Von: luk
Bozen – Die Landesregierung hat heute beschlossen, das “Programm zur Reduzierung der NO2-Belastung 2018-2023” überarbeiten zu lassen. Dabei sollen einige der Programmmaßnahmen so angepasst werden, dass sie der veränderten sozioökonomischen Situation infolge des Covid-19-Notstands Rechnung tragen. Die Stilllegung des öffentlichen Lebens, um die weitere Verbreitung des neuartigen Coronavirus einzudämmen, hat große Auswirkungen auf die Südtiroler Wirtschaft; sie wird sich auch mittelfristig auf die Mobilität – auf den motorisierten Individualverkehr, den Austausch der Fuhrparks und den öffentlichen Nahverkehr – und damit auf eine Reihe von Maßnahmen des NO2-Programms 2018-2023 auswirken.
“Aus diesem Grund beabsichtigen wir, einige Maßnahmen zur Verkehrsbeschränkung wie etwa die Fahrverbote für Euro-4-Fahrzeuge zu verschieben”, erklärt Umweltlandesrat Giuliano Vettorato. In dieser schwierigen Zeit sei es wichtig, Wirtschaftstreibende und Bürger bestmöglich zu unterstützen.
NO2-Programm: Luftqualitätsziele bleiben aufrecht
Durch die Überarbeitung soll das NO2-Programm an die veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden. “Die vereinbarten Luftqualitätsziele bleiben aber aufrecht”, unterstreicht Landesrat Vettorato. Das “Programm zur Reduzierung der NO2-Belastung 2018-2023” war 2018 von der Landesregierung genehmigt worden, um eine Senkung der Stickstoffdioxid-Emissionen und die Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerts von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresdurchschnitt innerhalb 2023 zu erreichen. An verkehrsreichen Straßen in den Städten und entlang der Brennerautobahn kommt es immer noch zu Überschreitungen dieses Grenzwerts.
Arbeitstisch Luftqualität mit Überarbeitung beauftragt
Bis Juni 2021 hat die Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz nun Zeit, das “Programm zur Reduzierung der NO2-Belastung 2018-2023” zu überarbeiten. Welche Maßnahmen angepasst werden, wird im Rahmen des Arbeitstisches zur Luftqualität festgelegt. Neben Landesrat Vettorato gehören dieser Expertengruppe Vertreter der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz, der Landesabteilung Mobilität, der betroffenen Gemeinden, der Brennerautobahn-Gesellschaft, der Körperschaften STA und SASA und der Wirtschafts- und Umweltverbände an. Im Detail geht es um die Aufhebung der Fahrbeschränkungen für Euro-4-Fahrzeuge bestimmter Fahrzeugkategorien bis zum 30. Juni 2021. Ursprünglich hätten diese Fahrbeschränkungen mit 1. Jänner 2021 in Kraft treten sollen.
Umweltschützer: “Mit Vollgas in die Vergangenheit”
“Mehrere wissenschaftliche Studien belegen einen kausalen Zusammenhang von Luftverschmutzung und schwer verlaufenden Covid-19-Fällen. Trauriges Beispiel dafür sind die Ballungsräume in der Lombardei. Und unseren Politikern fällt nichts Besseres ein, als bereits beschlossene Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung erstmal auf Eis zu legen – der Wirtschaft zu liebe. Gesundheit und Umweltschutz kommen also wieder einmal erst an zweiter Stelle. Dabei sind wir seit mittlerweile zehn Jahren säumig, was die Einhaltung der gesundheitlichen Grenzwerte der Stickoxide anbelangt – eine tolle Politik des ‘begehrtesten Lebensraumes Europas’ und Klimalandes Südtirol”, so Andreas Riedl vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz.
“Die erschreckenden Bilder aus den Intensivstationen der Krankenhäuser in der Lombardei scheinen bereits vergessen. Diese Region war wie keine andere in Italien von Covid-19 betroffen, sowohl was die Anzahl der Infektionen, die Anzahl der schweren Verläufe als auch die Opferzahlen anbelangt. Mehrere Studien legten dabei einen kausalen Zusammenhang zwischen den chronisch hohen Luftbelastungen dieser Ballungsräume und dem hohen Covid-19-Zahlen nahe. Dort, wo die Menschen bereits durch schlechte Luft vorbelastet sind, erkranken sie auch leichter an Covid-19. Umso unverständlicher, was die Südtiroler Landesregierung gestern beschlossen hat: die Verschiebung von Maßnahmen zur Einschränkung der Luftverschmutzung, verursacht durch den motorisierten Verkehr. Der Wirtschaft zuliebe sollen die bereits beschlossenen Maßnahmen verschoben bzw. überarbeitet werden. Dabei wären beispielsweise die europaweit verbindlichen Gesundheitsgrenzwerte für NO2 bereits im Jahr 2010 einzuhalten gewesen. Wir sind bereits zehn Jahre in Verzug, bekommen die Auswirkungen von chronisch schlechter Luft auf unsere Gesundheit in schonungsloser Weise vor Augen geführt. Und – unsere PolitikerInnen entscheiden sich dennoch für einen Aufschub”, heißt es weiter.
“Eine mutlose, rückwärts gewandte Politik ohne Visionen ist das letzte, was unsere Gesellschaft, inklusive der Wirtschaft, in dieser Phase der tiefgreifenden Umwälzungen durch die Corona- und Klimakrise braucht. Von den vielen Möglichkeiten, die Wirtschaft bestmöglich auf die Vielzahl an neuen Herausforderungen vorzubereiten, ist diese jüngste Entscheidung der Südtiroler Landesregierung gegen Gesundheits- und Klimaschutz die kurzsichtigste und einseitigste”, schließt der Dachverband für Natur- und Umweltschutz.