Von: mk
London – Als hätte die Familie von Meredith Kercher nicht schon genug Leidertragen. Der Mord an der britischen Austauschstudentin im Jahr 2007 in Perugia hatte nicht nur in Italien die Öffentlichkeit in Atem gehalten. Nun ist auch ihr Vater John Kercher im Alter von 77 Jahren verstorben. Die Umstände seines Todes gelten als mysteriös, berichtet die Tageszeitung Alto Adige.
Vor drei Wochen ist der Mann offenbar Opfer eines Raubüberfalls geworden. Seitdem lag er im Krankenhaus und ist nun den Verletzungen erlegen. Der Mann war nach dem Überfall auf offener Straße aufgefunden worden, nachdem ihm Unbekannte arg zugesetzt hatten. Sein Gesundheitszustand wurde gleich als kritisch eingestuft.
Kercher war vorübergehend besinnungslos gewesen. Als er wieder bei Bewusstsein war, konnte er sich nicht mehr an das Geschehene erinnern: Die Ermittler gehen derzeit von einem versuchten Raubüberfall aus, bei dem der 77-Jährige über den Asphalt geschliffen worden war und sich dabei mehrere Verletzungen und Brüche zugezogen hatte. Kercher war nicht in der Lage, dies zu bestätigen.
Der Vorfall hat sich in Croydon, in der Peripherie von London zugetragen, wo Kercher mit seiner Familie auch lebte. Bevor er in Rente ging, hatte der Mann 40 Jahre lang als Journalist für Boulevardzeitungen wie den Daily Mirror oder die Sun gearbeitet.
Der Mord an seiner Tochter hat ihn deutlich gezeichnet. Den schier unüberwindbaren Schmerz trug er trotz allem mit unglaublicher Würde. Auch vom Medienrummel, der rund um den Fall entstanden war und den er aus eigener Erfahrung als Journalist nur zu gut kannte, ließ er sich nicht aus der Fassung bringen.
Derzeit stuft Scotland Yard den Tod von John Kercher als „nicht geklärt“ ein. Es gibt weder Zeugen noch Aufnahmen von Überwachungskameras, die den vermeintlichen Raubüberfall gefilmt haben. „Trotz aller Ermittlungen, die bislang durchgeführt wurden, waren wir noch nicht in der Lage, festzustellen, wie er sich die Verletzungen zugezogen hat“, räumt Detective Steve Andrews ein.
Die Zweifel, die den Todesfall umgeben, wecken unwillkürlich Erinnerungen an den Mord an seiner Tochter. Auch im Fall von Meredith ist nach der definitiven Urteilsverkündigung der italienischen Justiz nie wirklich Ruhe eingekehrt. Der Mord hatte sowohl in Italien als auch in Großbritannien und in den USA immer wieder zu Spekulationen und Polemiken geführt.
Während Rudy Guede zu 16 Jahren Haft wegen Mordes und sexueller Gewalt verurteilt worden war, kamen Merediths Mitbewohnerin, die US-amerikanische Austauschstudentin Amanda Knox, und deren damaliger Freund Raffaele Sollecito mit einem Freispruch davon. John Kercher und seine Familie haben den langwierigen Prozess in stillem Leiden ertragen und waren bei zahlreichen Verhandlungen anwesend. Sie hatten sich als Nebenkläger in das Verfahren eingelassen.
Immer wieder hat die Familie den Blick auf offene Fragen gelenkt, ohne jemals vorschnell ein Urteil zu fällen. Der italienische Anwalt Francesco Maresca beschrieb den Vater von Meredith als Person mit „unglaublicher Sanftmut, der von dem Medienrummel überrascht und geschockt war“, obwohl er selbst Journalist gewesen sei. Trotz allem habe er ein großes Maß an Selbstbeherrschung bewiesen.
In der ersten Instanz hatte John Kercher seine Tochter als „offen und fröhlich“ beschrieben, die sich „in die Stadt Perugia verliebt“ habe. Trotz allem sei sie stark gewesen und habe auch Kampfkünste beherrscht. Gerade dieser Umstand führte John Kercher zur Überzeugung, dass seine Tochter von mehr als einer Person getötet worden sei. Trotzdem handelte es sich lediglich um eine Überzeugung und nicht um eine Obsession.
Erst Jahre später hatte er sich in einem Artikel in der Times öffentlich zu dem Fall geäußert und unter anderem auch das sensationslüsterne Interesse der Medien an Amanda Knox kritisiert.