Bericht in Süddeutscher Zeitung

Pestizid-Einsatz: Südtirols Obstbauern in der Kritik

Mittwoch, 25. Januar 2023 | 12:14 Uhr

Bozen – Südtirols Obstbauern stehen erneut in der Kritik. Die Süddeutsche Zeitung hat gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk die Betriebshefte von fast 700 Südtiroler Obstbauern ausgewertet und stellt sie als Giftspritzer dar.

Unter dem Titel “Das Gift auf dem Apfel” berichtet die große deutsche Zeitung in ihrer Titelgeschichte über den Einsatz von Pestiziden beim Apfelanbau. Dieser sei extrem hoch. Das Thema erscheint auf der Titelseite und im Innenteil der Zeitung als Doppelseite.

Laut Bericht vergeht zwischen März und September kein Tag, an dem nicht gespritzt wird. Untersucht wurden fast 700 Spritzhefte aus dem Jahr 2017. Sie stammen alle aus dem Vinschgau.

Auch das Online-Portal www.tagesschau.de berichtet heute zu diesem Thema unter dem Titel “Gespritzt und ‘naturnah’?”.

Umweltinstitut München e.V.: “Europaweit einmalige Auswertung”

Im Gleichklang spricht das Umweltinstitut München e.V. von einer “einmaligen Auswertung”. Daten würden den Einsatz hochgefährlicher Wirkstoffe, monatelangen Dauereinsatz und Mehrfachbelastung durch Pestizidcocktails belegen. “Im intensiven Apfelanbau kommen für Umwelt und Gesundheit hochproblematische Pestizide zum Einsatz, zum Teil in hoher Frequenz”, so das Umweltinstitut.

“Basis der Auswertung sind Pestizideinsatzdaten von Südtiroler Obstbäuerinnen und Obstbauern, die das Umweltinstitut 2017 gemeinsam mit dem Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler wegen übler Nachrede angezeigt hatten. Im Laufe des letztlich erfolglosen Pestizidprozesses gegen die Umweltorganisation beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Bozen die Daten als Beweismittel und das Umweltinstitut erhielt Akteneinsicht”, heißt es in einer Aussendung.

Fabian Holzheid, politischer Geschäftsführer des Umweltinstituts: „Ausgerechnet in der beliebten Tourismusregion Südtirol, wo der Apfelanbau als besonders ‚naturnah und nachhaltig‘ vermarktet wird, werden massiv Pestizide versprüht, die teilweise hochgiftig für Mensch und Umwelt sind. Als wir 2017 den hohen Pestizideinsatz in Südtirols Apfelanbau angeprangert haben, zerrte uns die Landesregierung vor Gericht. Die vorliegende Auswertung beweist aufs Neue: Unsere Kritik war absolut berechtigt.“

Die Daten aus dem Vinschgau geben einen brisanten Einblick in die landwirtschaftliche Praxis des intensiven Apfelanbaus. “Eine vergleichbare, detaillierte Auswertung des tatsächlichen Pestizideinsatzes in einer Region gab es in Europa bislang noch nie”, so das Umweltinstitut.

Christine Vogt, eine der Autorinnen der Untersuchung und Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut: „Unsere Auswertung zeigt, dass im Vinschgauer Apfelanbau 2017 zahlreiche Pestizide zum Einsatz kamen, die für die Anwender selbst, aber auch für Anrainer gesundheitsgefährdend sein können. Mehrere der am häufigsten eingesetzten Pestizide sind vermutlich fortpflanzungsschädigend oder vermutlich krebserregend. Das Totalherbizid Glyphosat, das die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation als ‚wahrscheinlich krebserregend‘ eingestuft hat, wurde am fünfthäufigsten in den Apfelplantagen gespritzt. Zum Einsatz kam auch das inzwischen verbotene Chlorpyrifos-methyl, das die Gehirnentwicklung von ungeborenen Kindern schädigen kann.“

Bei mehr als der Hälfte der untersuchten Einsätze kamen mehrere Mittel gleichzeitig auf die Plantagen. “Dabei wurden am selben Tag bis zu neun verschiedene Mittel gespritzt. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass die Kombination verschiedener Pestizide die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt verändern oder verstärken können – der so genannte Cocktaileffekt. Dieser wird im EU-Zulassungsverfahren für Pestizide bisher nicht ausreichend berücksichtigt”, gibt die Organisation zu bedenken.

Eine ursprünglich mit der Südtiroler Obstwirtschaft und Landesregierung geplante öffentliche gemeinsame Veranstaltung zur Präsentation und Diskussion der Auswertung wird nicht stattfinden. „Wir haben im Laufe der gemeinsamen Planung den Eindruck gewonnen, dass es Landesregierung und Obstwirtschaft nicht darum geht, konkret über die Probleme durch den Pestizideinsatz zu diskutieren und sich mit unserer Kritik ernsthaft auseinanderzusetzen”, sagt Fabian Holzheid.

Grüne: “Auf Südtirols Obstwirtschaft kommen schwere Zeiten zu”

Südtirol hat überregionales mediales Aufsehen erregt. Leider nicht im positiven Sinn. Das stellen die Grünen Südtirols fest. “Die Süddeutsche Zeitung sowie der Bayerische Rundfunk berichten über die pestizidbelastete Südtiroler Apfelwirtschaft. Und Südtirol kommt dabei alles andere als gut weg. Zeit, zu handeln!”

Umfang- und aufschlussreich seien die in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Auswertungen von über 600 Spritzheften Vinschger Obstbauern. “Am häufigsten kommen Pestizide gegen Pilze und Spinnmilben zum Einsatz, auch das vielkritisierte Glyphosat erfreut sich immer noch größter Beliebtheit unter den Obstproduzenten”, so die Grünen weiter.

“Auf Südtirols Obstwirtschaft kommen schwere Zeiten zu: Der Ausstieg aus der intensiven Pestizidwirtschaft ist unumgänglich, aber das System wehrt sich mit aller Kraft dagegen. Pestizide werden aus klimaschädlichen Erdölprodukten hergestellt, gefährden die Gesundheit der Bauern und verursachen immer noch große Schäden auf Nicht-Zielflächen, vor allem Wildbienen und Schmetterlinge gehen durch Pestizide zugrunde. Südtirol braucht daher die Ökowende. Diversifizieung der Produktion, vermehrter Anbau von Zwischenfrüchten und massiver Ausbau des Biolandbaus sind Wege aus der Pestizidwirtschaft. 99 Prozent der Äpfel werden heutzutage exportiert und 99 Prozent des Getreidebedarfs werden importiert, so können lokale Kreisläufe nicht funktionieren. Obst- und Pestizidlobbys sollen endlich die Zeichen der Zeit erkennen und ihren Widerstand gegen die Ökologisierung der Landwirtschaft aufgeben. Die Pestizidwirtschaft ist in einer Sackgasse angelangt“, sagt Hanspeter Staffler.

Landesrat Schuler spricht von Polemik

Als Reaktion auf die Medienberichte in Deutschland spricht Südtirols Landesrat Arnold Schuler von Polemik. Die Menge sowie die Art der Spritzmittel entspreche den Vorgaben. In Südtirol gebe es eine gut funktionierende Kontrolle. Die Auflagen seien sogar strenger als anderswo.

Von: luk

Bezirk: Bozen