Einsatzkräfte berichten von ihren Erfahrungen

Gaffer sind auch in Südtirol oft dreist

Mittwoch, 24. Oktober 2018 | 07:15 Uhr

Bozen – In Deutschland stellen Gaffer an einem Unfallort ein immer größeres Problem dar.

Sie behindern nicht nur Einsatzkräfte, sie verursachen auch Staus und verhalten sich Opfern gegenüber absolut respektlos.

Sogar die Handykamera zückt manch ein Gaffer, um die Bilder eines dramatischen Unfalls an Freunde weiterzuschicken. Durch die Verlangsamung ihrer Fahrt sorgten sie auch schon für Folgeunfälle.

Weil sich die Entwicklung immer mehr zugespitzt hat, ist der deutsche Gesetzgeber aktiv geworden. Gaffer können nun härter bestraft werden.

Zudem wurden Aufklärungskampagnen mit ergreifenden Videos gestartet.

Wie verhält es sich aber in Südtirol? Werden auch hier Menschen aufdringlich, wenn sie einem Unfall beiwohnen?

Südtirol News hat dazu mit Diddi Osele vom Landesverband der Freiwilligen Feuerwehren Südtirols sowie mit mehreren Feuerwehrkommandanten und -vertreter im Land gesprochen.

Osele erklärt, dass die Situation in Südtirol nicht mit Deutschland vergleichbar sei. Dem pflichten die Feuerwehrkommandanten von Meran, Leifers und Klausen bei, allerdings bemerke man einen gewissen Trend auch bei uns.

“Schaulustige sind oft dreist”

Karl Gamper von der Freiwilligen Feuerwehr Meran meint, dass sich seine Wehrleute bei Einsätzen auch schon mal mit Schaulustigen auseinandersetzen müssen. Vor allem stelle es ein Problem dar, wenn sie dem Einsatzort zu nahe kommen und sich dadurch selbst in Gefahr bringen würden. So müssten die Wehrmänner beim Rangieren mit den schweren Einsatzfahrzeugen aufpassen, dass niemand überfahren werde. Es sei auch schon mal nötig, Barrieren zu errichten und die Leute zurückzudrängen, meint Gamper.

Das kann Patrick Thaler, der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Leifers, bestätigen. Er beschreibt das Verhalten der Schaulustigen zum Teil als dreist. Es hänge aber etwas davon ab, wo und zu welcher Tageszeit ein Unfall geschehe. An einem Samstag im Ortszentrum bilde sich bald eine Menschentraube. Einsatzkräfte würden zwar nicht behindert, doch die Privatsphäre der Opfer und Retter werde nicht gewahrt. Es sei bereits vorgekommen, dass jemand sein Auto einfach auf der Straße stehen hat lassen, um nachzusehen, was los ist.

Bei Bränden gingen Schaulustige ebenfalls oft zu nahe ran und würden damit die Gefahr von Rauchgasen unterschätzen, erklärt Karl Gamper von der Feuerwehr Meran weiter. Auch Anwohner, die etwa vom benachbarten Haus aus dem Fenster schauen, müssten dann darauf hingewiesen werden.

Zufahrtswege durch Gaffer blockiert

Aber auch auf dem Land würden Gaffer manchmal ein Problem darstellen. “Sie erfahren von einem Brand oder einem Unfall und fahren dann mit ihren Privatautos hin”, meint Gamper. Da könne es dann geschehen, dass die Zufahrt auf den ohnehin engen Straßen und Wegen für Einsatzfahrzeuge blockiert werde. Als konkretes Beispiel nennt er den Hubschrauberabsturz in Vöran Anfang September.

Auf die Frage, ob das Fotografieren oder Filmen durch Schaulustige störend für die Einsatzkräfte sei, verneint Gamper. Er meint aber, dass es für die Betroffenen und Angehörigen nicht angenehm sei, da sie womöglich durch im Internet gepostete Fotos von einem Unfall erfahren.

Patrick Thaler von der Feuerwehr Leifers hat den Eindruck, dass die Neugier der Menschen in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Sie wollen Informationen immer schneller erfahren. Das hänge wohl mit der Ausbreitung der sozialen Medien zusammen.

Markus Mitterrutzner, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Klausen, hat mit Schaulustigen weniger Probleme. Klar gebe es Extremfälle, doch im Großen und Ganzen bemerke er keine Auffälligkeiten.

