Plenarsitzung im Landtag

Arbeitseingliederung, digitale öffentliche Dienste, Leihmutterschaft

Mittwoch, 13. Januar 2021 | 16:56 Uhr

Bozen – Im Südtiroler Landtag sind heute auch Beschlussanträge der Opposition behandelt worden.

Beschlussantrag Nr. 277/20: Gehalt anstatt Taschengeld (eingebracht von den Abg. Ploner A., Rieder und Foppa am 27.04.2020; der Antrag wurde später auch von anderen Fraktionen mitunterzeichnet). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1. das derzeitige Entgelt für individuelle Vereinbarungen zur Arbeitseingliederung für Menschen mit Beeinträchtigungen als leistungsbezogene Entlohnung im Rahmen eines angemessenen Arbeitsverhältnisses laut entsprechendem Kollektivvertrag in den verschiedensten Bereichen vorzusehen; 2. die Prämien (vormals: „Taschengeld“) zu erhöhen und der erbrachten Leistung anzupassen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Tages- und Beschäftigungsstrukturen (Werkstätten) ein Mindesteinkommen zu garantieren.

“Menschen mit Behinderungen kriegen kein Gehalt, das den Leistungen angemessen ist”, bemerkte Alex Ploner (Team K). “Und da es sich um kein Arbeitsverhältnis handelt, werden auch keine Sozialbeiträge eingezahlt. Umgangssprachlich wird, leider trefflich, immer noch von einem „Taschengeld“ gesprochen. Ein Gehalt ist aber für ein selbstbestimmtes Leben, auf das laut UN-Behindertenrechtskonvention ein Recht besteht, wichtig. Es würde auch gezeigt werden, dass die Arbeit dieser Mitbürgerinnen wertgeschätzt und respektiert wird. Zudem würden Sozialbeiträge eingezahlt werden und damit eine größere Lebensautonomie und eine zusätzliche Absicherung im Alter gewährleistet. Insbesondere für Mitarbeiterinnen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen (Werkstätten) sind die erhaltenen Prämien nur ein Taschengeld, von dem man nicht leben kann. Dies ist auch aus ethischer Sicht problematisch, wenn die hergestellten Produkte zum Marktpreis weiterverkauft werden und die Mitarbeiterinnen davon wenig bis gar nichts vom Verkaufspreis erhalten. Die Eingliederung von Menschen mit Beeinträchtigungen in der Arbeitswelt sollte als Ziel die Garantie eines Mindesteinkommens haben, um eine größtmögliche Lebensautonomie, wie zum Beispiel das selbstständige Wohnen, zu garantieren.” Ploner verwies auf die entsprechende Forderung des Monitoringausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderung, der beim Landtag angesiedelt sei, und auf die Regelung in Luxemburg.

Maria Elisabeth Rieder (Team K) bezeichnete ein Gehalt, von dem man leben könne, als essenziell für alle, auch für Menschen mit Behinderungen. Es gehe auch um die Rentenabsicherung, um Altersarmut zu vermeiden. Auch die ehemalige Landesrätin Gnecchi habe 2007 in einem Referat vor der Staat-Regionen-Konferenz auf das Thema hingewiesen. Das Thema sei alt, aber es gebe bisher keine Fortschritte.

Brigitte Foppa (Grüne), die den Antrag mitunterzeichnet hat, sah es als höchst an der Zeit, das Thema anzugehen. Arbeit sei für jede Person wichtig. Sie appellierte an alle, mit den Begrifflichkeiten sorgsam umzugehen. Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) unterstützte den Antrag ebenfalls, wies aber auf die unklare Rechtslage hin; entweder sei es ein Arbeitsverhältnis oder eine Art Praktikum. Hier sei auch mehr Kontrolle nötig.

Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) teilte die Bedenken, auch wenn er den Antrag unterstütze. Es gehe um gleiche Würde für alle Arbeitnehmer. Die Gleichstellung sei sehr wichtig für die soziale Anerkennung, habe aber auch Auswirkungen auf die Betriebsbilanzen. Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) kündigte Zustimmung an. Wie im zuständigen Gesetzgebungsausschuss angemerkt worden sei, sei die Frage auch über die Kollektivverträge zu berücksichtigen. Sie fragte, ob die Mehrausgaben vergütet würden. Ulli Mair (Freiheitliche) unterstützte den Antrag und fragte, anlässlich eines ihr bekannten Falls, ob das sog. Taschengeld bei Inanspruchnahme von Sozialleistungen als Einkommen gezählt werde.

