Mirco [20] ist ein "Hikikomori"

Bozen: Seit vier Jahren das Haus nicht mehr verlassen

Donnerstag, 07. Januar 2021 | 10:52 Uhr

Bozen – Mirco (Name geändert) kommt aus Bozen, ist 20 Jahre alt und hat seit vier Jahren nicht oder kaum mehr das Haus verlassen. Sein Zimmer und die heimischen vier Wände sind sein Refugium vor einer Welt, in der er sich nicht wohlfühlt und die ihn belastet. Er versteckt sich vor dem Druck und der Erwartungshaltung der Gesellschaft.

Wie die Tageszeitung Alto Adige berichtet, ist Mirco ein “Hikikomori”: So werden in Japan Menschen bezeichnet, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Gesellschaft auf ein Minimum zu reduzieren. Das Phänomen wurde in Japan in den 90-er Jahren erstmals beschrieben.

Man geht davon aus, dass es allein in Südtirol rund 600 “Hikikomoris” gibt – die Hälfte davon lebt in Bozen. Die Gründe, warum sich Menschen so zurückziehen sind vielfältig: eine besondere Sensibilität, die Schule, Mobbing, familiäre Probleme oder fortlaufende Schwierigkeiten, sich in einer ständig verändernden und von Wettbewerb geprägten Gesellschaft zurechtzufinden.

Die Entwicklung zu einem “Hikikomori” geschieht meist schleichend. Auch die Mutter von Mirco hat die Veränderungen erst mit der Zeit bemerkt. Langsam zog sich der Jugendliche zurück. “Während sein Bruder ständig unterwegs war, hielt sich Mirco immer öfter in seinem Zimmer auf und verbrachte die Zeit beim Computer oder mit Videospielen”, so die Mutter. Zugleich seien in ihm Ängste gegen die Herausforderungen des Lebens entstanden. Diese hätten ihn schließlich dominiert. Am Ende wollte Mirco gar nicht mehr mit seiner Familie zu Abend essen.

Der Psychologe und Psychotherapeut Gabriele Baldo spricht von einem relativ neuen Phänomen bei uns. Dabei habe das Internet eine Schlüsselrolle. “Es ist nicht, wie man vielleicht denken mag, eine Ursache für Hikikomori, sondern ein Mittel der Kommunikation, mit dem trotz Isolation soziale Kontakte aufrechterhalten werden können.” Ohne Internet sei die Abkapselung wohl noch viel stärker, so Baldo.

Er koordiniert auch die Aktivitäten einer Vereinigung, die sich um derartige Fälle kümmert und auch in der Prävention aktiv ist. Kann man nämlich rechtzeitig eingreifen, gelingt es die Abwärtsspirale zu stoppen.

Von: luk

Bezirk: Bozen