Sarajevo: Für die „Meschenjagd“ boten Waffennarren viel Geld – VIDEO

Grausam: Sie bezahlten für Schüsse auf Frauen und Kinder

Donnerstag, 13. November 2025 | 07:59 Uhr

Von: ka

Mailand/Triest/Sarajevo – Selbst hartgesottene Journalisten lassen die Ermittlungen erschaudern, mit denen sich die Mailänder Staatsanwaltschaft derzeit beschäftigt. Drei Jahrzehnte nach den eigentlichen Geschehnissen untersucht sie Fälle eines unglaublichen und äußerst grausamen „echten Kriegstourismus“. Es soll erdrückende Beweise dafür geben, dass mindestens fünf Italiener während des Bosnienkriegs als „Wochenendscharfschützen“ zwischen 1992 und 1996 von Triest aus nach Sarajevo reisten und hohe Summen dafür bezahlten, um auf Frauen und Kinder zu schießen.

Hinter diesen „Wochenendausflügen“ der „Kriegsurlauber“, die allein dem Zweck dienten, Menschen zu töten, steckte der serbische Geheimdienst. Nachdem der italienische militärische Geheimdienst SISMI davon Kenntnis erlangt hatte, unterband er diese Handlungen. Drei Jahrzehnte nach den grausamen Bluttaten werden mehrere Personen des mehrfachen Mordes, erschwert durch niederträchtige Motive und Grausamkeit, beschuldigt.

Im Juli leitete die Staatsanwaltschaft von Mailand unter der Leitung von Staatsanwalt Alessandro Gobbis eine Untersuchung wegen mehrfachen Mordes, erschwert durch niederträchtige Motive und Grausamkeit, ein, nachdem sie ein 17-seitiges Dossier vom 28. Januar dieses Jahres erhalten hatte, das ihr vom Schriftsteller Ezio Gavazzeni mit Unterstützung der Rechtsanwälte Nicola Brigida und Guido Salvini übermittelt worden war.

„Ich habe aus einer Quelle in Bosnien-Herzegowina erfahren, dass der bosnische Geheimdienst die örtliche SISMI-Zentrale Ende 1993 über die Anwesenheit von mindestens fünf Italienern informiert hat. Diese hielten sich in den Hügeln rund um die Stadt auf und schossen auf Zivilisten“, erklärt Gavazzeni. Die Quelle, von der er spricht, ist ein ehemaliger Geheimagent, der für den bosnischen Geheimdienst tätig war. Im Jahr 1993 erfuhr dieser in einem E-Mail-Austausch von Unterlagen des bosnischen Militärgeheimdienstes über die Vernehmung eines gefangenen serbischen Freiwilligen.

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Darin wurde von „Kriegstourismus“ berichtet. Ein Mann sagte aus, dass fünf Ausländer mit ihm von Belgrad nach Bosnien-Herzegowina gereist seien, von denen mindestens drei Italiener gewesen seien. Weiter berichtete er, dass sie die Informationen damals an die Beamten des SISMI in Sarajevo weitergaben, da es Hinweise darauf gab, dass Gruppen von Scharfschützen und Jägern aus Triest aufbrachen. Im Dossier ist auch von einer Horrortarifliste die Rede: „Kinder kosteten mehr, dann Männer – vorzugsweise in Uniform und bewaffnet –, Frauen und schließlich alte Menschen, die man kostenlos töten konnte”.

Unter den Italienern waren ein Mann aus Turin, einer aus Mailand und einer aus Triest. Der Mailänder war Besitzer einer Privatklinik, die auf Schönheitsoperationen spezialisiert war. In den kommenden Wochen werden die Carabinieri der Sonderabteilung ROS Überprüfungen durchführen und die bisher identifizierten Zeugen anhören. Zu diesem Fall gibt es den Dokumentarfilm „Sarajevo Safari” aus dem Jahr 2022 von Miran Zupanic. „Er hat uns die Passwörter für den Zugang zur vertraulichen Vorführung des Films gegeben. Ich kann sie dem Richter zur Verfügung stellen”, so Gavazzeni. In dem Film kommt ein „anonymer” Zeuge vor. Einige Quellen sprechen von Amerikanern, Kanadiern, Russen und Italienern, die bereit waren, für die „grausame Menschenjagd” zu bezahlen.

