Von: APA/Reuters/AFP
Nach der verkündeten Einigung im von US-Präsident Donald Trump losgetretenen Zollstreit mit der EU ist vor weiteren Verhandlungen für ein ganzes Abkommen. Vor allem aus Frankreich sind rasch recht negative Reaktionen gekommen. Bis zum formellen Abschluss eines Rahmen-Handelsabkommens der EU mit den USA könnten nach Einschätzung von Frankreichs Industrieminister Marc Ferracci Wochen oder Monate vergehen. “Das ist nicht das Ende der Geschichte.”
Es müsse mehr getan werden, um die Handelsbeziehungen der EU mit den USA wieder ins Gleichgewicht zu bringen, sagte Ferracci dem Radiosender RTL. Frankreichs Europaminister Benjamin Haddad wiederum kritisierte das gesamte geplante Abkommen. “Das von der Europäischen Kommission mit den USA ausgehandelte Handelsabkommen wird den von erhöhten US-Zöllen bedrohten Wirtschaftsakteuren zwar vorübergehende Stabilität bringen, ist aber unausgewogen”, schrieb er online. Zu den Vorteilen zählten Ausnahmen für wichtige französische Wirtschaftszweige wie die Spirituosenbranche.
Warnung vor neuen Störfeuern
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), Michael Hüther, warnte trotz Einigung vor weiteren Störfeuern aus Washington. “Darauf vertrauen, dass nun Ruhe herrscht, kann man nicht, zumal die Kauf- und Investitionszusagen kaum präzise einzuhalten sind. Trump nimmt die Zolldrohung nie vollends vom Tisch”, sagte Hüther verschiedenen deutschen Montagszeitungen.
Umfassendes, faires, zukunftsgerichtetes Abkommen noch gefragt
Die deutsche Industrie- und Handelskammer begrüßte die Einigung im Zollstreit der EU und den USA als “dringend benötigte Atempause” für viele Unternehmen. Aber: “Die Gefahr einer Eskalation im Handelsstreit mit den USA ist abgewendet”, erklärte DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov. Doch der Deal habe “seinen Preis”, der “auch zu Lasten der europäischen Wirtschaft” gehe. Zudem handle es sich nur um einen ersten Schritt, bei dem viele Details noch unklar seien. Die EU müsse nun weiter mit den USA verhandeln und “an einem umfassenden, fairen und zukunftsgerichteten Handelsabkommen arbeiten”.
Die USA und die EU hatten am Sonntag nach monatelangen harten Verhandlungen die Einigung auf ein Handelsabkommen verkündet, das nach Angaben von US-Präsident Donald Trump 15 Prozent Zoll auf Produkte aus der EU vorsieht. Trump zufolge gilt der Zollsatz von 15 Prozent auch für die Einfuhr europäischer Autos. Die EU verpflichtete sich auch zu zusätzlichen Investitionen in den USA in Höhe von 600 Mrd. Dollar (510 Mrd. Euro) und zu Energiekäufen im Wert von 750 Mrd. Dollar.
Durchschnittszoll vor zweiter Trump-Amtszeit bei etwa 1,5 Prozent
Vor Trumps zweiter Amtszeit lagen die US-Zölle im Durchschnitt noch bei etwa 1,5 Prozent. Der Weg zu diesem Kompromiss war von schrittweisen Zugeständnissen geprägt. Selbst als Großbritannien im Mai einen Basiszoll von zehn Prozent mit den USA vereinbarte, zeigten sich Spitzenmitarbeiter der EU noch überzeugt, ein besseres Ergebnis erzielen zu können. Sie drängten auf ein “Null-für-Null”-Zollabkommen, überzeugt von der eigenen wirtschaftlichen Stärke. Es dauerte nicht lange, bis die Europäer akzeptierten, dass zehn Prozent wohl das Maximum sein dürften.
Orban: Trump verspeiste von der Leyen zum Frühstück
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sparte darob auch nicht an Kritik. Das, was verkündet wurde, sei schlechter als die Vereinbarung, die Großbritannien mit den USA getroffen hat. “Präsident Donald Trump hat Kommissionspräsidentin (Ursula) von der Leyen zum Frühstück verspeist. Das ist passiert, und wir hatten das vermutet, da der US-Präsident bei Verhandlungen ein Schwergewicht ist, während die Frau Präsidentin ein Federgewicht ist”, erklärte Orban.
Ähnlich äußerte sich Europapolitiker Harald Vilimsky von der auf EU-Ebene mit der Orban-Partei verbündeten FPÖ, der der EU eine “außenpolitische Schwäche” attestiert: “Es wäre eigentlich zum Lachen – wenn es nicht so traurig wäre”, sagte er zum “Deal”, der nur als solcher verkauft werde.
Wirtschaftsminister: “Hoffentlich neue Phase”
“Es ist gut, dass die Phase der täglichen neuen Zollankündigungen ein Ende hat und wir hoffentlich in eine stabilere Phase des transatlantischen Handels eintreten”, hatte Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) am Sonntagabend mitgeteilt. Bei Stahl und Aluminium, “einer der Schlüsselbranchen für unseren Standort”, seien Zollsenkungen und Quotenregelungen angekündigt und Gespräche zugesagt worden. “Diese Gespräche werden wir mit Nachdruck begleiten”, betonte der Minister. Unabhängig von weiteren Details des Deals stehe für ihn fest, “dass die vom Deal besonders negativ betroffenen Branchen gezielte Unterstützungsmaßnahmen von Seiten der Europäischen Union brauchen.
“Wahrscheinlich nahezu das Optimum für EU”
Der Chefvolkswirt der Bank ING, Carsten Brzeski, analysierte: “Eine Eskalation der Handelsspannungen zwischen den USA und der EU wäre ein ernstes Risiko für die Weltwirtschaft gewesen. Dieses Risiko scheint abgewendet worden zu sein. Für die EU ist die Vereinbarung wahrscheinlich nahezu das Optimum, das erreichbar war. In den vergangenen Tagen hatte die EU selbst einen Satz von 15 Prozent vorgeschlagen.”
Die Vereinbarung entspricht laut dem Experten auf den ersten Blick einem effektiven Zollsatz auf europäische Waren von annähernd 20 Prozent. Das Abkommen sei aber erst im Trockenen, “wenn alle unterschrieben haben. Im europäischen Kontext bedeutet dies immer noch das Europäische Parlament und alle nationalen Parlamente.”
Wachstum in Europa dürfte leicht schrumpfen
“Allerdings wird ein Zollsatz von 15 Prozent nicht spurlos an der europäischen Exportwirtschaft vorbeigehen”, hieß es vom Chefvolkswirt der deutschen VP Bank, Thomas Giztel. Das deutsche BIP könnte sich jährlich um knapp 0,2 Prozent reduzieren, für die EU könnte sich die jährliche Schmälerung auf 0,1 Prozent belaufen. Diese Belastungen fielen in eine Zeit, in der ohnehin die europäischen Schlüsselindustrien unter enormen Druck stünden.
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