Können Abschusspläne und Regeln künftig Tragödien verhindern?

“Zu wenig Regeln und für ein dicht besiedeltes Gebiet zu viele Bären”

Dienstag, 11. April 2023 | 08:05 Uhr

Caldes – Der Naturpark Brenta-Adamello ist nicht der einzige Park, in dem es Bären gibt. Experten gehen der Frage nach, warum der erste tödliche Angriff auf einen Menschen seit Jahrzehnten ausgerechnet im Trentino und nicht in anderen „Bärengebieten“ geschah, in denen seit Jahrzehnten Bären leben.

Ein Vergleich mit dem Nationalpark „Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise“, wo auf der annähernd gleichen, aber weit weniger besiedelten Fläche viel weniger Bären leben, zeigt, wo der Hase im Pfeffer liegt. Zudem gelten im „Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise“ einige strenge Regeln, die eine Begegnung des Menschen mit dem Bären weniger wahrscheinlich machen.

Facebook/Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise

Seit dem tödlichen Bärenangriff auf den 26-jährigen Bergläufer Andrea Papi wird das Bärenansiedlungsprojekt Life Ursus von allen, die sich beruflich mit Bären befassen, kritisch in Augenschein genommen. Im Zentrum des Interesses steht insbesondere die Frage, welche Bedingungen und Voraussetzungen die Begegnung des Bären mit Menschen begünstigt haben könnten und welche Maßnahmen in anderen Schutzgebieten, in denen Bären leben, getroffen wurden, um das Risiko von Bärenangriffen möglichst gering zu halten.

Mit Blick auf die schreckliche Tragödie, die im Naturpark Brenta-Adamello geschah, weisen Experten wie der Direktor des Nationalparks „Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise“, Luciano Sammarone, darauf hin, dass in seinem Park nicht nur grundverschiedene Voraussetzungen herrschen, sondern auch einschneidende Regeln gelten, die das Risiko von Angriffen wesentlich verringern sollen.

ansa

„Nach langen und aufwendigen Tierbeobachtungen haben wir erkannt, dass es notwendig ist, die Art und Weise der Nutzung des Parks durch seine Besucher zu regeln. Ziel des Regelwerks ist es, mögliche Störungen der Wildtiere zu begrenzen oder ganz zu vermeiden. Zu diesem Zweck ist der Nationalpark in vier Zonen aufgeteilt worden, in denen unterschiedlich strenge Regeln gelten“, erklärt Luciano Sammarone.

Facebook/Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise

In der sogenannten Zone A des Parks, die als besonderes Bärenschutzgebiet ausgewiesen ist, ist es nicht erlaubt, die Wanderwege zu verlassen und Hunde mitzuführen. Zudem ist es in der Zone A verboten, mit dem Pferd zu reiten oder mit dem Mountainbike zu fahren. In anderen Zonen dürfen Hunde, allerdings immer an der Leine, mitgeführt werden.

„Die Einhaltung dieser Regeln soll nicht nur jegliches Verhalten, das die Bären aufregen und bedrohliche Reaktionen auslösen könnte, vermeiden helfen, sondern auch das Risiko minimieren, dass sich Bär und Mensch überhaupt begegnen. Die Reglementierung des Zugangs zu den Wanderwegen hat auch den Vorteil, dass die Bären lernen, woher mögliche Störungen kommen könnten, und sich deshalb fernhalten. Bären sind Wildtiere, die dazu neigen, wegzulaufen, wenn sie Menschen sehen“, fährt Luciano Sammarone fort.

Miramonte Film

Im Nationalpark „Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise“ wurde bisher erst ein möglicher Angriff eines Bären auf einen Menschen bekannt. Allerdings nährt in diesem Fall die Schilderung des Wanderers viele Zweifel. Luciano Sammarone hält es für wahrscheinlich, dass der Angriff, der vermutlich von einer Bärin ausging, die ihre Jungen verteidigen wollte, nicht dem Wanderer, sondern seinem Hund galt.

