Von: mk
Bozen – Im Jahr 2070 wird in Europa voraussichtlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein. Heute schon liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei deutlich über 80. Das bedeutet, dass der Betreuungsbedarf steigen wird. Technologische Lösungen für ältere Menschen können das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle erhöhen – besonders dann, wenn die Technik intensiv genutzt wird. Das zeigt die Studie im Rahmen des internationalen europäischen Projekts i-evAALution, die ein Forscherteam von Eurac Research in Südtirol mit 72 meist allein lebenden älteren Menschen und ihren Unterstützungspersonen von Oktober 2019 bis März 2021 durchgeführt hat. Die Details zur Studie und ihre Ergebnisse werden im Rahmen von SMARTER LIVES, einem Praxisforum für Digitalisierung in der Pflege und Lebensqualität im Alter am 16. Juni 2021 vorgestellt. Die Veranstaltung findet online statt und wird vom AAL Competence Network der Universität Innsbruck in Zusammenarbeit mit Eurac Research organisiert.
Bis zu ein Jahr lang testeten 36 ältere Menschen in Südtirol zwischen 65 und 94 Jahren – also die Hälfte der Probanden insgesamt – ein technologisches Paket, bestehend aus Sensoren, einem Tablet und einer Notfalluhr, die miteinander vernetzt sind. Ein Beispiel: Eine Dame frühstückt immer zwischen 7.00 und 8.00 Uhr; wurde um 9.00 Uhr die Kühlschranktür noch nicht geöffnet, schickte ein dort angebrachter Sensor eine Nachricht an ihr Tablet: Ist alles in Ordnung? Antwortete sie nicht innerhalb von 20 Minuten, ging eine Nachricht an einen Angehörigen, der dann anrufen oder nachsehen konnte. Das war nur eines von zahlreichen Szenarien. Das Tablet erinnerte zum Beispiel auch an Termine, und die Sensoren ließen ein Licht angehen, wenn jemand nachts aufstand, oder meldeten, wenn ein Topf auf dem heißen Herd vergessen wurde. Über die Notrufuhr konnte bei einem Sturz schnell Hilfe über die eigens für das Projekt eingerichtete Notrufzentrale der Genossenschaft für sozial-sanitäre Leistungen S.O.S. Onlus in Bozen (ebenfalls Projektpartner) gerufen werden.
Solche Feldversuche – unter Alltagsbedingungen und über einen längeren Zeitraum hinweg – sind wichtig, werden aber wegen des großen Aufwandes selten durchgeführt. Doch sie schaffen Klarheit: Welche Technik hilft wirklich? Um das herauszufinden, bedienten die Forscherinnen sich der Methode der „kontrollierten Zufallsstudie“, bei der die 72 Studienteilnehmer zur Beantwortung dieser Frage in zwei Gruppen aufgeteilt wurden: Nur eine erhielt die Geräte. Wer, das bestimmte das Los eines Computerprogramms. Im Lauf der Studie wurden beide Gruppen mehrmals detailliert befragt, zudem gaben die aufgezeichneten Daten der installierten Geräte Auskunft über die tatsächliche Nutzung.
Die statistische Datenanalyse zeigte, dass das Technologiebündel positive Auswirkungen auf die wahrgenommene Sicherheit und Kontrolle der älteren Teilnehmer hatte. Insgesamt erreichten die Personen ihre individuellen Ziele, die sie sich für das Projekt gesteckt hatten, zum Beispiel sich sicherer zu fühlen, im Bedarfsfall schnell Hilfe zu erhalten und ihre wahrgenommene Unabhängigkeit zu erhalten oder zu erhöhen. Einen Strich durch die Rechnung machte den Forscherinnen hinsichtlich vieler Aspekte allerdings die Coronapandemie. „Es zeigte sich bei vielen Analysen, zum Beispiel zur wahrgenommenen Teilhabe an Aktivitäten mit anderen oder zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität der älteren Menschen, dass die Verschlechterung der Lebensqualität durch die Pandemie einen großen Effekt hatte und vermutlich auch positive Auswirkungen der Techniknutzung überdeckte“, erzählt Ines Simbrig vom Institut für Public Management von Eurac Research. „Durch Corona war es auch schwierig für uns, mit den Menschen die Technik bei persönlichen Treffen gemeinsam einzuüben, was bei einem solchen Vorhaben wichtig ist. Zudem waren natürlich auch Angehörige seit März 2020 zunehmend beunruhigt über die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer älteren Bezugspersonen. Deshalb war es auch hier schwierig, positive Auswirkungen der Techniknutzung, etwa auf die wahrgenommene Belastung durch Unterstützung oder die Sorgen um ältere Angehörige, zu finden“, sagt Simbrig weiter. Dennoch zeigte sich in den Wochen der Lockdowns, ohne Möglichkeit physischer Kontakte, wie wichtig Technologie sein kann, um Isolation und Unsicherheit zu durchbrechen. So gaben viele ältere Menschen in den Fragebögen an, während der Pandemie mehr Technologien zur Kommunikation und Information, aber auch zur Unterhaltung genutzt zu haben.
Insgesamt hatte das Projekt neben den 72 älteren Menschen in Südtirol noch mehr Probanden, neben Eurac Research waren Partner aus Österreich (Leadpartner: Universität Innsbruck), Slowenien und den Niederlanden beteiligt. Gefördert wurde das Forschungsvorhaben durch das italienische Ministerium für Bildung, Universität und Forschung und durch das europäische AAL (Active and Assisted Living) Programm.
Die Studie „i-evAALution” wird im Rahmen des Praxisforums SMARTER LIVES am 16. Juni 2021 um 9.10 Uhr vorgestellt. Auf dem Programm der Veranstaltung steht neben Fach- und Praxisvorträgen auch eine virtuelle Fachmesse mit Anbietern im Bereich Digitalisierung in der Pflege und Lebensqualität im Alter.