Von: mk
Brixen – Vor genau 400 Jahren verschifften europäische Kolonialherren die ersten Ghanaerinnen und Ghanaer nach Jamestown Virginia in den heutigen USA, um sie dort als Sklaven zu verkaufen. Sie waren die ersten der mehr als elf Millionen Menschen, die vom 16. bis zum 19. Jahrhundert an der westafrikanischen Küste verschleppt, eingekerkert, misshandelt und versklavt wurden. Heute erinnern an diesen dunklen Teil europäischer-afrikanischer Geschichte noch immer 60 so genannte Sklavenburgen in Ghana, dem damals größten Umschlagplatz der „menschlichen Ware“. Anlässlich des Tags der Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung hat die OEW-Organisation für Eine solidarische Welt mit dem Historiker Kojo Keelson gesprochen, der jeden Tag zig Besucher*innen durch die Überreste des Sklavenforts „Cape Coast Castle“ führt. Für ihn ist klar: Es ist wichtig, diesen Teil der Geschichte nicht zu vergessen.
Die Sklaverei ist eines der schrecklichsten Kapitel der Geschichte seines Landes. Gefangene wurden wie Tiere behandelt, die Rechte und Würde Schwarzer Menschen mit Füßen gestoßen – und das hunderte Jahre lang. Kojo Keelson betont: „Wir können nicht rückgängig machen, was geschehen ist. Aber wir müssen verhindern, dass es wieder geschieht.“
Auf jeder seiner Touren durch das Sklavenfort in Cape Coast zeigt der Historiker den Besucherinnen und Besuchern die darunterliegenden Kerker, in denen einst bis zu 150 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht wurden. Die meisten stammten aus dem Hinterland Ghanas, Nigerias und der Elfenbeinküste und mussten monatelang in den dunklen Kerkern ausharren, bis sie nach Amerika verschifft wurden: Männer, Frauen und Kinder. Nicht einmal die Hälfe von ihnen erreichte je amerikanischen Boden. Die meisten starben zuvor an den menschenunwürdigen Bedingungen in den Forts und auf den Schiffen.
Legitimiert wurden die Verbrechen mit der wirtschaftlichen Notwendigkeit billiger Arbeitskräfte. Der Sklavenhandel lieferte den weißen Plantagen- und Grundbesitzern in der Karibik und in den Südstaaten der USA kostenlose Arbeiterinnen und Arbeiter, bescherte den europäischen Metropolen exotische Güter und billige Rohstoffe in Hülle und Fülle und eröffnete den europäischen Manufakturen neue Absatzmärkte für ihre Fabrikate. Nachdem sich über die Jahrhunderte hinweg immer mehr Länder gegen die Sklaverei eingesetzt hatten, unterzeichneten 1956 in Genf endlich 40 Staaten ein Abkommen zu seiner Abschaffung. Die menschenverachtende Wirtschaftslogik, die hinter dem Sklavenhandel steckt, nahm damit aber kein Ende: Sie ist weiterhin auf dem Weltmarkt zu beobachten.
OEW-Mitarbeiterin Verena Gschnell, die regelmäßig mit Workshops zu den Themen Kolonialismus und bewusster Konsum in Südtirols Schulen unterwegs ist und kürzlich Cape Coast Castle in Ghana besuchte, betont: „Menschen wurden und werden noch immer für wirtschaftliche Interessen ausgebeutet. Der große Unterschied zu früher ist, dass die Verbrechen heute entlang komplexer Wertschöpfungsketten unsichtbar werden. Als Konsumentinnen und Konsumenten haben wir deshalb kaum noch die Möglichkeit zu erfahren, unter welchen Bedingungen Lebensmittel, Kleidung, Technologie oder fossile Brennstoffe, die wir kaufen, hergestellt werden.“ Die moderne Sklaverei sei unsichtbar geworden und halte Produzent*innen in wirtschaftlich benachteiligten Regionen durch unfaire Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne klein. Damit würden konstant ihre Menschenrechte beschnitten. „Jeder von uns weiß, dass sie Produkte in den Supermärkten nicht so billig sein können, wenn am anderen Ende die Arbeiterinnen und Arbeiter gerecht bezahlt würden und ein gutes Leben führen könnten“, so Gschnell.
Auch Keelson spricht in seinen Führungen dieses Thema an. Dabei thematisiert der Historiker die aktuelle Ausbeutung von Flüchtlingen, Kinderarbeit, Organhandel und nicht zuletzt den Rassismus, der ganze Volksgruppen diskriminiert und einen Genozid erst legitimiert. „Besonders diesen müssen wir bekämpfen. Das schulden wir der nächsten Generation“, so der Historiker.
Ein Ziel, das sich auch Ghana kürzlich unter dem Titel „Year of Return – Ghana 2019“ gesetzt hat. Mit dem „Jahr der Rückkehr“ wollen sie das Geschehene aufarbeiten und für die Nachfahr*innen ehemaliger Sklav*innen ein Zeichen setzen: Sie sollen sich in ihrer alten Heimat Ghana immer willkommen fühlen. Aus diesem Grund steht über dem Tor, das in Cape Coast Castle einst direkt zu den Sklavenschiffen führte, kürzlich nicht mehr nur „Door of no return“ (Tor ohne Wiederkehr), sondern auch „Door of Return“ (Tor der Rückkehr).
Matthäus Kircher, Geschäftsführer der OEW, schließt: „Menschenwürde darf niemals eine Frage des Profits sein und wir haben das Recht, dies als Bürgerinnen und Bürger einzufordern. Indem wir für Rassismus sensibilisieren und mehr Transparenz und faire Arbeitsbedingungen in der Produktion unserer Konsumgüter fordern, können wir Produktionsketten, die Menschen ausbeuten, weltweit entscheidend beeinflussen.“
Der Internationalen Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung könnte Anlass dazu sein.