Von: luk
Bozen – Eurac Research und Bergrettung Südtirol haben in der unwegsamen Bletterbachschlucht den Einsatz von Drohnen für die Lokalisierung und Erstversorgung von Unfallopfern erprobt. Fazit: Es spart kostbare Zeit und sorgt für mehr Sicherheit bei den Einsatzkräften. Die Ergebnisse des interregionalen Forschungsprojekts START sind nun im American Journal of Emergency Medicine erschienen.
24 Einsätze hat das Team unter der Leitung des Eurac Research Notfallmediziners Michiel van Veelen bis Sommer 2021 an unterschiedlichen Orten in der Bletterbachschlucht simuliert. Dabei wählte man Orte, an denen sich laut Unfallberichten der Südtiroler Bergrettung in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich Unfälle ereignet hatten – mit Verletzungen wie Schulterläsionen, Knochenbrüchen, Platzwunden. Die Voraussetzungen in der Schlucht seien ideal, um den Einsatz von Drohnen bei der Auffindung und Erstversorgung von Verletzten in schwer zugänglichem Gelände zu testen, erklärt Michiel van Veelen: „Hier ist es besonders schwierig, Verletzte zu lokalisieren. Mobiltelefone haben keinen Empfang, und das Gelände ist schwer zugänglich.“ Bei den Tests wurden die Einsatzzeiten mit und ohne Drohne verglichen sowie die Vitalfunktionen der Rettungsmannschaften aufgezeichnet: Herz- und Atemfrequenz, Hauttemperatur und EKG-Kurve. „Die Daten geben Auskunft über den Stress, dem alle ausgesetzt sind“, erklärt Giacomo Strapazzon, Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research. „Wir wollen wissen, ob drohnengestützte Rettungseinsätze den Beteiligten ein größeres, auch physisch wahrgenommenes Gefühl der Sicherheit geben.“ Zur psychischen Bewertung mussten die Bergretter vor und nach erfolgtem Einsatz einen Fragebogen ausfüllen. Die Drohne kann neben der Kamera auch ein kleines Lastenpaket transportieren, das Funkgerät, Thermodecke, Masken, Handschuhe und Medikamente für die Erstversorgung enthält. Das Paket wird nahe am Unfallort abgeworfen. Als große Vorteile eines Drohneneinsatzes nennt Giacomo Strapazzon zum einen die deutlich schnellere Lokalisierung der Unfallstelle, zum anderen den Einsatz von Telemedizin. Denn wenn das Paket erst einmal bei der verletzten Person angekommen ist, können die Begleiter schon mit der Erstversorgung beginnen. Anweisungen erhalten sie von den Bergrettern über das Funkgerät.
Nach Auswertung der Datensätze liegt das Studienergebnis nun als Publikation im renommierten American Journal of Emergency Medicine vor: Die durchschnittliche Zeit bis zum Auffinden des Verletzten lag bei den Einsätzen mit Drohne um 30 Prozent unter den Einsätzen ohne Drohne. Die durchschnittliche Zeit bis zum Beginn der Behandlung lag bei einem Drohneneinsatz ebenso um rund 30 Prozent unter jener ohne Drohne. Vor allem bei Verunglückten mit traumatischen Verletzungen oder Herzstillstand kann so ein Zeitgewinn entscheidend sein.
Doch auch Drohnen sind nicht unfehlbar, wie vier missglückte Einsätze aufgrund technischer Probleme aufgezeigt haben. Deshalb waren am Projekt auch Elektroingenieure beteiligt. Ihr Ziel ist die Weiterentwicklung der Sensoristik von Rettungsdrohnen, um Verunfallte auch bei schlechter Witterung schneller zu orten.
In einem soeben genehmigten Folgeprojekt (Fusion Grant der Stiftung Sparkasse) entwickeln die Notfallmediziner und Elektroingenieure von Eurac Research erneut gemeinsam mit dem am NOI Techpark ansässigen Start-up MAVTech eine Drohne für die Erstversorgung bei Herzstillstand in unwegsamen Geländen. Hierfür wird die Drohne mit einem Defibrillator bestückt, der auch für Laien leicht handgehabt werden kann. In Stockholm, so Michiel van Veelen, habe man eine solche Drohne schon erfolgreich in der Stadt erprobt. „Bei einem Herzstillstand entscheiden Minuten über Leben und Tod, und in Südtirol ereignen sich im Jahr im Schnitt 50 Herzstillstände in schwer zugänglichem Gelände,“ erklärt van Veelen weiter. Einige Bergrettungseinsätze mit Diagnose Herzstillstand, die sich tatsächlich ereignet haben und für die sämtliche Daten vorliegen (inklusive Zeitnahme) werden nun für das Folgeprojekt nachgespielt. Diesmal mit Drohne. Um die kleinen Lebensretter aus der Luft für alle Wetterlagen zu rüsten, werden die Drohnen der Firma MAVTech im terraXcube extremen Bedingungen ausgesetzt und angepasst. Damit künftig auch bei Schlechtwetter die Versorgung klappt.