Facebook/Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise

Auch sonst sind die Unterschiede zwischen den beiden Parks groß. Während der Naturpark Brenta-Adamello, der im Trentino als „Heimat“ der Bären gilt, und der Nationalpark „Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise“ mit jeweils 620 und rund 500 Quadratkilometern sich über eine ähnliche Fläche erstrecken, ist mit etwa 120 Individuen die Trentiner Bärenpopulation doppelt so groß. Die Population des stark gefährdeten Marsischen Braunbären – es handelt sich dabei um eine Unterart des Braunbären, die sich vor einigen Tausend Jahren von der ursprünglichen Linie abgespaltet hat – dessen Verbreitungsgebiet auf rund 1.600 Quadratkilometer geschätzt wird, soll hingegen nur rund 60 Bären zählen.

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Marsische Braunbär als sanftmütiger gilt als der Braunbär, der in den Alpen anzutreffen ist. Zudem ist die Bevölkerungsdichte im Trentino doppelt bis dreimal so hoch, wie im mittelitalienischen Nationalparkgebiet, wobei hinzufügen ist, dass die landwirtschaftliche und touristische Nutzung der Berggebiete in unserer Nachbarprovinz weit ausgeprägter ist als in den dünnbesiedelten und touristisch wenig entwickelten Berggebieten Mittelitaliens.

Instagram/Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise

Im Trentino hingegen gelten keine Zugangsbeschränkungen für die Wanderwege. Einige Tierschutzorganisationen bieten regelmäßig Kurse an, die über das richtige Verhalten in Gebieten, in denen Bären vorkommen können, unterrichten. Zudem befinden sich am Beginn vieler Wanderwege Hinweistafeln, die über die wichtigsten Verhaltensregeln gegenüber Bären informieren.

Über die größten Unterschiede zwischen seinem Nationalpark und dem Park im Trentino hegt der Direktor des Nationalparks „Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise“ keine Zweifel.

Ente Parco Nazionale d’Abruzzo Lazio e Molise

„Die beiden wichtigsten Faktoren sind die Bevölkerungsdichte und der Grad der Nutzung durch den Menschen. Der Mensch in den Abruzzen lebt seit jeher mit der Anwesenheit dieser Wildtiere. Jedes Jahr rechnen die abruzzesischen Hirten damit, dass einige Schafe von Bären gefressen werden. Auftretende Schäden werden den Hirten entschädigt. Elektrozäune und bärensichere Gehege aus Holz und Stahl halten die Großraubtiere von Ställen und Weiden fern. Wir überwachen die Bärenpopulation ständig. Einige der Individuen sind mit Funkhalsbändern ausgestattet, wodurch wir wissen, wo sie sich gerade aufhalten. Der Hauptunterschied zwischen uns und dem Trentino? Im Trentino ist die Bevölkerungsdichte zwei- bis dreimal so hoch wie bei uns. Zudem halten sich viel mehr Menschen in den Bergen auf, was dazu führt, dass die Möglichkeit, auf Bären zu treffen, ebenfalls größer ist“, meint Luciano Sammarione.

Facebook/Parco Nazionale d’Abruzzo Lazio e Molise

Ein sehr großes Problem ist, dass die Anzahl der Bären im Trentino im Schnitt jedes Jahr um zehn Prozent zunimmt. Das Projekt Life Ursus sah ursprünglich vor, eine Anzahl von rund 50 Bären zu erreichen. Heute halten sich im Verbreitungsgebiet zwischen 100 und 120 Bären auf, wobei jedes Jahr rund zehn neue Tiere hinzukommen.

Ein Regelwerk einzuführen, greift wohl zu kurz. Da kurz zusammengefasst in einem zu kleinen, zu dicht besiedelten und sowohl landwirtschaftlich als auch touristisch relativ stark genutzten Gebiet viel zu viele Bären leben, werden die politisch Verantwortlichen des Trentino kaum umhinkommen, deren Anzahl zu reduzieren. Können Abschusspläne und Regeln zukünftig Tragödien verhindern?

Von: ka