„Abstimmung mit den Füßen“ – ein Kommentar

Gehaltsmythen im Pflegebereich

Donnerstag, 20. Oktober 2022 | 01:32 Uhr

Bozen – Ein Artikel, wonach höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen Trentiner Krankenpfleger nach Südtirol locken würden, ließ besonders unter den einheimischen, im Pflegebereich tätigen Angestellten die Wogen hochgehen. Viele Kommentatoren bemerkten, dass die Gehaltsangabe des anonym gebliebenen Trentiners – kolportierte 3.000 Euro – nie und nimmer der Wirklichkeit entsprechen könne, zumal selbst einheimische Krankenpfleger mit einem hohen Dienstalter nicht annähernd im Bereich dieser Summe kämen.

Angesichts der hochkochenden Diskussion und der landesüblichen Neiddebatte sah sich auch der Landessekretär der Fachgewerkschaft Gesundheitsdienst im Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB), Andreas Dorigoni, veranlasst, das Bild zurechtzurücken und die Gehaltsangaben des Trentiner Krankenpflegers „ins Reich der Märchen“ zu verweisen.

APA/APA/dpa/Marijan Murat

Es genügt aber ein Blick in die Kollektivverträge, dass die inzwischen famosen 3.000 Euro ein Mythos sind. Vielmehr sind es gerade der akute Pflegenotstand, der Nachwuchsmangel und die schon vor der Pandemie eingesetzte Flucht aus den Krankenhausabteilungen und Altersheimen, die beweisen, dass Pflege kein „goldener Beruf“ sein kann.

Junge Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger, die fünf Jahre Oberschule und drei Jahre Universitätsstudium an der Claudiana hinter sich haben, müssen sich mit Anfangsgehältern begnügen, die weit unter 2.000 Euro liegen. Bis diese Marke überschritten wird, dauert es Jahre. Angesichts des jahrelangen, schwierigen zweisprachigen Studiums, der hohen Kosten, die mehrere Tausend Euro betragen und der eher mageren Gehaltsaussichten wundert es nicht, dass es seit Jahren nicht gelingt, alle Studienplätze zu besetzen. Außerdem spricht der hohe Anteil von Studienabbrechern – manchmal beenden fast die Hälfte der Studenten nicht das Studium – Bände.

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Zudem wird der Pflegenotstand, der bereits heute dazu führt, dass Teile der Bettenkapazität nicht mehr verfügbar sind, dadurch verschärft, dass sich Studienabgänger dafür entscheiden, ins Ausland zu gehen. Dort locken nicht nur höhere Gehälter und teilweise bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch eine höhere Wertschätzung für die geleistete Pflegearbeit, die immer auch Berufung ist.

Ähnliches gilt für die Altenpflege. Für Gehälter, die auch im Handel bezahlt werden, müssen die Altenpflegerinnen und Altenpfleger eine schwierige, belastende und von hoher Verantwortung erfüllte Pflegearbeit leisten.

APA/HELMUT FOHRINGER

Heute haben die immer weniger werdenden jungen Leute viele interessante Ausbildungswege in welche Richtung auch immer zur Auswahl. Und gerade für diese gebotenen Gehälter, um die sie ungerechtfertigterweise „beneidet“ werden, sind immer weniger von ihnen dazu bereit, sich eine jahrelange, schwierige und teure Ausbildung und eine solch aufzehrende Arbeit anzutun.

Der Pflegenotstand ist bereits heute akut, aber die eigentliche „Pflegebombe“ wird erst in ein paar Jahren – dann, wenn die Abteilungen halb leer sein werden – platzen. Um dieses Desaster abzuwenden, wird es notwendig sein, dass das Land die Gehälter den im nahen Ausland gezahlten Monatslöhnen anpasst. Nicht zuletzt würde auch etwas mehr Wertschätzung und weniger böser Neid guttun.

Der Ball liegt nun beim Land. Passiert nichts, wird das eintreten, was man allgemein eine „Abstimmung mit den Füßen“ nennt.

 

Von: ka

Bezirk: Bozen