Von: mk
Bozen – Im Jahr 2016 haben sich 170 Frauen an eine der Einrichtungen des Netzwerks für Frauen in Gewaltsituationen gewendet – Tendenz steigend.
Heute wurden im Bozner Rathaus die Daten von der Beobachtungsstelle des Netzwerks gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorgestellt. Das Netzwerk, das sich aus öffentlichen und privaten sozialen Einrichtungen, den Ordnungskräften und dem Gericht zusammensetzt, hat heute die Daten und Hintergründe zu den geschlechtsspezifischen Gewalttaten aus dem Jahre 2016 vorgestellt. Die Auswertung der erhobenen Daten wurden vom Amt für Familie, Frau, Jugend und Sozialförderung und vom Amt für Statistik im Beisein von Stadträtin Marialaura Lorenzini, Staatsanwältin Luisa Mosner, GEA-Präsidentin Gabriele Kusstatscher und zahlreicher Vertreterinnen und Vertreter der Netzwerkpartner vorgestellt. Am Rathausplatz fand zeitgleich eine Sensibilisierungskampagne der Staatspolizei mit einem Informationsstand statt.
Im Vergleich zu den Vorjahren wurde somit ein erhebliche Zunahme verzeichnet (2015 waren es 135, 2014 154, 2013 155 und 2012 145). Im Vergleich zu den Vorjahren wurde somit ein erhebliche Zunahme verzeichnet (2015 waren es 135, 2014 154, 2013 155 und 2012 145).
In der Gemeinde Bozen ist die Kontaktstelle gegen Gewalt des Vereins GEA, die sich speziell um Frauen in Gewaltsituationen kümmert, nach wie vor die wichtigste örtliche Einrichtung für Personen, die Gewalt erlitten haben und Hilfe suchen. Über diese Anlaufstelle ist zirka die Hälfte der Hilfe suchenden Frauen in das Netzwerk aufgenommen worden, ein durchgehender Trend der vergangenen fünf Erhebungsjahre. 2016 hat die Kontaktstelle 86 Frauen betreut. Die Frauen, die über die Kontaktstelle GEA im Netzwerk aufgenommen wurden, sind zum Großteil Opfer von psychologischer und körperlicher Gewalt. Es handelt sich meist um ledige oder verheiratete Frauen, die mit der Person, die die Gewalt ausübt, zusammenleben.
Die zweite Bozner Facheinrichtung, an die sich Hilfe suchende Frauen wenden, ist das Haus der geschützten Wohnungen, dessen Hauptziel die Unterstützung von Frauen ist, die Opfer von Gewalt sind. 2016 hat das Haus insgesamt 28 Frauen aufgenommen, d.h. 16,5 Prozent der Gesamtanzahl. Die am stärksten vertretene Form von Gewalt ist dabei die körperliche und/oder psychologische Gewalt von Seiten des Ehemannes bzw. des Partners. Der öffentliche Sicherheitsdienst der Quästur – insbesondere der Streifenpolizei – spielte (wie bereits seit 2013) weiterhin eine wichtige Rolle. 2016 fanden insgesamt 24 Frauen, d.h. 14,1 Prozent der Gesamtanzahl, über die Polizei den Weg zum Netzwerk. Es handelte sich dabei vorwiegend um Frauen, die körperliche Gewalt erleiden und mit dem Gewaltausüber zusammen wohnen.
Der Verein La Strada – Der Weg hat über die Projekte der integrierten soziopädagogischen Gemeinschaft “St. Clara”, dem Projekt “Junge Mütter” des Zentrums “Il Germoglio” und über das Projekt “Alba” im Laufe des Jahres 2016 insgesamt 17 Frauen aufgenommen hat, d.h. zehn Prozent aller Fälle. Das bedeutet einen starken Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Anders als 2015 gingen im Jahr 2016 auch elf Meldungen von Seiten der Sozialsprengel bei der Beobachtungsstelle ein.
