Arzt berichtet, wie es auf Covid-19-Station in Pesaro zugeht

“Nach zwölf Stunden ist man am Ende”

Mittwoch, 25. März 2020 | 17:32 Uhr

Bozen/Pesaro – Die Corona-Pandemie hat Italien als erstes Land in Europa überrollt. Waren vor rund vier Wochen nur einige Dörfer im Veneto und der Lombardei abgeriegelt, breitete sich das Virus innerhalb weniger Tage dennoch exponentiell aus. Vor allem die Lombardei wurde in der Folge schwer getroffen. Seit Tagen sterben täglich Hunderte Menschen in Italien an den Folgen von Covid-19.

Auch in Spanien gibt es nun bereits mehr Tote als in China – dem Ursprungsland der Seuche. Dort ist das Virus das erste Mal von einem Tier auf den Menschen übergesprungen. Mittlerweile haben in Europa zahlreiche Länder Gegenmaßnahmen ergriffen, um ein zu schnelles Ausbreiten von SARS-CoV-2 zu unterbinden – mit einschneidenden Folgen für die Wirtschaft, was zurecht viele beunruhigt.

Die Präventionsmaßnahmen seien aber notwendig, um einen hohen Gipfel der Kurve zu verhindern, betont der Meraner Facharzt für Urologie, Dr. Johannes Lunger.  Er hat kürzlich mit einer befreundeten Anästhesistin, die in Pesaro arbeitet, telefoniert. Die Medizinerin ist dort an einer Intensivstation tätig und damit bei der Behandlung von Covid-19-Fällen in erster Reihe. Lunger gibt sich von den Erzählungen seiner Kollegin erschüttert. Das war wohl auch der Grund, warum er den nachfolgenden Bericht verfasst hat.

Ich habe gestern über eine Stunde mit einer Freundin telefoniert, die als Anästhesistin an einer Intensivstation in Pesaro arbeitet. Ich war und bin schwer erschüttert und möchte einen kleinen Einblick in die Krankenhausrealität geben:

In Pesaro und Umgebung gibt es sehr viele Covid-Fälle, da im Februar ein Sportturnier mit ca. 20.000 Beteiligen u.a. aus der Lombardei ausgetragen wurde.

Aktuelle Situation: Die Ärzte auf den Anästhesie-Stationen machen Zwölf-Stunden-Schichten mit Schutzanzügen: extrem warm, Atmung erschwert, telefonieren, essen oder Toilettengänge bedeuten mit Aus- u. Anziehen des Schutzanzuges mehr als 20 Minuten Zeitverlust. Nach zwölf Stunden ist man am Ende. Hinzu kommt die enorme psychische Belastung, da diesen Ärzten ca. 80-90 Prozent der Patienten unter den Händen wegsterben, und dabei handelt es sich nicht nur um 90-Jährige, wo dann das Corona-Virus sozusagen als Zufallsbefund diagnostiziert wird. Über 80-Jährige werden überhaupt nicht mehr intubiert, von den Über-70-Jährigen nur die fittesten. Die Ärzte konzentrieren sich auf die 60-70-Jährigen, die eine Chance haben, die drei Wochen auf der Intensivstation zu überleben.

Die Patienten kommen mit einer schlechten Sauerstoffsättigung auf die Intensivstation, sind aber noch fit, das heißt, sie haben keine Atemnot, sie telefonieren noch mit ihren Angehörigen und legen sich selbst ins Bett. Das Lungenröntgen sieht jedoch beeindruckend (schlecht) aus, und nach ein paar Tagen stirbt der Patient. Die Patienten liegen etwa zwei Wochen in Bauchlage intubiert, sind kurarisiert (d.h. komplett relaxiert), damit sie die langfristige Intubatierung ertragen können. Sie müssen mehrmals täglich umgelagert werden (dazu braucht es jeweils fünf Personen). Nach zwei Wochen werden sie extubiert und auf der Intensivstation noch eine Woche mit Maske überdruckbeatmet. Anschließend bleiben sie noch auf der Nicht-intensiv-Infektionsstation, bevor sie entlassen werden – zumindest die wenigen, die überlebt haben. Viele Patienten sterben an Nierenversagen, deshalb haben auch Diabetiker und Bluthochdruckpatienten ein stark erhöhtes Sterberisiko.