LR Philipp Achammer bezeichnete den Antrag als legitim und wichtig, da es bei der Arbeitseingliederung noch Nachholbedarf gebe. Verträge zur Eingliederung und Verträge zur Beschäftigung seien aber sehr unterschiedlich in Form und Zweck. Bei der Eingliederung gehe es um zeitlich begrenzte Projekte, mit dem Ziel einer festen Anstellung – ein niederschwelliges Brückenangebot, bei dem sich Betrieb und Arbeitnehmer annähern könnten. Wenn man diese Beschäftigungsform wie eine feste Anstellung behandeln würde, würde man ihr die Attraktivität nehmen. Dem ersten Punkt des Antrags könne man also nicht zustimmen. LR Waltraud Deeg wies ebenfalls auf den Unterschied zwischen Eingliederung und Beschäftigung hin. Bei den Arbeitsbeschäftigungsprogrammen sei eine Entschädigung von 410 Euro vorgesehen, die normalerweise zur Invalidenrente und zu anderen Sozialleistungen hinzukämen. Für die Altersabsicherung gebe es dann die Sozialrente vom INPS. Wenn man ein Gehalt nach Leistung einführen würde, würde man die Betroffenen einem Leistungsdruck aussetzen, den sie mit ihrem Bedarf an Ruhepausen und anderen Maßnahmen nicht schaffen würden.

Alex Ploner freute sich über die breite Zustimmung in der Sache. Man müsse sich immer auch die Situation der betroffenen Familien vor Augen halten, ihre Zukunft, wenn die Eltern nicht mehr da seien. Das Thema in den Kollektivverträgen zu berücksichtigen, sei gesetzlich möglich. Die derzeitige Situation sei für Betroffene und deren Familien unbefriedigend, da griffen rechtliche Einwände zu kurz. Myriam Atz Tammerle kündigte Enthaltung zu Punkt 1 an, da man eine Schlechterstellung verhindern wolle. Punkt 1 des Antrags wurde mit 14 Ja, 19 Nein und zwei Enthaltungen, Punkt 2 mit 16 Ja und 19 Nein abgelehnt.

Beschlussantrag Nr. 339/20: Unterstützung des Landes sowie Schaffung einer Koordinierungsstelle für Südtiroler Gemeinden zur digitalen Umstellung der Dienste auf die App IO, damit Bürokratie abgebaut und die digitalen Bürgerrechte uneingeschränkt wahrgenommen werden können (eingebracht vom Abg. Nicolini am 22.10.2020); der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1. zu prüfen, ob eine digitale Umstellung aller vom Land angebotenen Dienste möglich ist, damit Bürgerinnen und Bürger die App IO nutzen und ihre digitalen Bürgerrechte uneingeschränkt wahrnehmen können. 2. eine Koordinierungsstelle einzurichten, um zu prüfen und sicherzustellen, dass alle Dienste der Gemeinden auch auf der App IO angeboten werden können. 3. sich bei den zuständigen zentralen Verwaltungen dafür einzusetzen, dass die APP auch in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt wird.

“IO ist eine kostenlose, italienische App für Smartphones, die vom Departement für digitalen Wandel (Dipartimento per la trasformazione digitale) zusammen mit der PagoPA GmbH und verschiedenen Freiwilligen, die an der Entwicklung der App mitgewirkt haben, erstellt wurde”, erklärte Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung). “Ziel der Anwendung ist es, den Bürgern zu ermöglichen, die Dienste der öffentlichen Verwaltung auf einer einzigen Plattform zu nutzen: Informationsdienst, Zahlungen, Dokumenteneinsicht und -übermittlung.” Mit dieser App seien auch SPID, PagoPA und der elektronische Personalausweis verknüpft. Mit ihr könne man auch Gebühren, Steuern oder Strafen zahlen, man werde über Termine und Zahlungsfristen informiert. Man erhalte auch einen Digitales Domizil, an das z.B amtliche Mitteilungen geschickt werden können, mit der gleichen Rechtswirksamkeit wie ein Einschreiben. Das derzeit vom Land gebotene System MyCivis sei nicht auf der Höhe der Zeit, Südtirol sei digital nicht so weit vorne, wie man annehmen müsste. Bisher habe sich noch keine Südtiroler Gemeinde am IO-System angeschlossen.

