Experte kritisiert Landesregierung

Explodierende Corona-Zahlen: „Autonome Spielräume nicht gut genutzt“

Montag, 09. November 2020 | 13:51 Uhr

Bozen – Warum ist ausgerechnet in Südtirol die Anzahl der Neuinfektionen derart angestiegen? Während Landeshauptmann Arno Kompatscher die Verantwortung unter anderem bei den Bürgern sieht, nehmen Experten die lokale Politik in die Pflicht. Südtirol habe seine autonomen Spielräume nicht gut genutzt und hätte schon viel früher restriktive Maßnahmen ergreifen müssen, erklärt Universitätsprofessor Andrea Crisanti in einem Interview mit dem Corriere del Veneto.

„Die explodierenden Infektionszahlen schulden wir der Tatsache, dass im Oktober noch wild gefeiert wurde und sich viele nicht um die Maskenpflicht geschert haben“, erklärte Landeshauptmann Arno Kompatscher gegenüber der Sonntagszeitung „Zett“. Gleichzeitig erwägt Gesundheitslandesrat Thomas Widmann, einen zweiten Lockdown einzuführen.

Crisanti, der seit 8. Juni auch Mitglied der Südtiroler Corona-Expertenkommission ist und für seine Einsätze und Expertisen in der Corona-Krise mehrfach ausgezeichnet wurde, sieht die Verantwortung allerdings auch bei der Politik.

Die Reproduktionszahl sei in Südtirol wahrscheinlich deshalb so hoch, weil keine Maßnahmen getroffen wurden, um das sogenannte „contact tracing“ zu verstärken, als die Anzahl der Neuinfektionen noch deutlich niedriger war. Deutschland habe die Gefahr viel früher erkannt und besser reagiert, erklärt Crisanti.

Betrachte man das Verhältnis zwischen den durchgeführten Tests und der Zahl der positiv Getesteten, schneide Südtirol mit Umbrien italienweit am schlechtesten ab, was die Positivitätsrate anbelangt, die erschreckend hoch sei.

Der 66-jährige Römer ist außerdem überzeugt: Hätte man früher eingegriffen, wäre ein Lockdown zum jetzigen Zeitpunkt möglicherweise nicht unbedingt nötig. Sollte ein Lockdown Mitte November ausgerufen werden, rechnet er mit einer Dauer von mindestens sechs Wochen. Seiner Ansicht nach sollte die Politik den Mut aufbringen, dies den Unternehmern mitzuteilen.

In dem Interview betont Crisanti außerdem, dass die Landesregierung ihn seit längerer Zeit nicht mehr um seine Meinung gefragt habe.

Von: mk

Bezirk: Bozen