten auf historischem Tiefststand
AFI-Direktor Stefan Perini schickt voraus: „Unsere Umfrage zum aktuellen Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmer wurde zwischen 20. Februar und 20 März durchgeführt. In den ersten Interviews schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Doch die Stimmung änderte sich schlagartig ab der zweiten Märzwoche, als sich die Pandemie zuspitzte.“ Am stärksten schlägt sich der Umschwung in der Frage nach den Wirtschaftsaussichten für die nächsten zwölf Monate nieder. „Die diesbezüglichen Einschätzungen der Südtiroler Arbeitnehmer brechen in nie gewesenem Umfang ein: Minus 28 Indexpunkte im Vergleich zum Vorquartal“, so Perini.
In Mitleidenschaft gezogen wurde auch der Blick auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt (-10). Positiv sei, dass die Indikatoren, welche die Situation der eigenen Familie abbilden, sich (noch) stabil zeigten. Die vom AFI befragen Arbeitnehmer fürchteten Mitte März also weder den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren noch empfanden sie die Suche nach einem neuen, gleichwertigen Arbeitsplatz als problematisch.
Südtirol ist der Krise übermäßig stark ausgesetzt
Südtirols Wirtschaft sei einer Krise der gegenwärtigen Art besonders stark ausgesetzt, heißt es aus dem AFI. Dies hänge mit dem Gefüge von Wirtschaft und Arbeitsmarkt zusammen. Konkret: Der Tourismus mit seinen direkten und indirekten Effekten, die hohen Stellenwerte von Hotel- und Gastgewerbe, Einzelhandel, Sport-, Freizeit-, Kunst- und Kulturbetrieb – alles Bereiche, die eine längere Zeit mit Beschränkungen rechnen werden müssen. Zweitens sei der Südtiroler Arbeitsmarkt überdurchschnittlich stark von Verträgen auf Zeit, Saisonarbeitsverträgen und Teilzeitverhältnissen geprägt, die einer Krise als erste zum Opfer fallen. Trotzdem lässt AFI-Direktor Perini eine Schlechtwetterstimmung nicht gelten: „Südtirol hat die Kraft, über die öffentliche Hand die Krise besser abzufedern als andere, dank autonomer Zuständigkeiten, gut dotiertem Landeshaushalt und Null-Verschuldung.“ Abfedern sei das Gebot der Stunde, denn eine Massenarbeitslosigkeit über Jahre würde mehr kosten als die Abfederung der Krise auf einige Monate, unterstreicht der AFI-Direktor.
Ein Krisen-Monitor muss her
„Die Corona-Krise dominiert die Öffentlichkeit wie kein anderes Thema, und doch verfügen wir über wenig Datenmaterial, um die konkreten Auswirkungen auf die Realwirtschaft einordnen zu können“, ärgert sich Perini. Es bräuchte in Südtirol ein ‚Krisen-Monitor‘, mit dessen Hilfe man den Verlauf der Krise beobachten und datenbasiert gegensteuern könne. „Die hiesigen Statistik- und Forschungsinstitute sind gefordert, dieses Instrument zeitnah zu entwickeln und es der Politik und den Sozialpartnern an die Hand zu geben, damit möglichst korrekte Entscheidungen getroffen werden können.“ Im Krisen-Monitor sieht Perini Indikatoren wie Anzahl Betriebe und Beschäftigte im Lohnausgleich, An- und Abmeldungen von Arbeitsverhältnissen, Ein-und Austragungen von Unternehmen, außergerichtliche Vergleiche und Konkurszahlen, alles Monat für Monat und eigens für jeden Sektor. Ebenfalls zu erfassen sei, wie viel öffentliches Geld für die einzelnen Maßnahmen und die einzelnen Sektoren aufgewendet werde. „Schließlich ist es der Südtiroler Steuerzahler, der morgen die Zeche zahlen muss“, stellt Perini fest und meint in Richtung Landesregierung: „Wer von vorne herein auf Transparenz spielt, spart sich Probleme im Nachhinein.“
AFI stellt keine BIP-Prognose
In einer außenordentlichen Zeit, in der sich Ereignisse Woche für Woche überschlagen und die von vielen Unsicherheiten geprägt ist, wird jede BIP-Prognose zum reinen Ratespiel. Stefan Perini: „Aus diesem Grund zieht es das AFI im Unterschied zu ASTAT und WIFO vor, erst im Herbst eine Prognose für 2020 zu stellen, wenn bereits handfeste Zahlen über einen guten Teil des Jahres verfügbar sind“. Eine Kernfrage sei, was ab Juni 2020 passiere, wenn die neun Wochen Lohnausgleichskasse auslaufen. Aus diesem Grund stünden die Indikatoren des dritten Quartals – Erwerbstätigenquote und Arbeitslosenrate – unter Sonderbeobachtung. Hier zeige sich erstmals, wie gut die Krise gemeistert worden sei. Spannend sei vor allem, ob die Stimmung der Arbeitnehmer*innen in der Sommerbefragung des AFI-Barometers weiter einbrechen und wie weit sich die Einschätzung der persönlichen Lage verschlechtern werde. Direktor Perini: „Wer weiß, vielleicht stellen wir zu Jahresende fest, dass es nicht so schlimm gekommen ist, wie viele heute fürchten“.