Brasiliens Präsident Lula mit argentinischem Pendant Fernandez

Tauziehen um Mercosur-Freihandelspakt dauert an

Sonntag, 09. Juli 2023 | 12:03 Uhr

Die EU-Ratspräsidentschaft Spaniens gilt bei Befürwortern des EU-Mercosur-Freihandelspakts als Chance, das Abkommen zu besiegeln. “Es gibt das Zeitfenster der Präsidentschaft von Lula und die Spanier wollen das unbedingt hinkriegen”, sagt der Wirtschaftsdelegierte in Brasilien, Günther Sucher. Wie andere Befürworter betont er, dass durch das Abkommen Sozial- und Umweltstandards im Mercosur-Raum angehoben würden. Indes wurden aber auch Stimmen in Südamerika kritischer.

Bisher ist die österreichische Regierung auf EU-Ebene auf Basis eines Beschlusses im Nationalrat zu einem Nein zum Abkommen verpflichtet. In Europa stehen weiters die Niederlande dem Abkommen ablehnend gegenüber. Die Haltungen Frankreichs und Belgiens gelten als kritisch. Deutschland und die EU-Kommission wollen die Umsetzung so rasch wie möglich.

Das Abkommen war 20 Jahre lang verhandelt worden. Seit 2019 harrt es einer tatsächlichen Einführung.

Ein Weg es doch noch durchzubringen, wäre eine von Brüssel inzwischen geforderte Zusatzvereinbarung (“joint instrument”) mit weiteren Bestimmungen und Garantien – sodass ein neuer Sachverhalt entsteht. Oder das wiederum bei vielen Gegnern besonders kritisch gesehen “Splitting”: Dabei würde das Abkommen in zwei Teile aufgespalten, damit der wirtschaftliche Teil ohne Ratifizierung der nationalen Parlamente der EU-Staaten wie Österreich möglich würde.

“Dass die Mercosur-Seite ob des Stellens neuer Forderungen aus Europa verstört ist, ist verständlich”, sagte Sucher im Gespräch mit der APA. “Sozial- und Umweltstandards würden garantiert sein.” Und: “Ohne Abkommen gibt es auch keine institutionalisierte Gesprächsbasis”, gibt der Handelsdelegierte weiters zu Bedenken.

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat die von Brüssel geforderte Zusatzerklärung zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur zurückgewiesen. “Das ist inakzeptabel”, sagte er erst dieser Tage beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des Mercosur im argentinischen Puerto Iguazú. “Wir wollen kein Abkommen, das uns dazu verdammt, für immer nur Lieferanten von Rohstoffen zu sein.”

Der WKÖ-Wirtschaftsdelegierte beruhigt vor allem bei den hiesigen agrarischen Sorge-Themen, nämlich in Sachen der kontingentierten Mengen an Zucker, Hendl (jeweils 180.000 Tonnen) und Rindfleisch (99.000 Tonnen), die laut Plan im Abkommen zoll-gesenkt oder -frei in die EU gelangen dürfen. Sowohl beim Geflügel als auch beim Rind handle es sich verglichen zum gesamten Export aus Brasilien bzw. dem Verbrauch dieser Güter in Europa um marginale Mengen von 1 bis 1,2 Prozent.

Im Umweltbereich sehe er Verbesserungen durch den Präsidentenwechsel in Brasilien, dem mit Abstand wirtschaftsstärksten südamerikanischen und Mercosur-Staat. Lula setze etwa verstärkt auf den Schutz Indigener – und dieser Schutz bedeute automatisch auch mehr Schutz für den Regenwald.

Sucher warnt vor negativen Auswirkungen einer Nicht-Umsetzung des Freihandelsabkommens. Auf die Frage, ob er einen Verlust des Marktes fürchte, wenn die EU das Abkommen sausen lasse, sagte der Außenwirtschaftsvertreter: “Das sehe ich durchaus so. Ein solches Szenario droht, wenn das Abkommen nicht zustande kommt. China ist sowohl beim Import als auch beim Export bereits wichtigster Handelspartner Brasiliens.” Präsident Lula sei zudem “tendenziell emotional und könnte sagen, ‘na gut, wenn die Europäer nicht wollen, dann mache ich mehr mit China, Afrika, Nordamerika”.

Es gehe auch um die Implementierung europäischer Standards in der Welt, zog Sucher ein Dauerargument der Befürworter. Das Feld dürfe nicht anderen Wirtschaftsblöcken überlassen werden, was Europa ins Hintertreffen bringen könne. “Zumindest EU-ähnliche Standards” gebe es dann erst wieder nicht. Außerdem habe gerade Brasilien extrem hohe Importzölle von 40 bis 60 Prozent die fallen würden wie auch viel Bürokratie. “Österreichische Betriebe würden sich pro Jahr 88 Mio. Euro ersparen, die an Abgaben und Zöllen wegfallen würden.”

Detail am Rande: Österreich exportiert derzeit mehr Nahrungsmittelprodukte nach Brasilien (und auch Mercosur) als umgekehrt. Grund dafür sind zuletzt im Jahr 200 Mio. Euro schwere Ausfuhren einer weltbekannten Brause aus Österreich.

Zum Mercosur gehören Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Der Vertrag mit der EU würde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen. Er soll vor allem Zölle abbauen und damit den Handel ankurbeln. Das Abkommen muss noch von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, Österreich hatte dies abgelehnt. Allerdings ist es auch in Südamerika umstritten. Einige Länder wollen ihre Märkte schützen, andere fürchten die Aufweichung von Arbeits- oder Umweltstandards.

Argentiniens Präsident Alberto Fernández kritisierte etwa die von der EU angeregte Zusatzerklärung zu Klima, Umwelt und Menschenrechten: “Sie legt den Fokus zu stark auf den Umweltschutz, ohne die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit im Blick zu behalten”, sagte er. Zudem warf er den EU-Staaten Protektionismus vor allem in der Landwirtschaft vor.

Von: apa