Die Feuerwehr Klausen wird oft zu Unfällen auf der Brennerautobahn gerufen. Dabei sei das größte Problem, dass Menschen im Stau aussteigen und auf die Notspur gehen. Laut Mitterrutzner ein gefährliches Verhalten, da die Einsatzkräfte diese Spur benutzen, um zum Einsatzort zu gelangen.

Dort angekommen, müssten die Wehrleute außerdem noch den Verkehr auf der Gegenfahrbahn im Auge behalten. Es sei nämlich so, dass Autofahrer verlangsamen, um rüberzuschauen. Das sei menschlich, doch hier bestehe die Gefahr eines Auffahrunfalls. Das sei auch schon geschehen, so Mitterrutzner. Deshalb würde immer eine Einsatzkraft die Autofahrer mit Winkbewegungen zum Weiterfahren animieren.

„Unsere Einsatzkräfte werden respektiert“

Hansjörg Elsler von der Berufsfeuerwehr Bozen schildert ein ähnliches Bild der Lage. Es hänge immer davon ab, wo sich der Unfall ereigne.

„Im urbanen Bereich ist natürlich die Anzahl der Schaulustigen bedeutend höher als in der Peripherie, aber eines kann man sicherlich sagen: Das Problem hält sich noch in Grenzen. Der Stellenwert der Feuerwehr ist bei uns sehr hoch und unsere Einsatzkräfte werden respektiert. Es gibt auch keine Gewalt gegen Einsatzkräfte. Natürlich, das Problem der vielen Handys am Einsatzort ist vorhanden, und hier haben nicht nur junge Menschen oft ein Problem mit dem Datenschutz, sondern auch gerade ältere ‘Semester’ wissen noch nicht richtig, wie mit dieser neuen Situation umzugehen ist.“

Schaulustige seien häufig noch passiver geworden und würden das Geschehen durch die Linse verfolgen. Dadurch würden sie einerseits den Einsatz als etwas Externes empfinden, sich in ihrer Rolle als Beobachter andererseits aber trotzdem eingebunden fühlen, so Elsler weiter. „Die Bereitschaft, den Ort zu verlassen, sinkt.” Schaulustige seien sich der eigenen Handlungen oft nicht mehr bewusst. Mehr Einsatzkräfte sind gebunden, da sie die Schaulustigen vor sich selbst und den Betroffenen schützen müssten. Außerdem gebe es immer wieder Personen, die aufgrund ihres voll verplanten Tagesablaufs glauben, weder eine Absperrung ernstnehmen noch eine Anweisung von Einsatzkräften befolgen zu müssen.

Elsler nennt ein Beispiel, das zeigt, wie schnell sich Bilder von Einsätzen heutzutage verbreiten können: “Ich kann mich an Einsatzsituation vor über zwei Jahren erinnern, bei der einer unserer eigenen Wasserretter inmitten der Talfer in Bozen aufgrund des plötzlichen Anstieges des Wasserpegels von einem Stein geborgen werden musste – eigentlich eine Standardeinsatzsituation, die für die betroffene Person gut ausgegangen ist. Durch die große Menge an Schaulustigen und der zufällig aufgetauchten Presse hat sich dieser Einsatz samt Bilder und Videos in den sozialen Medien in kürzester Zeit so verbreitet, dass in zwei Tagen 500.000 Nutzer diesen Einsatz angeklickt haben und eine Fülle von nicht gerade angebrachten Meldungen der betroffenen Person gegenüber im Netz zirkulierte. Das war für mich persönlich schon eine neue Dimension, wenn sich in einige Tagen eine halbe Million Menschen – praktisch die gesamte Südtiroler Bevölkerung – für diesen Einsatz interessiert und ihre Kommentare abgibt. Von sozialen Medien müssen wir uns als Berufsfeuerwehr fernhalten, sonst sind diese Situationen nicht mehr steuerbar.”

“Gaffer darf nicht behindern”

In seinen Abschlussworten erklärt Hansjörg Elsler: “Es war und wird immer so sein, dass es bei besonderen Ereignissen interessierte Zuschauer geben wird. Die Einsatzkräfte können in der Regel mit dieser Situation auch gut umgehen und es ist ja auch für sie eine Wertschätzung ihrer Arbeit, wenn viele ‘Zuschauer’ ihre Arbeit ‘bewundern’. Nur darf der Gaffer nicht zur Behinderung werden und den Einsatz beeinträchtigen. Aber auch wir Einsatzkräfte müssen uns weiterentwickeln und lernen, mit diesen Situationen oft professioneller umzugehen.”

Von: luk

Bezirk: Bozen