Paul Köllensperger (Team K) unterstützte das Anliegen. Bei der Digitalisierung müsse man mit dem Kopf der Bürger denken und nicht jener der Verwaltung. PagoPa sei z.B. langsam und berechne 1 Euro für die Transaktion. Alle öffentlichen Dienste müssten auch digital angeboten werden, das, was Punkt 1 zum Teil fordere, sei bereits Pflicht und müsste ab Juni möglich sein.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) kündigte Enthaltung an. Wenn IO ein Zusatzangebot sei, könne man dem zustimmen. Es gebe mittlerweile eine ganze Flut von Apps von der öffentlichen Verwaltung. Wer IO möchte, sollte sie haben können, aber sie sollte nicht zur Pflicht werden. Smartphones zeigten immer wieder Probleme mit der Kompatibilität, z.B bei verschiedenen Versionen.

Hanspeter Staffler (Grüne) erklärte die Zustimmung seiner Fraktion. So weit hinten, wie Nicolini behaupte, sei Südtirol bei der Digitalisierung nicht. Eine einheitliche Verwaltungsapp, die es bereits gebe und die zudem Open Source sei, sei begrüßenswert. Man müsse bedenken, dass in diesem Bereich die Entwicklung schnell sei; MyCivis sei bereits überholt, obwohl es erst vor wenigen Jahren eingeführt wurde.

LH Arno Kompatscher unterstützte die Stoßrichtung des Antrags. Die Bürger seien mittlerweile digitale Dienste von Privatanbietern gewohnt. Man bemühe sich derzeit, verschiedene Angebote von Land, Gemeinden usw. auf MyCivis zu bündeln. Bereits 2018 habe das Land seine Beteiligung an IO angekündigt, das Projekt sei damals aber nicht gestartet. Im Juni 2020 habe die Landesregierung dem zuständigen Minister die Bereitschaft erneuert, habe aber auch darauf hingewiesen, dass die Zweisprachigkeit unabdingbar sei. Die App Immuni habe nicht viel Erfolg gehabt, sei aber bereits ab Start auch auf Deutsch verfügbar gewesen – es gehe also. Derzeit sei eine Verknüpfung mit MyCivis leider noch nicht möglich. Was der Antrag fordere, sei bereits in Arbeit, die geforderte Koordinierungsstelle gebe es seit 2015. Diego Nicolini freute sich über die breite Zustimmung zu seinem Anliegen und die Neuigkeiten von der Landesregierung. Die App IO sei auch deswegen so interessant, weil sie eine Vielzahl einzelner Apps ersetze. Der Antrag wurde mit zwölf Ja, 18 Nein und vier Enthaltungen abgelehnt.

Beschlussantrag Nr. 351/20: Das Land soll sich im Parlament dafür einsetzen, dass die Leihmutterschaft auch dann als Straftatbestand gilt, wenn ein italienischer Staatsbürger im Ausland von dieser Gebrauch macht (eingebracht vom Abg. Urzì am 16.11.2020); der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1) sich weiterhin gegen jede Art von Gewalt an Frauen einzusetzen; zu den Opfern gehören auch all jene Frauen, „die aufgrund ihrer Armut ausgebeutet werden und die gezwungen werden, ihre Gebärmutter gegen Bezahlung zu verleihen“; 2) sich im Parlament und bei den Südtiroler Parlamentariern für eine Gesetzesinitiative einzusetzen, welche die Leihmutterschaft auch dann als Straftatbestand ansieht, wenn ein italienischer Bürger im Ausland auf diese Praxis zurückgreift.

Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) sah Leihmutterschaft auch als eine Form von Gewalt gegen Frauen. Das staatliche Gesetz sehe dagegen Haft- und Geldstrafen vor, gelte aber nur auf Staatsgebiet und sei deshalb nicht wirksam gegen den sog. Reproduktionstourismus. Bei der Leihmutterschaft habe die biologische Mutter keine Rechte, das Kind werde sofort nach der Geburt von ihr getrennt und wie ein Produkt behandelt. Das Europäische Parlament wie auch der italienische Ethikrat hätten sich gegen die Leihmutterschaft ausgesprochen und sie als Herabsetzung der Würde der Frau bezeichnet.