Laut Aussage des mutmaßlichen ehemaligen Geheimagenten waren die Täter „sehr wohlhabende Personen”, die sich „eine solch adrenalingeladene Herausforderung finanziell leisten konnten”. Aufgrund der Art und Weise der Organisation gingen die bosnischen Dienste davon aus, dass der serbische Staatssicherheitsdienst hinter allem steckte. Dabei sollen „Einrichtungen der ehemaligen serbischen Charter- und Tourismusfluggesellschaft“ zum Einsatz gekommen sein, wobei der wegen Kriegsverbrechen verurteilte Jovica Stanišić eine Schlüsselrolle gespielt habe. Laut der Anzeige befanden sich unter den „Touristen-Scharfschützen” Jagd- und Waffenliebhaber, die der extremen Rechten nahestanden. Die Tarnung der Jagdaktivitäten diente demnach dazu, die Gruppen ohne Verdacht zu ihrem Zielort in Belgrad zu bringen.

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John Jordan, ein ehemaliger Feuerwehrmann aus den USA, der während der Belagerung von Sarajevo als freiwilliger Helfer vor Ort war, hat bereits im Jahr 2007 im Prozess gegen den Kommandanten der bosnisch-serbischen Armee, Ratko Mladić, über diese „Form des Kriegstourismus” ausgesagt. „Sie schienen mir keine Einheimischen zu sein. Ihre Kleidung und ihre Waffen ließen mich vermuten, dass es sich um Scharfschützen handelte“, gab er damals zu Protokoll. Zur Fortführung der Ermittlungen forderte die Mailänder Staatsanwaltschaft die Akten des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag an.

Zu den Zeugen, die von den Staatsanwälten angehört werden, gehört auch der ehemalige bosnische Geheimdienstagent E. S. „Wir sprechen von wohlhabenden Menschen mit einem guten Ruf, von Unternehmern, die während der Belagerung von Sarajevo dafür bezahlt haben, wehrlose Zivilisten töten zu dürfen. Sie brachen von Triest aus zur Menschenjagd auf. Es handelt sich um Männer, die ihre Leidenschaft für Waffen ausleben wollten. Sie verfügten über viel Geld und besaßen die richtigen Kontakte zwischen Italien und Serbien. Es ist die Gleichgültigkeit des Bösen: Für einige Momente Gott zu spielen und ungestraft zu bleiben“, so Gavazzeni gegenüber der römischen Tageszeitung La Repubblica.

Facebook/Ezio Gavazzeni

„Im Dossier steht nur ein Auszug dessen, was bekannt ist – ein kleiner Teil. Meine Quelle, E. S., ein ehemaliger bosnischer Geheimagent, sagt, dass der SISMI davon wusste. Und dass er eingegriffen hat. Die UNPROFOR-Mission war vor Ort, für die Italien den größten Teil der Soldaten stellte, und Italien betrieb eine SISMI-Abteilung in Sarajevo. Wir wissen, dass es dazu eine Akte gibt. Wie viele es genau waren, kann ich nicht sagen, aber es waren mindestens hundert. Ich würde diese Unterlagen sehr gerne lesen. Ich hoffe, sie sind nicht verschwunden, das wäre eine schwerwiegende Sache“, fährt der Schriftsteller Ezio Gavazzeni fort.

Er hofft, „dass es gelingt, mindestens einen oder zwei dieser italienischen Scharfschützen aufzuspüren, vielleicht sogar zehn“.
Nach Erscheinen des Artikels soll sich ein italienischer Zeuge bei ihm gemeldet haben, der angibt, den damaligen Chef an seinem Arbeitsplatz über diese Menschenjagd sprechen gehört zu haben.

Es wäre ein später Erfolg, wenn drei Jahrzehnte nach diesen grausamen Verbrechen die Täter zur Verantwortung gezogen werden könnten. Die mutmaßlichen Täter würden nicht „nur” wegen mehrfachen Mordes, erschwert durch niederträchtige Motive und Grausamkeit, angeklagt, sondern sie müssten sich unter Umständen auch vor einem internationalen Gerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Aufgrund der grausamen Bluttaten und der Tatsache, dass wohlhabende und bekannte Personen betroffen sein könnten, sorgt der Fall der „Wochenendscharfschützen“ in Italien für viel Aufsehen.

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