"Wille zum respektvollen Umgang nicht sichtbar" - "Tiroler Wort gebrochen"

Pestizidstreit: Fronten sind verhärtet

Mittwoch, 30. September 2020 | 15:38 Uhr

Bozen – Die Verhandlungen des Landwirtschaftslandesrats mit Umweltinstitut München e.V., Autor Schiebel und Oekom-Verlag sind gescheitert. Der Landesrat erkennt “keinen Willen zu außergerichtlicher Einigung”.

2017 hatte Südtirols Landwirtschaftslandesrat gemeinsam mit 1600 Bäuerinnen und Bauern Anzeige gegen den Buchautor Alexander Schiebel, den Oekom-Verlag und das Umweltinstitut München wegen übler Nachrede und Markenverletzung erstattet. Ziel der Anzeige war es, Grenzen aufzuzeigen und einen respektvollen gegenseitigen Umgang einzufordern. Kurz vor Beginn der Gerichtsverhandlungen Mitte September dieses Jahres hatte es dann nochmals Gespräche zwischen den Angeklagten und dem Landwirtschaftslandesrat gegeben, in dem die Angeklagten anfänglich eine bestimmte Bereitschaft zu einer außergerichtlichen Einigung erkennen ließen. Daraufhin kündigte der Landesrat am 14. September an, die Anzeige unter bestimmten Bedingungen zurückzuziehen.

Wille zum respektvollen Umgang nicht sichtbar

Die Anwälte der beiden Parteien traten darauf in Kontakt, um die verfahrenstechnischen Elemente und die Inhalte abzuklären. Dabei erwiesen sich die juristisch-technischen Verhandlungen allerdings als schwierig. Von den Angeklagten beziehungsweise deren Anwälten gab es keine Bereitschaft für das Zustandekommen einer Vergleichsvereinbarung, heißt es aus dem Ressort für Landwirtschaft. Weiters hätten Aktionen sowie E-Mails und Videos der Angeklagten, die während der Vergleichsgespräche zwischen den Anwälten medial verbreitet wurden, darauf schließen lassen, dass eine außergerichtliche Einigung im Grunde nicht gewollt sei. Der geforderte respektvolle Umgang im Sinne eines konstruktiven Dialoges seitens Alexander Schiebel und Karl Bär sei somit nicht eingehalten worden.

Landwirtschaft gegen außergerichtliche Einigung

Angesichts der dargelegten Sachverhalte haben sich nun alle wesentlichen Beteiligten der Südtiroler Landwirtschaft gegen eine außergerichtliche Einigung ausgesprochen, und zwar die Bauern, welche die Anzeigen erstattet haben, die Obmänner der Erzeugerorganisationen VOG und VIP sowie als Vertretung der bäuerlichen Familienbetriebe der Südtiroler Bauernbund mit der Südtiroler Bauernjugend, der Südtiroler Bäuerinnenorganisation und der Seniorenvereinigung. Der Landwirtschaftslandesrat erklärt: “Da unser Friedensangebot nicht angenommen worden ist, müssen wir die Vergleichsverhandlungen als gescheitert erachten und die Verfahren werden wohl ihren Lauf nehmen.”

Umweltinstitut München e.V.: “Tiroler Wort” gebrochen

Anders sieht die Sachlage die Gegenseite: “Die Gespräche zwischen den Anwälten der beiden Parteien scheiterten entgegen anderslautenden Behauptungen daran, dass die Kläger die Aufklärungsarbeit über den hohen Pestizideinsatz in Südtirol unterbinden wollten.”

“Der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft, Arnold Schuler, bricht sein ‘Tiroler Wort'”, heißt es in einer Aussendung des Vereins. “Er hatte vor rund zwei Wochen zum Start des Gerichtsverfahrens wegen übler Nachrede gegen Karl Bär vom Umweltinstitut München e.V. in Bozen gegenüber der Presse und dem Gericht erklärt, seine Anzeigen gegen das Umweltinstitut sowie gegen den Buchautor Alexander Schiebel und dessen Verleger Jacob Radloff gemeinsam mit den klagenden LandwirtInnen zurückzuziehen. Darauf gebe er sein “Tiroler Wort”, so Schuler. In den daraufhin folgenden anwaltlichen Gesprächen stellten die Anwälte Schulers jedoch Bedingungen für die Rücknahme der Anzeigen, die die Beklagten in ihrer freien Meinungsäußerung beschränkt hätten. Für das Umweltinstitut München, Alexander Schiebel und seinen Verlag kam und kommt es nicht infrage, Informationen über das wahre Ausmaß des Pestizideinsatzes in Südtirol zurückzuhalten oder die Kritik an dem Prozess einzustellen. Nachdem klar wurde, dass sich die Beklagten auf keinen Deal einlassen würden, erfolgte heute Schulers Rückzug vom Rückzug aus dem Verfahren”, heißt es weiter.

