Die Taschendiebe von Venedig: „Nur vier von ihnen landeten hinter Gittern“ – VIDEO

„Ein ewiges Räuber-und-Gendarm-Spiel“

Mittwoch, 16. Juli 2025 | 07:06 Uhr

Von: ka

Venedig – Die Lagunenstadt wird die Plage der jungen Taschendiebe, die tagtäglich Einheimische und Touristen heimsuchen, nicht los.

„Seit Anfang des Jahres haben wir mehr als 1.300 leere Brieftaschen gefunden“, sagt ein Polizeibeamter, der die ständigen Verfolgungsjagden durch die Straßen und auf den Plätzen der Stadt leid ist. Die minderjährigen Täter werden zwar manchmal gefasst, sind aber oft wenige Stunden später wieder auf freiem Fuß. „Sie bestahlen Scheichs und Diplomaten, doch nur vier von ihnen landeten hinter Gittern. Es ist ein ewiges Räuber-und-Gendarm-Spiel“, seufzt der Polizist.

Facebook/Venezia NON è Disneyland

„Hier gibt es nichts mehr zu stehlen“, steht auf einem Schild, das vor einem Haus in einer engen Gasse in Venedig hängt. Der kurze Satz enthält eine doppelte Botschaft: Einerseits ist es ein „freundlicher Hinweis“ an die Diebe, dass die Calle bereits von ihren „Berufskollegen“ Besuch bekommen hat. Andererseits ist es ein Schrei der Resignation, denn alles Wertvolle, das sich auf dem Schwarzmarkt zu Geld machen lässt, wurde bereits mitgenommen.

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In einer Stadt, die Tag für Tag von kaufkräftigen Touristen aus aller Welt überschwemmt wird, müssen sich Einbrecher und Taschendiebe jedoch keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen. „Seit Anfang des Jahres haben wir mehr als 1.300 leere Brieftaschen gefunden”, berichtet ein Polizeibeamter dem Corriere della Sera. Den Dieben gelingt es auf trickreiche Weise, im Gedränge in den Besitz der Brief- und Handtaschen der Touristinnen und Touristen zu gelangen. Nachdem sie diese geleert haben, werfen sie sie einfach auf den Boden oder legen sie auf Fenster- und Sitzbänke in der Lagunenstadt ab. Fünfzehn volle Säcke voller leerer Brieftaschen befinden sich bereits in der Obhut der Polizei Venedigs. „Ein Polizeibeamter ist eigens dafür abgestellt, die sichergestellten leeren Brieftaschen zu registrieren“, gesteht Polizeikommissarin Lorenza Mariutti.

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Es ist wie ein Räuber-und-Gendarm-Spiel. Die Polizisten und die Taschendiebe erkennen sich oft gegenseitig, wenn sie aufeinandertreffen – manchmal kennen sie sich sogar beim Namen. Es sind Szenen wie auf einer Filmbühne. Während die Polizeibeamten die jungen Kriminellen kreuz und quer durch die Straßen und Plätze der Lagunenstadt verfolgen und hoffen, sie auf frisch begangener Tat zu ertappen, versuchen die Taschendiebe, ihnen mit vielerlei Finten zu entwischen. Oft warten Beamte in Zivil auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen.

Den bei ihrem „täglichen Geschäft“ ertappten Kleinkriminellen Handschellen anzulegen, erweist sich jedoch oft als vergebliche Mühe. Seit Beginn des Jahres wurden 240 von ihnen von Polizisten und Carabinieri auf frischer Tat ertappt, doch nur vier von ihnen kamen ins Gefängnis.

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Vorwiegend Touristen, unter ihnen vor allem Ausländer, werden Opfer der Taschendiebe, denn diese kennen ihr Geschäft und das Gesetz. Sie wissen, dass Taschendiebstahl nur auf Anzeige hin strafbar ist. Wer aus den USA oder Argentinien anreist, hat aber weder die Zeit noch die Lust, wegen eines verlorenen Portemonnaies vor einem italienischen Gericht zu erscheinen. Sie nehmen es lieber hin, schlagen sich die Hand auf die Stirn und bereiten sich auf die vielen Behördengänge vor, die diejenigen erwarten, die ihre Reisepässe und Ausweispapiere ersetzen lassen müssen.

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Wenn jedoch keine Anzeige erstattet wird, kann es auch zu keiner Verurteilung kommen – und ohne Schuldspruch kommen alle Gauner wieder frei. Zu den denkwürdigsten Fällen, an die sich die Polizeibeamten erinnern, gehörte ein Scheich aus den Emiraten, dem im Rialto-Viertel das Portemonnaie gestohlen wurde. Als er es wiederfand, waren Tausende Euro weg, aber die Gold- und Platin-Kreditkarten waren noch immer da. Offenbar hatten die Kriminellen keine Verwendung für sie. Zu den Lieblingsopfern gehören außerdem die jungen amerikanischen Venedig-Touristinnen, die sorglos durch die Lagunenstadt flanieren. Selbst ein Konsul aus Brasilien und sogar die Polizeikommissarin selbst wurden schon Opfer der Diebe. „Mir wurde die Geldbörse gestohlen, als ich tanken wollte“, gab Letztere dem Corriere del Veneto gegenüber zu.

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In den Calli lauern vor allem Roma-Frauen und -Männer, die aus Mailand und Rom anreisen, um in wenigen Tagen so viel wie möglich zu stehlen, bevor sie in ihre Heimatlager zurückkehren. Noch häufiger sind jedoch erst zwölf- oder dreizehnjährige Jungen und Mädchen anzutreffen, denn Jugendliche, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben, sind nicht strafbar.

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„Seitdem wir gegen schwangere Frauen gesetzlich vorgehen können, sind die noch nicht strafmündigen Kinder auf den Plan getreten“, erklärt Marco Agostini, Kommandant der 400 Mann starken Lokalpolizei der Lagunenstadt. „Was jetzt oft passiert, ist, dass der Jugendrichter sie um sieben Uhr abends in die Wohngemeinschaft für straffällig gewordene Jugendliche einweist, aber schon um Mitternacht sind sie ausgebüxt“, erklärt Marco Agostini und spricht damit schonungslos die Lücken des Jugendstrafrechts an.

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Und so beginnt sie wieder, die ewige Jagd, die sich durch die Straßen von Venedig zieht. Es ist ein Spiel, bei dem sich Beamte und Taschendiebe in einem ständigen Wettstreit befinden, bei dem es kleine Siege und kleine Niederlagen auf beiden Seiten gibt, und das kein Ende nehmen will.

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