Von: apa
Der EU-Mercosur-Pakt befindet sich auf der Zielgeraden. Im Dezember stehen entscheidende EU-Beschlüsse an, 2026 könnte das Abkommen in Kraft treten. Bis zuletzt blieb das Vertragswerk aber umstritten, vor allem auch in Österreich, das sich bisher zu einem Veto in Brüssel verpflichtet hat. Geht es nach dem Wifo, sollte die Politik ihre Position überdenken: Angesichts der Weltlage sei der Abbau von Handelsschranken dringender denn je, so der Tenor bei einem Pressegespräch.
Der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Gabriel Felbermayr, verwies am Dienstag auf die schwierige wirtschaftliche Lage der EU, die durch die US-Handelspolitik, das aufstrebende China sowie aufgrund genereller protektionistischer Tendenzen zusätzlich unter Druck gerate. Besonders die Situation der Austro- und EU-Industrie sowie der Exporteure sei angespannt. “Die Exportperformance war in den letzten Jahren sehr schlecht. Und wenn die Exportperformance schlecht ist, leidet auch die Industrieproduktion. Deswegen ist jetzt ein guter Zeitpunkt, handelspolitische Impulse zu setzen, sich nicht abzuschotten und Zölle abzubauen”, sagte der Ökonom in Richtung Bundesregierung und EU.
Wie Handelsökonom Harald Oberhofer vorrechnete, würde das Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay das BIP-Wachstum Österreichs um 0,1 Prozent erhöhen. “Das mag zwar nach nicht viel klingen, setzt man es aber in das Verhältnis zu den Schäden, die die US-Zölle anrichten, kommt man zu dem Schluss, dass das Mercosur-Abkommen bis zur Hälfte davon kompensieren könnte.” Ins Feld führte der Experte auch hohe potenzielle Exporteffekte, etwa für die Autoindustrie. Außerdem könnte sich, sollte das Abkommen tatsächlich endgültig paktiert werden, der Kontinent einen besseren Zugang zu kritischen Rohstoffen sichern.
Österreich könnte “Zünglein an der Waage” werden
Bis zuletzt war nicht sicher, ob das Handelsabkommen tatsächlich die notwendige Zustimmung finden wird. In Europa sind unter den großen Ländern Frankreich und Polen kritisch bis ablehnend. Fragezeichen gibt es auch hinter Belgien, den Niederlanden, Rumänien und Ungarn. Aufgrund der nach wie vor unklaren Verhältnisse – im Rat der EU braucht es eine qualifizierte Mehrheit – könnte Österreich bei den Abstimmungen also durchaus zum Zünglein an der Waage werden.
Um in Brüssel doch noch ein Ja zu geben, ist für Österreich allerdings ein neuer Beschluss im Ständigen EU-Unterausschuss im Parlament notwendig. 2019 hatte sich Österreich parlamentarisch dazu verpflichtet, gegen das Mercosur-Handelsabkommen in der EU zu stimmen. Die Zeit für einen möglichen neuen Beschluss drängt jedenfalls, weil der Rat den Vertrag noch vor dem 20. Dezember absegnen will.
Parteienlandschaft gespalten
Offen für das Abkommen sind unter den Regierungs- und Parlamentsparteien hierzulande nur die liberalen NEOS. Der Wirtschaftsflügel der Kanzlerpartei ÖVP ist dafür, der ÖVP-Bauernbund dagegen. Die SPÖ ist kritisch, Grüne und FPÖ sind dagegen. Bei den Sozialpartnern ist die Wirtschaftskammer dafür, alle anderen sind bisher gegen einen Abschluss. Bedenken äußerten außerdem stets auch Umweltschützer von diversen NGOs sowie Agrarvertreter.
Großer Diskussionspunkt rund um das Vertragswerk waren und sind die Bestimmungen für Agrargüter: Teile der Landwirtschaft befürchten wie vielfach berichtet, dass der Vertrag billigem Fleisch aus Südamerika Tür und Tor öffnen und den europäischen Bäuerinnen und Bauern Absätze wegbrechen würden. Die EU-Kommission hält dem entgegen, dass sich auch für die Agrarwirtschaft Exportchancen böten und außerdem die möglichen Fleischeinfuhren limitiert sind. Bei Rindfleisch beispielsweise entspreche das Kontingent mit 99.000 Tonnen etwa 1,5 Prozent der Menge, die jährlich in Europa produziert wird, bei Geflügel seien es 1,3 Prozent.
Agrarökonom: Viele Mythen um Abkommen
Wifo-Agrarökonom Franz Sinabell sieht das ähnlich und warnte davor, “Mythen” um das Abkommen zu viel Raum zu geben: Etwa stimme es nicht, dass von einer starken Zunahme der Rindfleischimporte auszugehen sei, ebenso sei die Umweltsituation anders als von vielen vermutet in Südamerika nicht wesentlich schlechter als bei uns. Hinzu komme, dass die Agrarflächen in Brasilien in den vergangenen 20 Jahren kaum ausgeweitet worden seien – die Furcht vor zusätzlichen Rodungen im Regenwald seien also ebenso weitgehend unbegründet, argumentierte Sinabell, der ebenso wie Felbermayr und Oberhofer auf ein spätes Einlenken Österreichs hofft.
Ob das noch realistisch ist? Felbermayr: “Es bräuchte ein Machtwort. Wenn niemand auf den Tisch haut, wird es schwierig.”




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