Dem Einsatz gegen jede Art der Gewalt an Frauen wie in Punkt 1 könne er zustimmen, erklärte Gerhard Lanz (SVP), nicht aber dem Rest des Antrags. Die Leihmutterschaft sei differenziert zu sehen, sie könne nicht als solches kriminalisiert werden. Brigitte Foppa (Grüne) teilte diese Ansicht. Urzì stelle in seinem Antrag eine Analogie zwischen Leihmutterschaft und Prostitution her. In Zeiten großer Veränderungen rede die Gesellschaft gerne über den Körper der Frau, insbesondere über ihre Reproduktionsfähigkeit. Eine Gesellschaft, die Frauen vielfach abschätzig behandelt, dürfe ihr nicht die Entscheidung über ihren Körper nehmen.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) unterstützte Punkt 1 des Antrags, wollte aber nicht jede Form der Leihmutterschaft kriminalisieren. Für viele Paare sei diese der letzte Ausweg, um ein Kind zu bekommen, und wenn es im Einvernehmen geschehe, dürfe man es nicht verurteilen. Es sei auch rechtlich bedenklich, wenn Italien etwas verbieten wolle, was in anderen Ländern geschehe und dort erlaubt sei.

Franz Ploner (Team K) meinte, der Landtag sei nicht die richtige Bühne für dieses komplexe und heikle Thema. Es sei eher ein Thema für das Parlament nach Anhörung des Bioethikrates. Es gebe unterschiedliche Situationen, die zur Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft führten, und es gebe in den Staaten verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen. Leihmutterschaft sei eine Realität und könne nicht durch Strafen verhindert werden. Sicher brauche es dringend eine ehrliche Debatte, auch zur Eizellspende. Alle Fragen gehörten auf den Tisch, das Risiko für die Mütter, die Folgen für die Kinder u.a. Die Leihmutterschaft sei moralisch nur zu rechtfertigen, wenn ihre Rolle nicht auf das Austragen reduziert werde, wobei auch die Folgen für das Kind zu beachten sei.

Rita Mattei (Lega Salvini Alto Adige Südtirol) unterstützte den Antrag, auch wenn er nicht in die Zuständigkeit des Landtags falle. Als Lega-Vertreterin und als Frau lehne sie die Leihmutterschaft ab: Die Kinder würden wie Ware behandelt und ihrer natürlichen Mutter entrissen, Frauen aus armen Ländern würden ausgebeutet. Auch wenn ein Embryo implantiert werde, fühle die Frau neun Monate seine Anwesenheit. Hier werde die Würde der Frau mit Füßen getreten. Es gebe bereits eine Alternative, die Adoption, und dafür sollte man die Prozeduren einfacher gestalten.

Gegen Gewalt an Frauen müsse man immer eintreten, meinte Riccardo Dello Sbarba (Grüne), aber dieses Thema sollte vor allem aus der Sicht der Frauen betrachtet werden. Diese Praxis sei anderswo legal, und die Frauen würden nicht durch Gewalt zur Leihmutterschaft gezwungen, sondern durch Armut. Auf diesen Hintergrund, auf diesen enormen Unterschied zwischen Ländern und Kontinenten sollte man sein Augenmerk richten. LR Thomas Widmann wies darauf hin, dass Leihmutterschaft nicht nur in armen Ländern vorkomme, sondern auch z.B. in Kanada, wohin sich auch viele Italiener wenden würden. Dieses Thema sollte nicht mit einem Beschlussantrag abgetan werden, man sollte es vertiefen.

Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) nahm den Vorschlag und jenen von Franz Ploner auf und plädierte für eine Anhörung im Gesetzgebungsausschuss.
Präsident Noggler und LR Widmann erklärten, dass sie dies nicht entscheiden könnten, sondern der Gesetzgebungsausschuss. Urzì kündigte an, im Ausschuss einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, den hoffentlich auch andere mittragen würden. Er bat um Vertagung.

