Lebenshaltungskosten bereiten Kopfzerbrechen

Arbeitnehmer-Stimmung im Höhenflug

Samstag, 17. Juli 2021 | 07:45 Uhr

Bozen – Im Juni 2021 hat sich die Stimmung bei Südtirols Arbeitnehmer deutlich aufgehellt, insbesondere was die Wirtschaftsaussichten für die nächsten zwölf Monate anbelangt. Der diesbezügliche Indikator hat im Vergleich zu März 2021 auf einen Schlag 43 Indexpunkte zugelegt. „Einen Sprung dieser Größenordnung hat es seit Einführung des AFI-Barometers im Jahr 2013 noch nie gegeben“, unterstreicht AFI-Direktor Stefan Perini. Aber auch die Arbeitsmarktindikatoren stimmen zuversichtlich. „Bei diesen Gegebenheiten seien Massen-Entlassungen nicht zu befürchten – im Gegenteil“, heißt es aus dem AFI. „Südtirols Wirtschaft nimmt Schwung auf“, freut sich Perini und relativiert gleichzeitig: „Es bleibt aber ein Aufschwung auf dünnem Eis“.

Mit fortschreitender Durchimpfung der Bevölkerung und schrittweiser Lockerung der Corona-Eindämmungsmaßnahmen startet die internationale Wirtschaft dynamisch in die zweite Jahreshälfte 2021. Angekurbelt wird die Konjunktur von den USA und von China. Der größte Risikofaktor bleibt der Verlauf der Pandemie, mit folgenden Faktoren: Verfügbarkeit von Impfstoff weltweit (auch in den Schwellenländern), Durchimpfungsrate der Bevölkerung, das Auftreten von Virus-Mutanten (aktuell, die Delta-Variante). In ihrem Sommergutachten rechnet die Europäische Kommission mit einer kräftigen wirtschaftlichen Wiederbelebung in der zweiten Jahreshälfte. Die prognostizierten Wirtschaftswachstumsraten 2021: Euroraum: +4,8 Prozent; Deutschland: +3,6 Prozent; Österreich: +3,8 Prozent; Italien: +5,0 Prozent.

Zwischenbilanz 2021 für Südtirol durchwachsen

Die positiven Nachrichten vorweg: Mit Mai hat sich der Aufholprozess am Südtiroler Arbeitsmarkt beschleunigt und im Juni wurde fast wieder das Beschäftigungsniveau von Arbeitnehmern vor der Krise (2019) erreicht. Positiv hervorzuheben ist das gute Außenhandelsergebnis im 1. Quartal 2021 (Exporte: +13,4 Prozent; Importe: +6,2 Prozent). Die Inflation zieht wieder an (letzter Monatswert: Bozen +2,5 Prozent; Italien +1,3 Prozent). Das Kreditgeschäft zeigt sich dynamisch (+4,9 Prozent). Negativ: Aufgrund der ausgefallenen touristischen Wintersaison bleibt die Nächtigungsbilanz der ersten vier Jahresmonate schlichtweg katastrophal (-94,0 Prozent) – eine Hypothek, die auf das gesamte Wirtschaftsjahr 2021 negativ abfärben wird.

Arbeitnehmer-Stimmung im Höhenflug

Das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmer hellt sich im Sommer 2021 deutlich auf: Der Indikator, der die Wirtschaftserwartungen für die nächsten zwölf Monaten abbildet, hebt regelrecht ab. „Einen Sprung von sage und schreibe 43 Indexpunkten in nur einem Quartal haben wir noch nie erlebt“, unterstreicht AFI-Direktor Stefan Perini. Und auch der Arbeitsmarkt-Ausblick stimmt positiv: Erwartet wird, dass die Arbeitslosenzahlen nicht weiter ansteigen (der entsprechende Indikator hat sich von -30 auf +2 bewegt). Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, bleibt gering – die Perspektiven, einen gleichwertigen Job zu finden, günstig. Perini: „Diese Zahlen bestärken uns in der Überzeugung, dass eine Entlassungswelle nicht in Sicht ist“. Als BIP-Prognose für 2021 bleibt das AFI bei konservativ geschätzten +3,5 Prozent, „doch bleiben die Bedingungen in der zweiten Jahreshälfte günstig, könnte das Wachstum auch höher ausfallen“, merkt Perini an.

