Verbraucherzentrale entgegnet: Von wegen!

Südtiroler Lebensmittel “so sicher wie noch nie”

Sonntag, 14. August 2016 | 10:01 Uhr

Bozen – Die Landwirtschaft habe in den vergangenen Jahren weltweit größte Fortschritte gemacht: „Noch nie mussten so wenig Menschen Hunger fürchten, noch nie waren Grundnahrungsmittel so günstig und noch nie waren Lebensmittel so sicher wie heute“, stellt Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler fest. Diese Entwicklung sei nur möglich, weil sich Technik und Pflanzenschutz stark verbessert haben. Und darauf kann man sich verlassen, bestätigt Prof. Andreas Hensel, Präsident des Deutschen Bundesinstitutes für Risikobewertung.

Prof. Hensel war auf Einladung des Land- und Forstwirtschaftlichen Versuchszentrums Laimburg, des Landesressorts für Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Zivilschutz und Gemeinden und des Südtiroler Apfelkonsortiums nach Südtirol gekommen. Laimburg-Direktor Michael Oberhuber unterstrich die Wichtigkeit des Austausches unter Experten und Wissenschaftlern, aber auch der Informierung der breiten Öffentlichkeit. Daher wurde ein Fachvortrag am Versuchszentrum Laimburg sowie ein Pressegespräch organisiert. Dieses fand am Mittwoch, 10. August, in Glaning am Werner Hof statt – „ein Bauernhof, wie er für die kleinstrukturierte Südtiroler Obstwirtschaft typisch ist“, erklärte Georg Kössler, Obmann des Südtiroler Apfelkonsortiums: „Der Werner Hof ist ein Familienbetrieb mit etwas Obst- und Weinbau und Urlaub auf dem Bauernhof. Die Bauernfamilie Pichler steht beispielhaft für 7.000 Südtiroler Obstbauern, die sich bemühen, eine intakte Landwirtschaft zu betreiben und damit ihre Familien zu ernähren.“

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wurde 2002 gegründet und gehört zum Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Berlin. Als unabhängige Einrichtung forscht es zu den Themen Lebens- und Futtermittelsicherheit und definiert seine Mission so: „Risiken erkennen – Gesundheit schützen.“ Aber auch die Bürgerinformation gehört zu den Kernaufgaben: „Eines sind die Fakten über die Lebensmittelsicherheit, etwas anderes die Diskussion darüber. Jeder Mensch hat – zwangsläufig – mit Essen zu tun, es ist Ernährung, Kultur… Somit ist auch jeder ein Experte, wenn es ums Mitdiskutieren geht. Nur: Sehr oft wird mit wenig oder nicht fundierten Informationen argumentiert“, erklärte Hensel.

„Das schaffen noch nicht mal die Bayern“

Besonders sensibel reagieren die Menschen auf das Thema Pflanzenschutz, weil Pflanzenschutzmittel als gefährlich empfunden werden. Bei der Bewertung der Risiken käme es allerdings nicht allein darauf an, ob Rückstände von Pflanzenschutzmitteln gefunden würden, sondern vor allem darauf, wie und in welchem Ausmaß Menschen damit in Berührung geraten, betonte Hensel. Ein Beispiel: „Wir alle haben gehört, dass in einigen Biersorten Spuren des Unkrautvernichters Glyphosat nachgewiesen wurden – vor allem in Deutschland eine Schreckensnachricht. Nur: Glyphosat wurde von der internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als „wahrscheinlich krebserregend’ eingestuft; Alkohol als ,sicher krebserregend’; Bier enthält 20.000 mal mehr Alkohol als Glyphosat. Trotzdem reden alle nur vom Glyphosat als Krebserreger im Bier, nicht vom Alkohol“, so Hensel. Um über Bier eine Menge an Glyphosat aufzunehmen, die gesundheitlich bedenklich sein könnte, müsste ein Erwachsener rund 1.000 Liter Bier am Tag trinken. „Das schaffen noch nicht mal die Bayern“, scherzte Hensel, um den Widerspruch zwischen wissenschaftlich fundierter Risikobewertung und subjektiver Wahrnehmung aufzuzeigen. Ähnliches gelte für viele weitere Wirkstoffe und Mittel. Rückstände von Pflanzenschutzmitteln seien bei sachgemäßer Anwendung der Produkte gesundheitlich unbedenklich – für denjenigen, der sie ausbringt, als auch für denjenigen, der damit in Kontakt gerät. Was die Lebensmittelsicherheit betrifft, so sei diese am ehesten durch mangelhafte Küchenhygiene gefährdet. „In Küchen finden sich
meist mehr krankheitserregende Fäkalkeime als im Klosett.“

Grenzwerte: In Südtirol noch tiefer

Hensel erläuterte die komplexen und strengen Zulassungsprozesse, die Pflanzenschutzmittel international durchlaufen müssen, bevor sie eingesetzt werden dürfen. „Hier wird einfach alles geprüft: die Giftigkeit für Schädlinge, Pflanzen, Früchte, Tiere, Menschen; die Abbauprodukte der Stoffe in Pflanzen, im Boden… Schließlich die Auswirkungen aller Art beim Menschen, der damit durch Arbeit in Berührung kommt bzw. bei Endkonsumenten landwirtschaftlicher Produkte“, so Hensel. Die Grenzwerte werden dann jeweils so festgelegt, dass die jeweils schwächste Gruppe der Menschen noch sicher ist – beispielsweise Kinder.