Karl Bär, Referent für Agrarpolitik im Umweltinstitut München: “Landesrat Schuler wollte uns darauf festnageln, wichtige Daten zum Pestizideinsatz in Südtirol vor der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Das zeigt, wie viel Angst der Minister und die Südtiroler Apfellobby davor haben, dass die Wahrheit über den Pestizideinsatz auf den Südtiroler Obst-Plantagen ans Licht kommt. Natürlich kommen wir einer solchen Forderung nicht nach. Es zeigt sich einmal mehr, dass es bei diesem Prozess von Anfang an um nichts anderes ging, als KritikerInnen des Pestizideinsatzes in Südtirol einzuschüchtern. Doch diese Taktik geht nicht auf. Wir werden uns niemals einen Maulkorb verpassen lassen.”

Alexander Schiebel, Buchautor: “Arnold Schuler hat in Bezug auf die Rücknahme der Anzeige gegen uns vor laufenden Kameras gelogen. Und in meinem Fall beruhen seine öffentlichen Aussagen auf systematisch wiederholten Verleumdungen. Ich habe an keiner Stelle und niemals gesagt oder geschrieben, dass die Südtiroler Apfelbauern ‘Mörder’ seien, oder – was das gleiche bedeuten würde – dass sie sich der ‘vorsätzlichen Tötung’ schuldig gemacht hätten. Wir werden nun diesen Prozess dazu nutzen, um noch effektiver auf die Gefahren durch den hohen Pestizideinsatz in der Region hinzuweisen. Und wir werden unser Recht auf freie Meinungsäußerung notfalls bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchfechten.”

Nicola Canestrini, vertretender Rechtsanwalt: “Die Kommunikation zwischen Anwälten ist vertraulich, deshalb haben wir uns immer daran gehalten, keine Details aus diesen Gesprächen an die Öffentlichkeit zu geben. Wenn die Gegenseite nun aber behauptet, die Verhandlungen wären an Äußerungen meiner Mandanten in den sozialen Medien gescheitert, ist das schlicht falsch. Wir fordern daher die Anwälte von Herrn Schuler auf, die Vertraulichkeit der zwischen uns ausgetauschten Nachrichten aufzuheben, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann, was der wahre Grund ist, warum Schuler und Co nun weiter klagen.”

Hintergrund

In Südtirol werden auf rund 18.000 Hektar ungefähr die Hälfte der Äpfel Italiens und rund zehn Prozent aller in der EU geernteten Äpfel produziert. Auch etwa jeder zehnte Apfel in deutschen Supermärkten kommt von hier. Damit diese intensive Landwirtschaft funktioniert, werden große Mengen an Pestiziden eingesetzt. Laut aktuellen Zahlen des italienischen Statistikamts wurden in Südtirol im Jahr 2018 sechs mal mehr Pestizide verkauft als im italienischen Durchschnitt. Bis zu 20 Mal pro Saison werden die Apfelplantagen gespritzt.

Das Umweltinstitut München e.V. hatte im Jahr 2017 mit einer Kampagne den hohen Einsatz von Spritzmitteln in den Südtiroler Apfelplantagen kritisiert. Alexander Schiebel veröffentlichte im selben Jahr das Buch „Das Wunder von Mals”, in dem er die Geschichte einer Bürgerinitiative für ein pestizidfreies Mals schildert und dabei auch den Pestizideinsatz in Südtirol und das Verhalten der dortigen Obstwirtschaft anprangert. Der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler hatte sie daraufhin gemeinsam mit über 1300 Landwirten angezeigt. Der Vorwurf: Üble Nachrede zum Schaden der Südtiroler Landwirtschaft. Auch weitere Vorstandsmitglieder des Umweltinstituts München und der Verleger von Alexander Schiebel, Jacob Radloff vom oekom verlag, wurden angezeigt. Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklägern und damit der finanzielle Ruin.

Von: luk

Bezirk: Bozen