Beschlussantrag Nr. 357/20: #Pflegeberufe: Gesamtpaket für attraktiven Standort Südtirol (eingebracht von den Abg. Leiter Reber und Mair am 19.11.2020); der Landtag möge die Landesregierung beauftragen, • den finanziellen Kraftakt, welcher durch die mehrjährige Verschuldung des Landeshaushalts aufgrund der anstehenden Konjunktur- und Förderprogramme ohnehin ansteht, zu nutzen und weitere Mittel vorzusehen, um Südtirol mittelfristig zu einem attraktiven Standort für Pflegeberufe im öffentlichen und privaten Dienst ausbauen zu können. • Zur Feststellung der Gestaltungsherausforderungen und zur Ausarbeitung der zu treffenden Maßnahmen sind die Vertreter der Berufsverbände, Sozialpartner, des Sanitätsbetriebs und der Ausbildungsstätten, sowie die Vertreter der verschiedenen Formen der Pflegedienste und andere relevante Akteure einzubinden.

“Jugendliche für einen Beruf in der Pflege zu gewinnen, zählt in ganz Europa zu den größten gesellschaftlichen Herausforderungen”, erklärte Andreas Leiter Reber (Freiheitliche). “Der Wettbewerb und das Ringen um Pflegekräfte haben längst begonnen. Die derzeitige Coronapandemie hat unseren bisherigen Pflegenotstand in erschreckender Weise vor Augen geführt.” Es gehe nicht nur um die Entlohnung, sondern um ein Gesamtpaket: Arbeitszeiten, körperliche und psychische Belastung, Pflegehilfsmittel, Organisation u.a. Die Verschuldung des Landeshaushalts sollte man als Gelegenheit nehmen, endlich die Mittel zur Aufwertung der Pflegeberufe aufzubringen. “Mittelfristig wird Südtirol im internationalen Wettbewerb um Pflegekräfte nur durch einen attraktiven Standort für Pflegeberufe im öffentlichen und privaten Dienst punkten können.” Dazu seien alle Akteure an einen Tisch zu bringen.

Man habe im Landtag immer wieder über den Wert der Pflegeberufe diskutiert, bestätigte Maria Elisabeth Rieder (Team K), nun sei es Zeit für Maßnahmen, zunächst eine angemessene Bezahlung. Im Dezember sei nur ein Teilvertrag abgeschlossen worden, die wesentlichen Teile seien noch zu verhandeln. Vor allem bei der Jugend sei dieser Beruf zu bewerben. 2019 hätten im Sanitätsbetrieb 242 gekündigt, und das könne man nicht als normal hinstellen. Sogar der Kinderlandtag habe sich des Themas angenommen und Gehaltserhöhungen und Wohnmöglichkeiten vorgeschlagen. Der Mangel an Pflegekräften sei in ganz Europa ein Problem, meinte Brigitte Foppa (Grüne), Pfleger, die von auswärts hierherkämen, hinterließen daheim eine Lücke. Der Beruf genieße wenig Wertschätzung, die Bezahlung sei nicht angemessen, ebensowenig die Ausbildungsstruktur.

Franz Ploner (Team K) sah es ebenfalls als wichtig an, die Attraktivität des Berufs zu erhöhen. Neben den angesprochenen Mängeln gebe es wenig Mitsprachemöglichkeit, wenig Karrieremöglichkeiten, keinen festen Schlüssel Pfleger/Patienten. Seine Fraktion werde den Antrag mittragen. Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) verwies auf einen ähnlichen Antrag, den er vor einem Jahr eingereicht habe. Jährlich gingen mehr Pflegekräfte in Rente als die Claudiana ausbilde, und viele Absolventen würden einen anderen Beruf ergreifen oder auswandern. Diese Kluft werde sich vergrößern, daher müsse man dringend etwas unternehmen. Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) stimmte dem zu. Viele Pflegekräfte würden von Nachbarregionen abgeworben, ebenso würden viele in ihre Herkunftsregionen zurückkehren. Südtirol gebe pro Kopf italienweit am meisten für das Gesundheitswesen aus. Umgekehrt sei das hier gebotene Gehalt wenig angesichts der Lebenshaltungskosten. Viele fänden das Südtiroler System auch diskriminierend, z.B. wegen der Ansässigkeitsklausel bei Wahlen.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) bestätigte, dass es in ganz Europa einen Mangel an Pflegekräften gebe, aber in Südtirol sei er besonders hoch. Zum Teil beginne das in der Ausbildung, etwa bei der Studientitelanerkennung. Im Vergleich zu Verwaltungsbeamten sei das Gehalt bei diesem Pensum zu niedrig, aber man könne auch andere Formen der Entschädigung andenken, etwa Wohnmöglichkeiten. Ein Problem, das zu beachten sei, sei auch die Sprache; für Altersheimbewohner sei es deprimierend, wenn sie sich mit dem Personal nicht in ihrer Sprache unterhalten könnten. Hanspeter Staffler (Grüne) sah im “ganzheitlichen Konzept” die Kernaussage des Antrags. Das Land könne dies leisten, denn es habe in diesem Bereich primäre Kompetenz. Dafür sei viel Geld in die Hand zu nehmen, aber es sei höchste Eisenbahn.