Dann heißt es wieder in den Medien: „Patient mit mehreren Vorerkrankungen“. Aber das heißt bitte nicht, dass der Patient an seinem Diabetes verstorben ist und das Corona-Virus nur zufällig anwesend war oder lediglich als letzter Tropfen das Faß zum Überlaufen gebracht hat. Ein 70-Jähriger mit gut eingestelltem Altersdiabetes und gut eingestelltem Bluthochruck kann locker zehn Jahre leben, aber er überlebt nicht die Intensivstation mit einer beidseitigen viralen (Corona) Pneumonie! Also bitte verschont mich mit Statistiken mit 0.8 Prozent Corona-Toten und der ganze Rest ist an den Grunderkrankungen gestorben oder war eh schon halb tot weil über 90.

Und bitte verschont mich mit Meldungen, das sei ein „normaler“ Grippevirus und wird nur gehypt. Das hat überhaupt nichts mit der Krankenhausrealität zu tun. Die Lage in den Krankenhäusern haben nichts mit Fake-News zu tun! Und die Patienten sind keine Psychosomatiker, die aus Angst die Intensivstationen überrennen und von hilflosen inkompetenten Ärzten kritiklos intubiert werden.

Es gibt eine italienweite Chat-Gruppe, wo viele Anästhesisten ihre Erfahrungen mit verschiedenen Behandlungsstrategien austauschen, um die Behandlung nach den neuesten Erkenntnissen zu optimieren. Verwaltungstechnisch besteht jedoch ein italientypisches Chaos, das auch zum Teil für die hohe Sterberate der Patienten verantwortlich ist. Diesbezüglich können wir schon relativ ruhig sein, weil unsere Krankenhäuser sehr gut und strukturiert arbeiten. Was aber nicht bedeutet kann, daß wir lax in der Prävention sein können.

Ich bin überhaupt kein ängstlicher Hysteriker oder kritikloser Verordungsbefolger. Ich kenne Artikel über La Roche Impfstofflobby, Bill Gates Fondation Sponsoring der WHO, ich weiß, dass die Vogel- und die Schweinegrippe ein gepushter Hype waren. Aber ich glaube nicht, dass die Entscheidungsträger in all den verschiedenen Ländern hilfos, blöd und fehlinformiert sind oder korrupt mit einem verborgenen Nutzen, die gesamte Wirtschaft abzuwürgen.

Sollte es gelingen, durch Prävention einen hohen Gipfel der Kurve zu verhindern, werden wir weniger Corona-Tote haben als bei einer schweren Grippewelle. (und die Corona-Bezweifler werden sich bestätigt fühlen).

Sollte die Kurve aber durch die Decke gehen, werden wir unzählige vermeidbare Tote haben. Und wenn wir uns dann eingestehen müssen, daß wir die ganze Sache unterschätzt haben und deshalb viele dieser Toten mitverschuldet haben, müssen wir damit leben.

Also niemand weiß so wirklich, wie viel Einschränkungen nötig sind und ab wann diese kontraproduktiv sind. Aber ich glaube, daß wir uns im Zweifelsfall auf der vorsichtigeren Seite bewegen und nicht den coolen Besserwisser spielen sollten.

Noch ein paar Gedanken:

– wer heute im Krankenhaus stirbt, stirbt einsam (schlimm für den Sterbenden und die Angehörigen)
– die ganze Medizin dreht sich nur mehr um Corona-Patienten: Operationspläne sind gestrichen, Chemotherapien werden pausiert, Grundversorgung und Prävention gibt es nicht mehr.
– nach Corona wird es elend lange Wartezeiten geben
– ………und die Anästhesisten werden ausgelaugt sein, wenn der ganz normale Krankenhaus-Stress wieder weiter gehen soll.

Conclusio:

Bitte nicht zuhause depressiv vergraben!
Angst essen Seele auf! – Aber der nötige Respekt ist sicher gerechtfertigt.
Auch für mich sind viele Punkte nicht verständlich / schlüssig.
Aber im Zweifelsall eher vorsichtig als cool – und wenn es nur aus Respekt gegenüber den Ärzten „an vorderster Front“ ist.
Schauen wir, diese Zeit positiv für uns zu nutzen und uns gesund zu halten, damit wir die Anforderungen „nach Corona“ gut meistern können
Schauen wir, unsere Alten zu schützen.
Schauen wir, was Corona gesellschaftlich, psychologisch und ökologisch bringen wird.

Von: luk

Bezirk: Burggrafenamt