Lebenshaltungskosten bereiten Kopfzerbrechen

Seit geraumer Zeit liegt die Inflationsrate von Bozen systematisch über dem gesamtstaatlichen Wert. Wie neue Berechnungen des AFI zeigen, haben die Lebenshaltungskosten in Südtirol mittlerweile ein Niveau erreicht, das – abhängig von der verwendeten Methode – zwischen 23 und 25 Prozent über dem gesamtstaatlichen Wert liegt. Die Unverhältnismäßigkeit der Löhne verglichen mit den Lebenshaltungskosten wird immer wieder als problematisch beschrieben. Mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer/Innen in Südtirol sind der Auffassung, dass die Gehälter nicht an die Südtiroler Lebenshaltungskosten angepasst seien. So auch wieder im aktuellen AFI-Barometer: Angesprochen auf die Zufriedenheit mit dem eigenen Gehalt in Bezug auf die Lebenshaltungskosten zeigen sich acht Prozent „sehr zufrieden“, 35 Prozent „zufrieden“, 42 Prozent „weniger zufrieden“ und 15 Prozent „gar nicht zufrieden“.

Kein realer Lohnzuwachs im Fünfjahres-Zeitraum

Das AFI hat im Frühsommer das Datawarehouse des Nationalen Instituts für Soziale Fürsorge NISF (it. INPS) akribisch analysiert. Das Hauptergebnis: Der durchschnittliche Tagesbruttolohn eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in Südtirol liegt im Schnitt neun Prozent über dem gesamtstaatlichen Wert – bei, wie erwähnt, um 23 bis 25 Prozent höheren Lebenshaltungskosten. Zu wünschen übrig lässt des Weiteren die Lohnentwicklung: im Zeitraum 2014-2019 betrug sie in Südtirol nominell +6,7 Prozent, bei 6,8 Prozent Inflation, was inflationsbereinigt einem realen Lohnverlust von -0,1 Prozent gleichkommt. Die positive nominelle Lohnentwicklung wurde also von der Inflation mehr als weggefressen.

Stellungnahme von AFI-Präsident Dieter Mayr

„Die Pandemie hat nicht nur das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben stark eingebremst, sondern auch die kollektivvertragliche Verhandlung auf gesamtstaatlicher Ebene so gut wie eingefroren. Nachdem aktuell 78,5 Prozent der Lohnabhängigen in Italien auf die Erneuerung ihres Kollektivvertrages warten und sich die Lage bei uns im Land positiv präsentiert, wäre es jetzt wichtig, auf lokaler Ebene Zusatzverträge zu machen, um Verteilungsgerechtigkeit herzustellen.“

Stellungnahme von Landesrat Philipp Achammer

„Die Südtiroler Wirtschaft startet zu Jahresmitte 2021 wieder durch und es freut uns, dass nun auch von Seiten des AFI Bestätigung kommt, dass die Arbeitnehmer/Innen das ebenfalls so sehen.  Die Situation, die wir alle mühsam erkämpft haben, dürfen wir nun nicht verspielen. Als Südtiroler Landesregierung werden wir alles Menschenmögliche tun, um die Durchimpfungsrate der Bevölkerung zu steigern und sie noch vor dem Herbst auf das Niveau der Herdenimmunität zu bringen. Nur so erreichen wir einen wirtschaftlichen Aufschwung, der anhält, und erhalten das zurück, was wir als „Normalität“ kennen.“

Von: luk

Bezirk: Bozen