In Südtirol sind diese Grenzwerte noch tiefer, verwies Kössler auf die Richtlinien der Arbeitsgruppe für den Integrierten Obstanbau in Südtirol (AGRIOS). Der AGRIOS gehören praktisch alle Südtiroler Bauern an, die nicht biologisch anbauen: Im integrierten Anbau in Südtirol darf nur die Hälfte der staatlich zugelassenen Werte erreicht werden.

Wie kommt es dann, dass immer wieder Nachrichten über Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln an die Öffentlichkeit dringen? „Das liegt tatsächlich an den Messungen. Vor 50 Jahren konnte bis zu 1ppm – part per million – gemessen werden. Das ist 1 Milligramm pro Liter. Heute messen wir 1ppq – part per quadrillion. So finden wir ein einzelnes Roggenkorn in einem 20.000 Kilometer langen Güterzug voll Weizen.“ Was man sucht, das kann man also finden. „Aber nur weil etwas messbar ist, ist es noch lange nicht bedenklich für die Gesundheit“, unterstrich Hensel, „entscheidend ist die Exposition, also in welcher Menge etwas aufgenommen wird.“

Auch Landesrat Schuler plädierte für bessere Information und mehr Sachlichkeit in der Diskussion: „Das Versuchszentrum Laimburg und viele andere Institutionen leisten dazu ihren Beitrag. Denn mehr Sachlichkeit tut dringend not. Diskutiert wird nur über Äpfel, aber nicht über den Kampf gegen die Tigermücke mit gefährlichen Insektiziden oder über die Pflanzenschutzbehandlungen in Stadtgärten und Parks in unmittelbarer Wohnumgebung.“

Verbraucherzentrale: Von wegen weniger Spritzmittel-Rückstände in Obst und Gemüse

Die Verbraucherzentrale Südtirol (VZS) tritt entschieden der Meldung entgegen, wonach weniger Spritzmittel-Rückstände in Obst und Gemüse zu verzeichnen seien. „Die Fakten sind andere“, sagt dazu der VZS-Geschäftsführer Walther Andreaus. „Daher ist eine Verharmlosung völlig fehl am Platz und sollte vor allem nicht mit öffentlichen Mitteln betrieben werden. Die VerbraucherInnen wollen Transparenz und nicht Beruhigungspillen.”

Laut den Daten des Südtiroler Labors für Lebensmittelanalysen, die komischerweise nur auf der Homepage von Legambiente veröffentlicht seien (www.legambiente.it) würden in 60,9 Prozent der Proben Rückstände von Pflanzenschutzmitteln nachgewiesen. Dabei würden auch aufsehenerregende Spitzen festgestellt, wie acht Rückstände in lokalen Erdbeeren und bei Weintrauben. Auch beim Wein wurde man fündig wo 24 auf 37 analysierte Weine im Durchschnitt 3 bis 4 Rückstände aufwiesen, mit einem Südtiroler DOC-Wein der wiederum acht Rückstände gleichzeitig aufwies. Gegenüber 2011 würden 2014 (letzte verfügbare Daten) stabil in 60,9% der Proben Rückstände nachgewiesen. Man könne also von keinem Rückgang sprechen.

Außer in drei Fällen lägen die Konzentrationen unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte, doch sei zum heutigen Zeitpunkt nicht geklärt, inwieweit Rückstände von verschiedenen Pestiziden sich im menschlichen Körper gegenseitig beeinflussten. Vermutet werde eine Potenzierung der Wirkung und damit ein gesundheitliches Risiko, auch wenn die Konzentration eines jeden einzelnen Wirkstoffes unterhalb des jeweiligen Grenzwertes liege. Der Nachweis von mehreren Rückständen im selben Produkt hätte sich von 2011 auf 2014 von 38 auf 45 Prozent erhöht.

Laut Verbraucherzentrale Südtirol sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um die Pestizidbelastung so gering wie möglich zu halten und dem Problem sollte mit Aufklärung, Transparenz und Nachhaltigkeit begegnet werden. Denn Pestizide seien nicht nur für Menschen ein Problem, sondern auch – wie Studien belegen – für die Biodiversität, die Bodenfruchtbarkeit und die Bodenerosion.

Was können die Verbraucher tun?

Den Verbrauchern selbst rät Andreaus, saisonales und regionales Obst und Gemüse zu bevorzugen. Auch Obst und Gemüse aus ökologischem Anbau seien weitgehend rückstandsfrei und daher zu bevorzugen – dazu könne auch die Risikoabschätzung aufgrund der gefundenen Rückstände herangezogen werden – siehe Homepage von Legambiente. Waren mit Prüfzeichen würden häufiger kontrolliert als andere Ware. Obst und Gemüse sollten jedenfalls immer unter fließendem Wasser abgewaschen und mit einem Tuch abgerieben werden. Das Schälen von Äpfeln und Birnen hingegen sei nicht empfehlenswert, da dabei wertvolle Inhaltstoffe verloren gingen. “Waschen Sie sich nach dem Schälen von Bananen, Zitrusfrüchten und Mangos die Hände, damit die Rückstände von der Schale nicht auf das Fruchtfleisch übertragen werden”, rät die VZS. “Sollten Sie Orangen- oder Zitronenschale verwenden wollen, nehmen Sie Bio-Ware.” Bei Salat sollten die äußeren Blätter entfernt werden. Die inneren seien rückstandsärmer.

Von: mho

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