"Alpinismus wird immer gefährlich bleiben"

Reinhold Messner zum Lawinendrama in Südtirol: “Die Natur ist unberechenbar”

Dienstag, 04. November 2025 | 08:46 Uhr

Von: luk

Bozen/Sulden – Nach dem Lawinenunglück an der Nordwand der Vertainspitze (3.545 Meter) im Ortler-Cevedale-Gebiet, bei dem am Samstag fünf Alpinisten aus Bayern – darunter drei junge Bergsteiger – ums Leben kamen, hat sich Extrembergsteiger Reinhold Messner zu Wort gemeldet. Der Südtiroler mahnt im Interview mit der Zeitung Alto Adige zur Demut vor der Natur und warnt vor einer wachsenden Unterschätzung alpiner Gefahren.

“Man hat mir gesagt, die Opfer waren alle gut ausgerüstet, sie hatten sogar Eisschrauben dabei, und auch das Wetter war günstig. Natürlich haben sie lange für den Aufstieg gebraucht – so lange, dass sie um 15.30 Uhr, als sich die Lawine löste, noch nicht den Gipfel erreicht hatten. Aber angesichts von fünf Toten, darunter drei sehr junge Menschen, ist es nicht angebracht, über mögliche Ursachen zu spekulieren. In einem einzigen Augenblick hat diese Tragödie drei Familien zerstört”, so Messner.

Die Nordwand der Vertainspitze sei eine klassische Eiswand, erklärte er. “Ich habe sie 1965 im Alter von 21 Jahren bestiegen. Damals galt sie als die schwierigste Eiswand Südtirols.” Trotz moderner Ausrüstung bleibe das Risiko in den Bergen hoch. “Die Natur ist nicht gut oder böse – sie ist einfach da. Und sie ist unberechenbar.”

Messner betonte, dass traditionelles Alpinismus immer gefährlich bleiben werde: “Die Hälfte der besten Alpinisten aller Zeiten ist in den Bergen gestorben.” Heute würden viele die Risiken unterschätzen, auch weil das Klettern in Hallen den Eindruck von Sicherheit vermittle. “Doch wer in den Bergen unterwegs ist, steht im direkten Kontakt mit den Elementen – Schnee, Eis, Wind, Hitze. Jede Tour kann plötzlich lebensgefährlich werden.”

Zudem habe der Klimawandel die Situation verschärft. “Die höheren Temperaturen machen die Berge und Gletscher instabiler. Dadurch ist das Bergsteigen heute riskanter als früher.”

Auf die Frage, ob künstliche Intelligenz künftig helfen könne, Risiken besser einzuschätzen, reagierte Messner skeptisch: “Die Natur ist nicht berechenbar. Keine Maschine kann sie vollständig verstehen.”

Messner sieht sich selbst als einen, der überlebt hat – auch dank Vorbereitung, Erfahrung und Glück. “Ich habe versucht, die Berge zu lesen und aus den Fehlern anderer zu lernen. Aber ich hatte auch Glück”, sagte er mit Blick auf seine dramatische Rückkehr vom Nanga Parbat, bei der er seinen Bruder Günther verlor.

Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen

Nach dem Lawinenabgang an der Vertainspitze prüft die Staatsanwaltschaft Bozen ein Ermittlungsverfahren. “Im Rahmen des Verfahrens, das derzeit als Tatbestand ohne strafrechtliche Relevanz eingestuft wird, werden Ermittlungen durchgeführt, um den Ablauf des Ereignisses genau zu rekonstruieren”, teilt die Staatsanwaltschaft offiziell mit.

Die Lawine löste sich am späten Nachmittag, als zwei Seilschaften den 3.545 Meter hohen Gipfel bestiegen, und riss alle fünf mit sich.

Die Opfer sind Steffen Wiedemann (58), sein Sohn Beat (21) und dessen Partnerin Selina Schlitzer (21) sowie Matthias Löhning (46) und seine Tochter Frieda (17). Zwei weitere Bergsteiger, die nur knapp entkamen, schlugen Alarm.

Unklar bleibt, warum die Gruppe noch am Nachmittag ohne Ski aufgestiegen ist. Das hätte den Abstieg zusätzlich erschwert. Laut dem Leiter des Bergrettungsdienstes Sulden, Olaf Reinstadler, verschlechterten sich die Wetterbedingungen rasch. Die Leichname wurden in Schlanders aufgebahrt und sollen nach Freigabe durch die Staatsanwaltschaft nach Deutschland überführt werden.

 

Bezirk: Bozen, Vinschgau

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