AFI-Barometer mit düsterer Prognose

AFI: “Kaufkrafteinbruch treibt Südtirol in die Rezession”

Donnerstag, 20. Oktober 2022 | 10:46 Uhr

Bozen – Die Zwischenbilanz für Südtirols Wirtschaft im Jahr 2022 ist mehr als zufriedenstellend – besonders in Anbetracht ungünstiger Rahmenbedingungen wie Ukraine-Krieg und Energiepreisschock. 2023 trüben sich die Aussichten für die Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft aber deutlich ein. Der Arbeitsmarkt wirkt hier allerdings nach wie vor als Stabilitätsfaktor – es ist anzunehmen, dass viele Arbeitgeber vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels Personal selbst bei ungünstigem Konjunkturverlauf halten werden. “Das Problem ist und bleiben die klammen Kassen der Arbeitnehmer.” Wie aus der Herbstausgabe des AFI-Barometers hervorgeht, hat sich diesbezüglich die Lage noch zugespitzt: 46 Prozent der Arbeitnehmer geben an, nur mit Schwierigkeiten über die Runden zu kommen. Das ist der höchste je vom AFI in ganzen zehn Jahren gemessene Wert. Noch bedenklicher: Nur eine Arbeitnehmerfamilie von drei geht davon aus, in den nächsten zwölf Monaten Geld ansparen zu können. Bedingt durch den starken Kaufkrafteinbruch rutscht Südtirols Wirtschaft 2023 in die Rezession ab. AFI-Direktor Stefan Perini sieht darin aber keinen Grund zur Panik, sondern „Anlass, über eine neue Form des Wirtschaftens nachzudenken“.

Im Herbst 2022 befindet sich die Weltkonjunktur im Abschwung. Der Ukrainekrieg und die Energiekrise prägen die Situation in Europa maßgeblich. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Europa haben ihre Wachstumsprognosen 2022 nach unten korrigiert, insbesondere für Deutschland. Hier die aktuell für 2022 geschätzten Wachstumsraten: Euroraum +3,0 Prozent, Deutschland +1,5 Prozent, Österreich +5,0 Prozent, Italien +3,2 Prozent. 2023 dürften einige Länder Europas – darunter Deutschland und Italien – sogar in die Rezession abrutschen (BIP-Prognosen: Euroraum +0,3 Prozent, Deutschland -0,2 Prozent, Österreich +0,3 Prozent, Italien -0,3 Prozent).

DIE ECKZAHLEN: 2022 bislang für Südtirols Wirtschaft mehr als zufriedenstellend

Die Zwischenbilanz des Jahres 2022 ist für Südtirols Wirtschaft mehr als zufriedenstellend. Der Arbeitsmarkt zeigt sich weiterhin auffallend robust. Die Anzahl von Arbeitnehmer hat im September 2022 (236.000) ihr Allzeithoch erreicht. Der Außenhandel schreibt Rekordzahlen (im ersten Halbjahr, Export +13,6 Prozent, Import +38,7 Prozent zum selben Zeitraum des Vorjahres). Der Tourismussektor hat sich stark erholt (+70,7 Prozent an Nächtigungen in den ersten acht Jahresmonaten im Vergleich zum Vorjahr) und schließt fast zum Vorkrisenniveau auf (-0,2 Prozent zu 2019). Die Kreditnachfrage wächst dynamisch (+5,6 Prozent).

Einziges großes Problem ist die Inflation, die mittlerweile in Südtirol in den zweistelligen Bereich geklettert ist (10,8 Prozent im September) – das sind zwei Prozentpunkte über dem gesamtstaatlichen Wert. Weiterer Hinweis: Die Beschäftigungsdynamik flacht seit Juli dieses Jahres ab.

DIE STIMMUNG: Zweigeteilte Situation spitzt sich noch mehr zu

Die Aussichten für die Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft in den nächsten zwölf Monaten verschlechtern sich wieder (aktueller Index: -14). Die Arbeitslosenzahlen dürften stabil bleiben. Die Perspektiven für Arbeitnehmer, einen gleichwertigen Job zu finden, bleiben nach wie vor günstig. Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, ist so gut wie nicht präsent. So viel zu den positiven Faktoren.

Das Problem ist und bleiben die klammen Kassen der Arbeitnehmerfamilien. Hier hat sich die Situation im Vergleich zum Vorquartal noch weiter zugespitzt. 46 Prozent der Befragten geben an, nur mit Schwierigkeiten über die Runden zu kommen. Das ist der höchste Wert, der jemals im AFI-Barometer gemessen wurde, seit dessen Ersterhebung im Sommer 2013. Die finanzielle Situation der eigenen Familie wird als ungünstiger beschrieben als in sämtlichen vorangegangenen Erhebungswellen. Um das Bild abzurunden: Nur eine von drei Arbeitnehmerfamilien geht davon aus, in den nächsten zwölf Monaten Geld ansparen zu können.

DIE AUSSICHTEN: Südtirols Wirtschaft rutscht 2023 in die Rezession ab

Bestärkt durch die gute Performance im ersten Halbjahr hebt das AFI seine Wachstumsprognose für die Südtiroler Wirtschaft für das laufende Jahr auf +3,5 Prozent.

Zwar bleiben einige Rahmenbedingungen für die Südtiroler Wirtschaft auch 2023 günstig: nahezu Vollbeschäftigung, relativ solide Betriebe (und damit einhergehende geringe Konkurswahrscheinlichkeit), ein relativ solides Kreditsystem (mit einer überschaubaren Rate an notleidenden Krediten). Vor allem auch, wieder besser funktionierende internationale Lieferketten, womit die Mangelwirtschaft vorerst beendet sein dürfte.

Die Mehrzahl der Faktoren signalisieren allerdings eine Verschlechterung. Zunächst dürfte das ungünstigere konjunkturelle internationale Umfeld auf alle Wirtschaftssektoren negativ abfärben. Bedingt durch den massiven Einbruch der Kaufkraft aufgrund der hohen Inflation rechnet das AFI 2023 mit einem spürbaren Konsumeinbruch. Die nur schleppende Lohndynamik wird nicht in der Lage sein, den Kaufkraftverlust auch nur annähernd zu kompensieren. Eine problembehaftete touristische Wintersaison ist vorprogrammiert (energieintensive Beherbergung und Winterssportanlagen). Die steigenden Kreditzinsen bremsen die Bau- und Ausrüstungsinvestitionen deutlich ein.

Für 2023 stellt das AFI eine BIP-Prognose für die Südtiroler Wirtschaft von -0,5 Prozent. “Südtirols Wirtschaft schlittert in die Rezession.”

Von: luk

Bezirk: Bozen