Das Profil der Frauen
Für das Jahr 2016 können die Daten der Vorjahre bestätigt werden: Nach wie vor nehmen den ersten Platz verheiratete oder in Partnerschaft lebende Frauen ein (48 Prozent), gefolgt von den ledigen Frauen (32,9 Prozent); Frauen mit Mittelschulabschluss oder beruflicher Fachausbildung oder Uniabschluss; Frauen mit bis zu 30 Jahren haben einen Anteil von 35,3 Prozent, Frauen mit mehr als 50 Jahren 20,6 Prozent. Mehr als die Hälfte der Frauen hat eine italienische Staatsbürgerschaft (52,4 Prozent). Der Anteil an Dienstnutzerinnen aus Zentral- und Osteuropa ist weiterhin signifikant (18,8 Prozent); 14,7 Prozent der Frauen, die sich an die Netzwerkdienste gewandt haben, sind hingegen afrikanischer Herkunft.
Im Vergleich zu 2015 änderte sich die sozio-demografischen Zusammensetzung der Dienstnutzerinnen: Es wurde ein Rückgang der getrennt lebenden oder verwitweten Frauen zu Gunsten der ledigen und der verheirateten/in Partnerschaft lebenden Frauen verzeichnet; der Anteil an jungen Frauen (bis 30 Jahren) ist stabil gebleiben, während der an Frauen mittleren Alters (bis 45 Jahren) abgenommen und die Anzahl der älteren Frauen zugenommen hat. Zwischen 2012 und 2016 hat sich ein Trend hin zur Zunahme der jüngeren, nicht im Paar zusammenlebenden Dienstnutzerinnen (insbesondere ledige Frauen) gebildet.
Das Netzwerk ist nach wie vor ein Dienst, an den sich vorwiegend Frauen der Gemeinde Bozen wenden (91 Prozent), doch die Anzahl der nicht in Bozen ansässigen Dienstnutzerinnen nimmt ständig zu (neun Prozent im Jahr 2016). Die sozio-ökonomische Situation der Frauen, die bei einem der Dienste für Frauen in Gewaltsituationen Hilfe suchten, hat sich 2016 im Vergleich zu den Vorjahren insgesamt gebessert: 60,8 Prozent der Dienstnutzerinnen gaben an, beschäftigt zu sein. Auch die Wahrnehmung in Bezug auf die eigene wirtschaftliche Selbständigkeit nimmt im Vergleich zur Vergangenheit merklich zu: 69,6 Prozent erklärten, über wirtschaftliche Einnahmen zu verfügen, die für sich selbt und die Familie ausreichen. Es wurde eine Abnahme der Personen verzeichnet, die erklären, sprachliche Probleme zu haben (trotz der Zunahme von ausländischen Dienstnutzerinnen); es handelt sich dabei um 5,4% der Frauen, die mit den Netzwerkdiensten im Kontakt stehen (im Vorjahr waren es zehn Prozent). Der Anteil jener, die sich über mangelnde Bewegungsfreiheit beklagen, geht auch merklich zurück: 2015 waren es acht Prozent, 2016 nur drei Prozent.
Die verschiedenen Formen von Gewalt
Die am weitesten verbreitete Form von Gewalt gegen Frauen ist jene, die sich im Bereich der intimen Beziehungen entfaltet, also die häusliche Gewalt. Im Trend zu den Jahren 2013, 2014 und 2015 ist diese Form von Gewalt die weitaus häufigste bei den von den Diensten des Netzwerks betreuten Frauen: 2016 belief sich der Anteil auf 81 Prozent im Verhältnis zu den 77 Prozent vom Jahr 2015. Die Stalkingfälle belaufen sich auf zehn Prozent, ein Prozentsatz der jenem von 2014 und 2015 entspricht. Die Zufallsangriffe haben abgenommen, während die Gewaltfälle, die mit der sexuellen Ausbeutung zusammenhängen, einen stabilen Trend aufweisen.
Die häusliche Gewalt äußert sich vor allem in Form von körperlichen, psychischen und ökonomischen Misshandlungen. Im Dreijahreszeitraum 2014-2016 nimmt der Anteil an Frauen, die den Zeitpunkt, an dem die Gewaltausübung begonnen hat, nicht genau angeben können, zu; 2016 waren es 84 Prozent, während es 2015 69 Prozent waren. Die Frauen, die hingegen den Beginn der Gewalt mit einem spezifischen Ereignis verbinden, geben insbesondere Geschehnisse im intimen Beziehungsleben dafür an: Die Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes (zehn Fälle) fallen oft mit dem Auftreten von Gewalt zusammen, insbesondere psychologischer Art. Auch eine Heirat bzw. das Zusammenziehen (neun Fälle), aber auch das Ende einer Beziehung öffnet oft der Anwendung von schlimmen Gewaltformen die Tür.