LR Thomas Widmann unterstützte das Anliegen der Aufwertung des Pflegeberufs, wobei nicht nur das Gehalt wichtig sei, sondern auch die Arbeitszeit, die Familienfreundlichkeit u.a. Was Letzteres betreffe, biete Südtirol gute Bedingungen. Es sei ein europäisches Problem. Rieder verdrehe die Tatsachen, wenn sie von enormen Abgängen spreche. Man habe heute um Dutzende mehr Pflegerinnen als vor einem Jahr, die Fluktuation liege im Vergleich im unteren Bereich. Die Fluktuation werde auch durch die vielen Zeitverträge bedingt, die durch Corona notwendig waren. Es habe in letzter Zeit auch konsistente Gehaltsaufbesserungen gegeben. 8.549 Mitarbeiter, und nicht nur die Koordinatoren, hätten eine Prämie bekommen, weiteres sei noch in Verhandlung. In der Schweiz gebe es sehr attraktive Arbeitsplätze, aber immer mehr kämen wegen der Mutterschutzregelung wieder zurück. Man habe ein Abkommen mit Tirol, das derzeit 25 Pflegerinnen ausbilde, die sich bereits verpflichtet hätten, dann in Südtirol zu arbeiten. Mit diesen habe man bis zu 90 neue Pflegerinnen, die im Laufe des Jahres ihren Dienst antreten würden.

Andreas Leiter Reber kritisierte LR Widmann, der auf vieles eingegangen sei, was nicht im Antrag stehe. Auf die Hauptforderung sei er nicht eingegangen, daher müsse man davon ausgehen, dass er nicht bereit sei, ein Gesamtkonzept zur Aufwertung des Berufs zu erstellen. Die Landesregierung rufe die Opposition immer wieder zur Zusammenarbeit auf, zeige aber kein entsprechendes Verhalten. Der Antrag wurde mit 15 Ja, 16 Nein und vier Enthaltungen abgelehnt.

Beschlussantrag Nr. 360/20: Sars-CoV2-Impfplan (eingebracht vom Abg. Repetto am 27.11.2020); der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, a) angesichts der angeführten Prämissen, die institutionell zuständigen Ämter aufzufordern, unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Impfstoffmengen, rechtzeitig einen Impfplan auszuarbeiten; b) jene Einrichtungen und Dienste im Landesgebiet festzulegen, die mit eigens dafür vorgesehenem Personal die Impfungen gegen SARSCoV-2 durchführen, sobald die Impfstoffe zur Verfügung stehen; c) umgehend eine Informationskampagne zu organisieren und umzusetzen sowie gleichzeitig ein Bürgertelefon mit einer angemessenen Anzahl an Telefonleitungen einzurichten, sodass sich die Wartezeiten in Grenzen halten (es kann nicht sein, dass man stets gegen einen unerwarteten Ansturm an Anfragen ankämpfen muss); das Bürgertelefon sollte mit eigens dafür ausgebildetem Personal ausgestattet sein, das in der Lage ist, konkrete Antworten zu liefern oder die Bürger, falls erforderlich, auf Fachpersonal weiterzuverweisen, welches in absehbaren Zeiten antwortet; es liegt auf der Hand, dass sämtliche Telefonzentralen von einer einzigen Einsatzzentrale aus koordiniert werden müssen; d) Protokolle für die Fälle auszuarbeiten, in denen eine Impfung kontraindiziert ist oder sich eine Person der Impfung verweigert; e) eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal vorzusehen, das für Risikopatienten zuständig ist (z.B. Patienten mit stark geschwächtem Immunsystem); f) festzulegen, welche Kategorien als Erste geimpft werden sollen.

