Forderungen der "Plattform Land"

Wie funktioniert Chancengleichheit?

Donnerstag, 25. Juni 2020 | 19:43 Uhr

Bozen – Über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für den ländlichen Raum und die Belastungen der Familien, insbesondere der Frauen, in der Coronakrise diskutierte die Plattform Land kürzlich bei einem Webinar mit Fachexperten und Vertretern aus Gesellschaft und Politik. Ein Fazit der Diskussion: Ein Ausbau der Digitalisierung verbunden mit einem gleichzeitigen Ausbau der Kinderbetreuung und flexiblerer Arbeitsmodelle zwischen Büro, Coworking und Homeoffice kann zu mehr Chancengleichheit und damit mehr Attraktivität des ländlichen Raums beitragen.

Den Anstoß für die Diskussion gab laut Plattform Land-Präsident Andreas Schatzer „die Belastung der Familien und insbesondere der Frauen in der Coronazeit, aber auch die Chancen, die die letzthin gemachten Erfahrungen mit Digitalisierung der Arbeit und der Schule bieten“.

Die Plattform Land hat eine Studie zu den Bleibe- beziehungsweise Abwanderungsmotiven von Frauen und Männern im ländlichen Raum in Auftrag gegeben. Diese sogenannte „Genderstudie“ wird derzeit von Eurac Research im Rahmen des von der Handelskammer Bozen unterstützten Projekts „FLOW“ durchgeführt.

Eine erste Erkenntnis ist, dass attraktive Strukturen und Communities im ländlichen Raum wie beispielsweise die BASIS in Schlanders ein Grund für eine Rückkehr in die Peripherie sein können. Michaela Schafferhans von prospectgmbh stellte die 2019 im Auftrag des Sozialministeriums in Österreich durchgeführte Studie zur Digitalisierung der Arbeit und zu Chancen für qualifizierte Frauen in ländlichen Regionen vor. Schafferhans unterstrich, dass flexible Arbeitsmodelle im Wechsel zwischen Büro und Homeoffice neue Chancen vor allem für qualifizierte Frauen eröffnen. Voraussetzung sei aber, dass gleichzeitig eine adäquate Kinderbetreuung möglich
sei.

Bislang tendierten vor allem junge qualifizierte Frauen dazu, aus dem ländlichen Raum abzuwandern. Bei einer Rückkehr müssten sie sich meist wieder mit traditionellen Rollenverteilungen auseinandersetzen. Universitätsdozentin Barbara Plagg machte im Anschluss auf die aktuellen Herausforderungen
der Familien, insbesondere der Frauen in Südtirol aufmerksam. „In den vergangenen Monaten wurde die Hauptlast der Kinderbetreuung von den Frauen getragen: Mütter betreuen doppelt so oft ihre Kinder wie Väter.“ In der gerade stattfindenden raschen Rückkehr an den Arbeitsplatz stehen viele berufstätige Mütter und Väter vor der Frage, wie die Kinderbetreuung bei immer noch reduziertem Angebot stattfinden soll. Die Aufgabe der Politik besteht darin –
ebenso wie in der Wirtschaft – rasch die nötigen Finanz- und Personalressourcen zum Ausbau der Kinderbetreuung bereit zu stellen. Oder wie es ein Kind in ihrem Kurzvideo selbst an die Politik formulierte: „Warum wird die Welt der Kinder nicht genauso (schnell) wiederhergestellt wie die der Erwachsenen?!“

An der anschließenden Diskussion nahmen Vertreter des Landes in Person von Landesrätin Waltraud Deeg, Landesschuldirektorin Sigrun Falkensteiner, Wirtschafts-Abteilungsdirektorin Manuela Defant, der Wirtschaft in Person von Unternehmerverbandsdirektor Josef Negri und der Gesellschaft in Person des Jugendring-Geschäftsführers Kevin Hofer und der Koordinatorin der Allianz für die Familie Christa Ladurner sowie viele weitere Interessierte teil.

Dabei wurden auf der einen Seite die Chancen einer beschleunigten Digitalisierung durch Homeoffice und Co-working-Räume sowie schnelles Internet auch in den Tälern betont. Wichtig für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien flexible Arbeitszeiten und Betriebskitas für Mann und Frau. Auf der anderen Seite machten alle deutlich, dass es nicht nur einen Ausbau der Kinderbetreuung brauche, sondern auch die Interessen der Kinder und Jugendlichen selbst berücksichtigen werden müssen.

In Bezug auf den Schulstart im Herbst machten mehrere Vertreterinnen klar, dass ein regulärer Schulstart notwendig sei. Doch hierfür fehlt es an Räumlichkeiten und Lehrern. Zumindest sei eine deutliche Flexibilisierung und Ausweitung auch personeller Art dringend nötig, damit das Betreuungsangebot nicht nur auf den Vormittag
konzentriert sei. Ansonsten drohe der Verlust von hochqualifizierten Arbeitskräften. Die Schule plane derzeit für verschiedene Szenarien, beklagte aber zugleich den schon länger bestehenden Personal- und Raummangel.

Von Seiten der Politik wurde eine ressortübergreifende Beschäftigung mit Lösungsmöglichkeiten zugesichert, eine davon könnte die Verwendung von aufgrund der verringerten Sommerbetreuung eingesparten Ressourcen für einen verbesserten Start im Herbst sein.

Zur Plattform Land:

Der Erhalt und Ausbau der Attraktivität des ländlichen Raumes ist ein wichtiger Schwerpunkt der Plattform Land, der das Land Südtirol, die Handelskammer sowie Wirtschafts-, Sozial- und weitere Verbände – insgesamt 15 Mitglieder – angehören.

Von: bba

Bezirk: Bozen