Von: luk
Bozen – Heute ist Welttag der psychischen Gesundheit. Das Netzwerk Psyhelp erinnert gerade in der aktuellen schweren Zeit daran, wie wichtig Hilfsangebote sind. Roger Pycha und Sabine Cagol haben dazu einen Text verfasst:
Du bist nicht allein – zum Welttag der psychischen Gesundheit
Corona gefährdet die psychische Gesundheit mehrfach – durch die Viruserkrankung selbst treten Depressionen häufiger auf. Die weltweite Pandemie mit ihren sozialen und wirtschaftlichen Folgen verursacht überall Stress, Angst und Erschöpfung, die leicht in psychosomatische Erkrankungen, Angststörungen und Depressionen übergehen. Die Abstandsregeln stören die zwischenmenschliche Nähe empfindlich, Masken machen die Mimik fast unkenntlich – wir müssen mit den Augen zu sprechen lernen. All das ist mühsam. Der 10. Oktober ist heuer ein mühsamer Welttag der psychischen Gesundheit.
Die Krise lehrt jeden, sein eigener privater Psychologe zu werden. Und oft auch der Coach seiner Angehörigen und Freunde. Es geht immer wieder darum, schwierige Gefühle in möglichst positive Handlungen umzusetzen. Am Beginn der Krise stand ein Jahr lang die Angst im Vordergrund, Angst vor den unsichtbaren Viren und den unsichtbar erkrankten anderen Menschen, vor den Ansteckenden, den Unbekümmerten, den Sorglosen. Diese Angst hat vieles befördert, viel politische Vorschriften, rasche Entwicklung von Impfstoffen und Zulassungen, aber auch neue Netzwerke.
Seit März 2020 arbeitet in Südtirol das Netzwerk PSYHELP an der Eindämmung der psychosozialen Auswirkungen der Coronakrise. Es ist von der Psychologenkammer gefordert und vom Netzwerk psychischer Gesundheit gegründet worden. Es schließt 15 öffentliche Dienste, 20 private Vereinigungen und vier bereits bestehende Netzwerke ein. Es wird von acht Experten koordiniert, die Einsatzleiter für den psychischen Teil der Bewältigung der Coronakrise sind. Beteiligt sind so unterschiedliche Organisationen wie telefono amico, das Italienische Rote Kreuz, die Europäische Allianz gegen Depression, die Caritas, das Forum Prävention, die Selbsthilfevereine Lichtung und Ariadne oder Frauen helfen Frauen. Unsere Notfallpsychologen haben die Mitarbeiter des Gesundheitswesens von Anfang an begleitet, später die Altersheime und die Sozialdienste. Sie haben die Psychologischen Dienste zu einer telefonischen Dauerbereitschaft zusammengeschlossen. Wir haben alle Dienste im psychischen Bereich angewiesen, ihre Patienten aktiv anzurufen und telefonisch zu betreuen. Wir haben rasch eine Liste aller Anlaufstellen erstellt, und innerhalb von zwei Wochen die Website www.dubistnichtallein.it geschaffen. Sie geht von schwierigen Gefühlen wie Gereiztheit, Grübeln, Verzweiflung aus. Sie gibt jeweils drei bis vier Handlungsanleitungen, um die Gefühle selber zu ändern. Und wenn das nicht reicht, leitet sie über zu den Anlaufstellen, die am raschesten und am gezieltesten helfen können. Denn trotz Krise sind wir nicht ganz allein, und geteiltes Leid ist halbes Leid.
Zwei Mal mussten wir neue schwierige Gefühle ergänzen, wie Angst vor dem Test oder Unsicherheit bei der Impfentscheidung. 50.000 Mal wurde die Website im Verlaufe eines Jahres aufgesucht. Immer wieder erhalten wir seitdem Hinweise, wie gut die Website funktioniert, weil sie die Menschen dort abholt, wo alle mitreden und mitempfinden können: eben bei ihren Gefühlen. Das Land Kärnten will unsere Website nachbauen – zur Eindämmung der hohen Suizidrate, die dort leider herrscht. Es ist die zweithöchste Österreichs.
Seit dem Auftreten der Impfungen als Hilfsstrategie nimmt nun ein anderes Gefühl Überhand, nämlich die Wut, diesmal auf die anders Handelnden, anders Überzeugten. Diese Wut steigert sich beidseits – auch Impfsäumige, Impfskeptiker und Impfgegner fühlen sich so sehr politisch und sozial unter Druck gesetzt, dass sie sich untereinander solidarisieren, und viel mehr miteinander als mit den Andersdenkenden diskutieren.
Diese Wut sollte zu einem Klima andauernder Diskussion und Beredung Anlass geben. Die Wut sollte zum Mut werden, die eigen Meinung offen zu vertreten, sich der eigenen Unsicherheit nicht zu schämen, und die eigene Entscheidung mit allen Konsequenzen zu akzeptieren.
Roger Pycha und Sabine Cagol,
im Namen aller Koordinatoren von PSYHELP