“Wir sollten uns rechtzeitig damit befassen, wer vorrangig geimpft werden soll”, erklärte Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten). “Die ersten Impfungen sollten – je nach deren verfügbaren Mengen und Lieferzeiten – in erster Linie für die am meisten gefährdeten Bürger und Bürgerinnen reserviert werden. Zudem sollten auch alle serologisch negativ Getesteten, sprich jene, die noch keine SARSCoV-2 Antigene aufweisen, den Vortritt haben, und dies immer unter Berücksichtigung der oben genannten Kategorien. Es wäre nicht sinnvoll, die Personen, die bereits mit dem Virus in Kontakt gekommen sind und daher selbst Antikörper gebildet haben, oder diejenigen, bei denen die Infektion noch im Gange ist, als Erste zu impfen. Man könnte also – innerhalb der Risikogruppen – eine maßgeschneiderte Lösung anpeilen. Der Sanitätsbetrieb sollte über eine Liste jener Personen verfügen, die bei einem Antikörpertest ein positives Ergebnis erhalten haben und inzwischen genesen und symptomfrei sind, sowie über Listen der Personen, denen ein negatives Testergebnis vorliegt und jener, die derzeit einen positiven Abstrich haben. Der Sanitätsbetrieb sollte auch Zugriff auf die Listen der sich in Quarantäne befindlichen Personen haben und daher in der Lage sein, festzustellen, welche Personen unmittelbar vor der Impfung infektionsgefährdet sind. Durch eine Prüfung aller Tests, einschließlich der von Privaten durchgeführten serologischen Tests, sowie aller nicht zertifizierten Tests, die trotzdem aussagekräftig sein können (insbesondere, wenn die Impfstoffmengen begrenzt sind), könnte der Sanitätsbetrieb die Impfphase weitaus effizienter gestalten.”
Franz Ploner (Team K) wies darauf hin, dass derzeit nicht die Impfmengen für eine flächendeckende Impfung zur Verfügung stünden, daher müsse man Prioritäten setzen. Die Bevölkerung müsse auf die ordentliche Durchführung der Impfung vertrauen können, umso wichtiger sei Aufklärung. Die Priorisierung müsse ethischen und medizinisch-rechtlichen Kriterien folgen. Um mehr Impfungen durchführen zu können, brauche es mehr Impfstrukturen, ein Impfregister mit einem Recall-System und die Einbindung der Basisärzte. Ploner kündigte die Zustimmung seiner Fraktion an.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) hatte Bedenken, dass der im Antrag eingebaute Impfzwang Probleme bereiten könnte. Man wisse noch nicht, ob man trotz Impfung noch andere Personen anstecken könne – eine Frage, die bei einer Impfpflicht für Sanitätspersonal wichtig sei. Es gebe nun zwei relevante Virusmutationen, daher sei ein Anstieg der Infektionen zu befürchten. Es scheine, dass die Impfungen nur ein halbes Jahr Schutz bieten würden. Knoll fragte, wie man darauf reagieren wolle.

Das Impfen sei wahrscheinlich die einzige Chance, um die Epidemie in Griff zu bekommen, erklärte LR Thomas Widmann. Dazu müssten in Südtirol 2-300.000 Personen in relativ kurzer Zeit geimpft werden. Der nationale Impfplan sei sehr starr und er lege die Prioritäten bereits fest. Südtirol habe als einziges Land die Ausnahme genehmigt bekommen, bereits in der ersten Phase die Personen über 80 zu impfen. Andere Regionen hätten eigene Protokolle erstellt und seien dafür rechtlich belangt worden. Im Wesentlichen seien die Impfprioritäten international die gleichen. Die Südtiroler Ausnahme dürfe nicht zu falschen Erwartungen führen: Bei den derzeitigen Lieferungen brauche man sechs Wochen, um alle 33.000 Personen über 80 zu impfen. In den nächsten Wochen sollten auch Impfdosen von Moderna dazu kommen, das könnte etwas Erleichterung geben. Der Antrag verlange etwas, was nicht in der Macht des Landes stehe. Der Antrag wurde in Teilabstimungen zu den einzelnen Punkten mehrheitlich abgelehnt.

Von: mk

Bezirk: Bozen