Von: mk
Moskau/Riga – Alexey Kovalev ist Journalist bei Meduza, eines der wenigen unabhängigen Nachrichtenportale, die in Russland aktiv ist. Um seiner Arbeit weiterhin nachgegen zu können, musste der Journalist nun nach Lettlands Hauptstadt Riga auswandern. In einem Interview erklärt er italienischen Medien gegenüber, wie man in Russland derzeit den Angriffskrieg auf die Ukraine wahrnimmt.
„Es besteht keine Möglichkeit, herauszufinden, wie viele Personen in Russland den Krieg befürworten. Der Großteil der Russen befindet sich in einer Art Schreckstarre. Im Fernsehen wird wiederholt, dass es keinen Krieg gibt. Die Ukrainer würden sich gegenseitig bombardieren“, erklärt Kovalev. Viele würden wie unter einem Zauberbann stehen.
Trotz allem sei vielen Russen klar, dass es so eine Situation bislang noch nie gegeben hat. „Man kann nirgendwohin reisen. Dutzende Millionen haben ihren Arbeitsplatz nach den Schließungen westlicher Firmen verloren. In den Geschäften gibt es keinen Zucker oder Güter zur Grundversorgung. Die Armut hat zugenommen und auch Arzneimittel fehlen“, fasst der Journalist die Zustände zusammen.
Mehrere 10.000 Personen hätten Russland bereits verlassen, er selbst ebenfalls, so Kovalev. „Das ist die einzige Option, die jenen geblieben ist, die mit der Politik des Kremls nicht einverstanden sind.“
Für ihn sei die Arbeit in Moskau zu gefährlich geworden. „Ich bin geflohen, als sie das Gesetz erlassen haben, das meinen Beruft zu einem Verbrechen macht.“ Dies sei der einzige Weg gewesen, um Repressionen, die Beschlagnahme der Computer und eine Festnahme der Verantwortlichen zu verhindern.
International habe Wladimir Putin seine gesamte Glaubwürdigkeit verloren – in einem Krieg, den er nicht gewinnen kann, erklärt der Journalist über den Kreml-Chef. Der russische Präsident sei dermaßen vom Rest der Welt isoliert, dass er kaum eine Ahnung habe, was draußen auf dem Schlachtfeld passiert. „Er hat keinen Zugang zum Internet, er liest nur die Berichte seiner Generäle. Aber da in einem Regime wie in Russland niemand dem eigenen Chef missfallen will, wird ihm nur das gesagt, was er hören will“, sagt Kovalev. Der Kreml sei wie ein „schwarzes Loch“, wo niemand wisse, wie die Dinge wirklich sind – „Personen, die Putin nahestehen, mit eingeschlossen“.