Die Form der ausgeübten Gewalt an Frauen
2016 führt, anders als im Vorjahr, die körperliche Gewalt die Rangordnung an und ist die häufigste und am meisten verbreitete Form von Gewalt gegen Frauen: Es wurden insgesamt 131 Fälle verzeichnet, d.h. 34,5 Prozent der gesamten eingeholten Antworten.
Am zweiten Platz rangiert die psychologische Gewalt (in all ihren Formen) mit 32,4 Prozent und 123 Fällen. Diese Formen von Gewalt zeichnen sich durch Wiederholungsmuster aus und sie treten häufig in Kombination mit anderen Formen von Gewalt auf. Auch die ökonomische Gewalt kann zu den Gewaltformen gezählt werden, die Wiederholungscharakter aufweisen. Laut Daten der Beobachtungstelle von 2016 steht diese Form der Gewalt in Bozen mit 55 Meldungen an dritter Stelle (das entspricht einem Anteil von 14,5 Prozent an allen gemeldeten Gewaltformen). Was die sexuelle Gewalt betrifft, wurden 2016 in Bozen 34 Fälle verzeichnet, was neun Prozent der Gesamtanzahl der Gewaltfälle ausmacht. 7,6 Prozent der Frauen haben sich an einen der Dienste des Netzwerkes gewendet, weil sie Opfer eines Stalkers geworden sind. Es wurden fünf Fälle von Zwangsheirat gemeldet. Die 2016 eingetretenen Änderungen sind mehr oder weniger geringen Ausmaßes: Es gab eine Zunahme von sechs Prozentpunkten bei der körperlichen Gewalt, von zwei Prozentpunkten bei der ökonomischen Gewalt und von einem Prozentpunkt beim Stalking. Die Häufigkeit, mit der psychologische Gewalt (-6 Prozentpunkte) ausgeübt wird, sowie die Fälle von sexueller Gewalt (-2 Prozentpunkte) nehmen ab.
Die Täter
Das soziodemografische Profil der Täter, das sich aus den Daten des Jahres 2016 ergibt, ist das folgende: Es wird ein größerer Anteil an erwachsenen und älteren Tätern verzeichnet, während die Gewaltausübung vonseiten von Männern mit weniger als 30 Jahren ein geringeres Ausmaß hat. Letztere Gruppe verzeichnet einen Anteil von 15 Prozent im Vergleich zu 5,4 Prozent des Jahres 2015. Die Gruppe der 31- bis 45-jährigen Männer (mittleres Alter) erreicht einen Anteil von 43 Prozent. Besonders oft handelt es sich dabei um den aktuellen Partner des Opfers. Die Anzahl der älteren Täter bleibt im Vergleich zum Vorjahr stabil (42 Prozent); dazu gehören besonders oft die ehemaligen Lebenspartner der Opfer.
Auch was die Herkunft der Täter betrifft, gibt es Unterschiede zu den Vorjahren: Die Italiener sind, wie bereits in den vorherigen Erhebungen, die absolute Mehrheit (57 Prozent), doch sie nehmen sowohl im Vergleich zum Vorjahr (-1 Prozentpunkt) als auch zu den weiteren Vorjahren ab. Auch die Täter aus Osteuropa nehmen bedeutsam ab (-8 Prozentpunkte), während jene aus Afrika zunehmen (+6 Prozentpunkte). Betrachtet man die Beziehung, die zwischen Täter und Opfer besteht, so steht an erster Stelle – in zirka der Hälfte der Fälle (58 Prozent) – der Ehemann oder der Verlobte bzw. der derzeitige Lebenspartner der Frau als Haupttäter. Eine Gewalttat von fünf ist hingegen dem ehemaligen Partner zuzuschreiben (19 Prozent), gefolgt von Verwandten (13 Prozent) und Freunden (zwei Prozent). Die Gewalttaten, die von Männern außerhalb des Verwandten- und Freundes- bzw. Bekanntenkreises ausgeübt werden (Zuhälter und Unbekannte) nehmen einen unbedeutenden Platz ein (zirka sechs Prozent aller eingeholten Meldungen).
