Von: APA/Reuters/dpa
In Thailand eskaliert die Regierungskrise rund um den Grenzkonflikt des südostasiatischen Landes mit Kambodscha – wegen eines umstrittenen Telefonats zwischen Spitzenpolitikern beider Länder. Thailands Verfassungsgericht suspendierte am Dienstag Ministerpräsidentin Paetongtarn Shinawatra. Dies gilt laut dem Gericht bis zu einer Entscheidung über ein von Dutzenden Senatoren gefordertes Amtsenthebungsverfahren.
Sie werfen der 38-Jährigen Unehrlichkeit und Verstöße gegen ethische Standards vor. Paetongtarn soll sich in einem Telefonat mit Kambodschas einflussreichem Ex-Ministerpräsidenten Hun Sen zur Entschärfung des Grenzkonflikts unterwürfig gezeigt haben, ihn als “Onkel” bezeichnet haben. Sie soll auch einen thailändischen Armeekommandanten kritisiert, als “Gegner” bezeichnet haben. Dies gilt in Thailand, wo das Militär großen Einfluss hat, als inakzeptabel.
Umstrittenes Verhalten in Telefonat
Der Inhalt des politisch brisanten Telefongesprächs von Mitte Juni war durchgesickert und hatte landesweit Empörung ausgelöst. Paetongtarn hat sich zwar entschuldigt und ihre Äußerungen als Verhandlungstaktik bezeichnet. Dennoch hat eine Partei als Reaktion auf das Telefonat das Regierungsbündnis verlassen und will voraussichtlich bald ein Misstrauensvotum im Parlament stellen. Paetongtarns Koalition verfügt nur noch über eine hauchdünne Mehrheit. Auch in der Bevölkerung gab es Protest, bei dem der Rücktritt der Regierungschefin gefordert wurde.
Der Konflikt über den genauen Grenzverlauf zwischen Thailand und Kambodscha schwelt schon seit der Kolonialzeit. Zuletzt hatte er sich wieder verschärft, als Ende Mai bei einem Schusswechsel ein kambodschanischer Soldat getötet worden war. Daraufhin hatten beide Länder ihre Militärpräsenz verstärkt. Kambodscha hatte unter anderem ein Importverbot für Lebensmittel sowie für Treibstoff und Gas aus Thailand verhängt. Vergangene Woche schloss Thailand als Reaktion die Grenzübergänge in sechs Provinzen.
Vize übernimmt
Das Verfassungsgericht des Landes suspendierte die 38-Jährige vorübergehend von ihrem Amt. Es nahm damit eine Petition von 36 Senatoren an, die der Politikerin schwerwiegende Verstöße gegen ethische Grundsätze vorwerfen. “Ich habe lediglich versucht, Zusammenstöße und weitere Opfer zu verhindern. Ich betone, dass ich keine bösen Absichten hatte”, zitierte die “Bangkok Post” die suspendierte Politikerin. In einer Erklärung teilte sie mit, sie akzeptiere die Entscheidung des Gerichts, habe aber immer nur zum Wohle ihres Landes und des Militärs gehandelt.
Die Suspendierung soll so lange gelten, bis das Gericht zu einer endgültigen Einschätzung kommt, ob Paetongtarn sich verfassungswidrig verhalten hat, berichtete die Zeitung “Bangkok Post”. Die Regierungschefin war zuletzt wegen einer geleakten Audio-Aufnahme eines Telefonats mit dem kambodschanischen Ex-Langzeitherrscher und heutigen Senatspräsidenten Hun Sen zunehmend unter Druck geraten.
Während das Verfassungsgericht die Vorwürfe gegen Paetongtarn prüft, übernimmt Vize-Ministerpräsident Suriya Juangroongruangkit vorübergehend die Amtsgeschäfte. Paetongtarn hat 15 Tage Zeit für eine Stellungnahme. Sie bleibt als neue Kulturministerin im Kabinett.
Jüngste thailändische Regierungschefin aller Zeiten
Paetongtarn ist erst seit zehn Monaten im Amt und hatte als bisher jüngste Regierungschefin Thailands die Nachfolge von Srettha Thavisin angetreten. Diesen hatte das Verfassungsgericht wegen Ethikverstößen entlassen, nachdem er einen Minister ernannt hatte, der einst inhaftiert war.
Paetongtarns Schwierigkeiten sind auch ein Beleg für die schwindende Stärke der populistischen Pheu-Thai-Partei der Milliardärsdynastie Shinawatra, die seit 2001 die thailändischen Wahlen dominiert und hinter der ihr einflussreicher Vater Thaksin Shinawatra, Premier von 2001 bis 2006 als treibende Kraft steht. Die Partei überstand Militärputsche und Gerichtsurteile, die mehrere Regierungen und Ministerpräsidenten zu Fall brachten. Aber auch die lahmende Wirtschaft macht Paetongtarns Regierung zu schaffen. Ihre Zustimmungswerte in Umfragen sind eingebrochen.
Sorge vor neuem Militärputsch
Die steinreiche Shinawatra-Dynastie hat aber gerade unter den Nationalisten viele Gegner. Paetongtarns Vater Thaksin ist einer der reichsten Männer des Landes. Ab 2008 lebte er im selbst auferlegten Exil und war erst 2023 in die Heimat zurückgekehrt. Kurz darauf wurde er wegen Majestätsbeleidigung angeklagt. Trotz vieler juristischer Probleme gilt der 75-Jährige weiterhin als einflussreich.
Zuletzt war auch wieder die Sorge vor einem möglichen neuen Putsch aufgeflammt. Vor allem in der wichtigen Tourismusbranche wächst die Angst. Seit 1932 gab es in Thailand rund ein Dutzend Staatsstreiche.
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