Nur Frauen, Minderjährige und gefährdete Personen dürfen von Bord – VIDEO

Erbittertes Kräftemessen zwischen Italien und den NGO-Schiffen

Montag, 07. November 2022 | 08:15 Uhr

Catania – Zwischen der italienischen Regierung und mehreren Nichtregierungsorganisationen, deren Schiffe voller Migranten und Flüchtlinge sind, ist ein hartes Kräftemessen im Gange.

Um Massenanlandungen von Flüchtlingen und Migranten in Zukunft zu verhindern, verabschiedete die Regierung einen interministeriellen Erlass, der vorsieht, dass Flüchtlingsschiffe nur für die Zeit, die für die Rettung von Frauen, Kindern und gefährdeten Personen notwendig ist, in italienischen Hoheitsgewässern verweilen dürfen.

Twitter/SOS Humanity (international)

Aus dem von den Ministern für Inneres, Matteo Piantedosi, Verteidigung, Guido Crosetto, und Infrastruktur, Matteo Salvini, unterzeichneten Protokoll geht hervor, dass Flüchtlingsschiffe in der Praxis nur zur Rettung von Frauen, Minderjährigen und gefährdeten Personen im Hafen anlegen dürfen und dass die italienischen Behörden entscheiden, welche Personen als gefährdet gelten. Die neue harte Linie der italienischen Regierung kam das erste Mal beim deutschen Schiff „Humanity 1“ zur Anwendung.

Vom Schiff, das am späten Samstagabend gegen 23.30 Uhr im Hafen von Catania anlegen konnte, durften in den folgenden Stunden 144 von 179 Migranten – allesamt Frauen, Kinder, Jugendliche und gefährdete Personen – von Bord. Wie vom neuen Dekret vorgesehen, wurde das Flüchtlingsschiff vorher von den italienischen Behörden inspiziert. Erst nach dieser Inspektion durften jene Personen, die die vorgesehenen Voraussetzungen erfüllten, an Land.

Twitter/SOS Humanity (international)

Die Personen, die das Schiff verlassen durften, wurden im Hafen von den Rettungskräften, vom Zivilschutz und von den Ordnungskräften in Empfang genommen und mit Bussen in ein vom Zivilschutz vorbereitetes Flüchtlingszentrum gebracht. Wie die deutsche Nichtregierungsorganisation „SOS Humanity“ berichtet, werden „die restlichen Personen von den italienischen Behörden anscheinend nicht an Land gelassen, weil es sich um erwachsene Männer ohne medizinische Probleme“ handelt. Laut der Organisation wurde ein 20-jähriger Pakistaner, der an Bord bleiben musste und Angst hatte, nach Libyen zurückkehren zu müssen, Opfer einer Panikattacke. Er wurde zur Behandlung in das Krankenhaus von Catania eingeliefert.

SOS Humanity weigert sich aber, den Hafen zu verlassen. „Ich bin nicht der Kapitän und ich treffe nicht diese Entscheidung, aber da es sich bei allen Personen um Flüchtlinge handelt, wäre das Verlassen des Hafens von Catania, ohne alle Personen an Land schicken zu können, illegal“, so die Sprecherin von SOS Humanity, Petra Krischok.

SOS Humanity bezeichnet die Vorgangsweise der italienischen Behörden als „ungesetzlich und inakzeptabel“. Um die Forderung von SOS Humanity zu unterstützen, organisierte die von Linksparteien und Grünen angeführte italienische Opposition in der Nähe des Hafens eine Protestkundgebung, an der auch Abgeordnete des PD teilnahmen.

Twitter/SOS Humanity (international)

Während sich die Humanity 1 trotz der Aufforderung der italienischen Hafenbehörden, Catania zu verlassen, weiterhin am Hafenkai befindet, erhielt die Geo Barents, ein Such- und Rettungsschiff der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, mit 572 Schiffbrüchigen an Bord die Erlaubnis, in den Hafen von Catania einzulaufen. Das Schiff lief am Sonntagnachmittag gegen 15.00 Uhr in den Hafen ein. Wie beim deutschen Flüchtlingsschiff werden auch in diesem Fall die italienischen Behörden feststellen, welche Personen die vom Dekret vorgesehenen Voraussetzungen für das Verlassen des Schiffes erfüllen.

Twitter/SOS Humanity (international)

Hintergrund des erbitterten Streits ist die vom italienischen Außenminister Antonio Tajani vorgetragene Forderung an die EU, die Flüchtlingspolitik in Europa neu zu regeln.

Laut der italienischen Forderung sollen Migranten, die im Mittelmeer gerettet werden, von jenem Land aufgenommen werden, unter dessen Flagge das Rettungsschiff fährt. Die NGOs hingegen, die Flüchtlinge bei ihrer Überfahrt über das Mittelmeer helfen, bezeichnen die Geretteten hingegen als „Schiffbrüchige“, die laut internationalem Seerecht im nächstgelegenen Hafen an Land gehen dürfen, ohne sich vorher einer Identifizierung unterziehen zu müssen.

Twitter/SOS Humanity (international)

Die Fronten sind sehr verhärtet. Während die Opposition von einem „illegalen Verhalten“ der Behörden sowie von einer „unmenschlichen Selektion“ spricht und die Regierung Meloni dazu auffordert, alle Personen von Bord zu lassen, erhält Italien für seine Vorgangsweise auch viel Lob. „Endlich! Wir schulden Giorgia Meloni und der neuen italienischen Regierung großen Dank dafür, dass sie die Grenzen Europas schützen“, schreibt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban auf Twitter.

In Europa mehren sich die Stimmen, die für die italienische Position in der Flüchtlingsfrage Verständnis zeigen und sich für eine Neuregelung aussprechen. Frankreich erklärte sich bereit, einen Teil der in Sizilien angekommenen Flüchtlinge aufzunehmen.

Das Kräftemessen zwischen Italien und den NGOs geht unterdes weiter. Vor der sizilianischen Küste warten mit der deutschen Rise Above mit 90 und der norwegischen Ocean Viking mit 234 Personen a Bord zwei weitere große Flüchtlingsschiffe auf die Genehmigung, einen italienischen Hafen anlaufen zu können. Ob sie diese Erlaubnis erhalten werden, steht aber in den Sternen.

Von: ka