Die Gewalttaten, die von ehemaligen Partnern ausgeübt werden, erreichen einen Anteil von 19 Prozent (vor vier Jahren waren es noch 14 Prozent). Die ehemaligen Partner sind insbesondere gegenüber alleinstehenden, älteren Frauen mit italienischer Staatsbürgerschaft und mittlerem-höherem Schulabschluss gewalttätig. Die Gewaltfälle, für die der derzeitige Partner verantwortlich ist, betragen immer noch zirka 60 Prozent und bleiben weiterhin an erster Stelle der Rangordnung in Bezug auf den Täter. Die Mehrheit der Fälle ökonomischer, körperlicher oder psychischer Gewalt können dem Ehemann oder dem Lebenspartner angelastet werden.
Miterlebte Gewalt
In Bozen leben in 58 Prozent der Gewaltfälle mit der Frau, welche Gewalt erlitten hat, auch minderjährige Kinder zusammen: In 97 Prozent der Fälle sind es Söhne und Töchter des Opfers, nur selten handelt es sich um andere Verwandte (Brüder oder Schwestern). Die meisten dieser Kinder erleiden auch ihrerseits Gewalt; nur 16 Prozent bleiben davon unberührt. Die Mehrheit der Kinder wird Opfer miterlebter Gewalt (65 Prozent, d.h. 64 Fälle), während nur acht Prozent (acht Fälle) direkte Gewalt erfahren. Ein Zehntel (10,2 Prozent, d.h. zehn Fälle) ist hingegen Opfer beider Formen von Gewalt. Es muss hervorgehoben werden, dass der Täter, der die Kinder misshandelt, in 97 Prozent der Fälle der gleiche ist, der auch Gewalt gegen die Mutter ausübt. Diese Daten bestätigen erneut, wie stark Kinder in Gewaltgeflechten einbezogen sind, die ihre körperliche und psychische Unversehrtheit gefährden.
Das Netzwerk
2016 wurden folgende Arten der Kontaktaufnahme mit den zuständigen Diensten für Frauen in Gewaltsituationen festgestellt: Die Frauen neigen weiterhin immer mehr dazu, selbständig zu handeln und sich aus eigenem Antrieb an einen der Dienste des Netzwerks zu wenden, wahrscheinlich auf der Basis von selbst eingeholten Informationen: Dieser Trend hat sich weiterhin verstärkt, sodass 2016 zirka ein Drittel der Dienstnutzerinnen diese Erfahrung machten.
Die Sozialdienste und die Sozialbetreuerinnen spielen nach wie vor eine wichtige Rolle als Anlaufstelle für hilfsbedürftige Frauen. Die Rolle der Sicherheitskräfte, die bereits im Vorjahr an Wichtigkeit gewonnen hatte, wird bestätigt: Über sie fanden 15 Prozent der Frauen Zugang zu den Netzwerkdiensten. Die Rolle der Gesundheitsdienste (CSM, Ärzte und Psychiater) konsolidiert sich. Ebenso in der Kontaktstelle GEA werden die Daten der Vorjahre bestätigt.
Anzeigen bei Behörden
Zirka die Hälfte der Frauen, die von den Diensten des Bozner Netzwerkes gegen Gewalt an Frauen betreut wurden, hat wegen der erlittenen Gewalt Anzeige erstattet (47,5 Prozent). Dies bedeutet eine Zunahme im Vergleich zum Vorjahr. Die Opfer von sexueller, körperlicher und psychologischer Gewalt sowie Stalking erstatten eher Anzeige als die Opfer von ökonomischer Gewalt.
Im Vergleich zu 2014 und 2015 haben auch die Anzeigen beim ordentlichen Gericht zugenommen, dasselbe gilt auch für die Anzeigen beim Jugendgericht. Was die Anzeigen beim Jugendgericht anbelangt, wird insbesondere in Fällen körperlicher und sexueller Gewalt davon Gebrauch gemacht, während das ordentliche Gericht vornehmlich von Opfern sexueller und körperlicher Gewalt sowie Stalking aufgesucht wird, sowie von den wenigen Opfern einer Zwangsheirat.