Deutsche Kinder an deutschen Schulen oft in der Unterzahl

Schulstreit in Bozen: So kann Immersion nicht funktionieren

Freitag, 17. März 2023 | 20:49 Uhr
Update

Bozen – Obwohl die deutschsprachige Bevölkerung in Bozen nur 20 Prozent ausmacht, sind 55 Prozent der Bozner Kinder für das kommende Schuljahr in die erste Grundschulklasse einer deutschen Schule eingeschrieben worden – ein Schuss, der für alle nach hinten gehen könnte.

Italienischsprachige Familien oder solche mit Migrationshintergrund schreiben ihre Kinder in die deutsche Schule ein und hoffen, dass sie im Unterricht und im Austausch mit Gleichaltrigen die deutsche Sprache lernen. Doch eine gute Immersion funktioniert nur, wenn die Zahl der Nicht-Muttersprachler in der Klasse die Marke von 30 Prozent nicht überschreitet.

Derzeit verhält es sich in vielen Fällen oft nahezu umgekehrt. Während im Jahr 2013 in den deutschen Schulen in Gries rund 48 Prozent der Kinder deutscher Muttersprache waren, ist der Anteil im Jahr 2023 auf 36 gesunken. Das bedeutet: Für fast zwei Drittel der Schüler ist Deutsch nicht die erste Sprache.

Das sind nur einige Daten, die bei einem Treffen zwischen den Leitern deutscher Schulen mit Stadträtin Johanna Ramoser am Donnerstag besprochen wurden, berichtet die italienische Tageszeitung Alto Adige. Laut der Stadträtin ist Deutsch an der Goethe-Schule, in Gries und in Haslach nur für 30 bis 40 Prozent der Kinder die Muttersprache. In erster Linie gehe es bei der Diskussion nicht um ethnische Fragen, sondern um Sprachkompetenz und um die Qualität des Unterrichts.

Den Schulleitern zufolge muss die Politik eine Lösung finden. Derzeit darf keine Schule ein Kind ablehnen. Das Gesetz sieht zwar seit Jahren eine paritätische Kommission vor, die aus jeweils einem Experten der beiden Schulintendanzen besteht. Doch die Kommission wurde nie ins Amt eingesetzt. Die Experten könnten laut den Schulen wenigstens über Grenzfälle entscheiden.

Grüne: Schulstreit in Bozen ist ein Ruf nach der mehrsprachigen Schule

Ramoser hat wieder die die Eingangstests als Lösung aufs Tapet gebracht. Darauf ist auch auf politischer Ebene ein Schulstreit entbrannt, zu dem die Landtagsabgeordneten der Grünen Stellung nehmen.

Hintergrund sei der Wunsch vieler Familien, ihre Kinder mehrsprachig aufwachsen zu lassen. Viele Eltern rechnen sich dadurch bessere Lebenschancen für ihre Kinder aus. Elternvertretungen würden laut den Grünen seit vielen Jahren auf diesen gesellschaftlichen Wunsch aufmerksam machen. „Die Regierungsmehrheit im Lande aber versperrt sich diesem Wunsch vehement und mit großer Engstirnigkeit“, so die grüne Landtagsabgeordnete Brigitte Foppa.

Sie hat schon 2014 einen Gesetzentwurf in den Landtag gebracht, der ein mehrsprachiges Zusatzangebot an Schulen vorsieht, wenn ein Minimum an Einschreibungen zustande kommt (14 für den Kindergarten, 15 für die restlichen Schulstufen). „Der Gesetzentwurf ist im Einklang mit Artikel 19 des Autonomiestatuts, und er würde eine echte Lösung darstellen“, ist Foppa überzeugt. Er würde die Praxis beenden, die dazu führt, dass Kinder in eine für sie oft nur schwer verständliche Welt geworfen werden, und die die gesamte Thematik und Problematik letztlich auf Lehrpersonen abwälzt, indem so getan wird, als ob es das Bedürfnis nach Mehrsprachigkeit nicht gäbe.

„Wenn das Bedürfnis nach Mehrsprachigkeit ignoriert wird, kommt es am Ende zur ‚selbstgebastelten‘ mehrsprachigen Schule mit Stress für alle. Stattdessen braucht es mehrsprachige Konzepte, die vor Ort als Projekt entstehen, und in denen alle Beteiligten ihre Rolle haben. Ein systemisches Problem braucht auch eine systemische Lösung. Südtirol ist reif für ein mehrsprachiges Zusatzangebot in der Schule. Das ist der Ruf, der derzeit aus den Schulen in Bozen zu hören wäre“, schließt Brigitte Foppa.

Freiheitliche: „Sprachstandtests an Schulen sind überfällig“

Die Freiheitlichen bekräftigen hingegen ihre jahrelange Forderung nach Einführung verpflichtender Sprachtests an den deutschen Grundschulen. Nur damit könne Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache erfolgreich Spracherwerb und Integration ermöglicht und gleichzeitig ein Absinken des allgemeinen Unterrichtsniveaus verhindert werden.

„Der seit Jahren steigende Anteil von Kindern mit unzureichenden Sprachkenntnissen an deutschen Schulen führt vor allem in unseren Ballungszentren dazu, dass viele Kinder dem Unterricht kaum oder nur teilweise folgen können. Das Konsequenz ist ein sinkendes Unterrichtsniveau zum Schaden der Kinder deutscher Muttersprache“, so der freiheitliche Vizeobmann Otto Mahlknecht in einer Aussendung.

„Um dieser negativen Entwicklung entgegenzusteuern, müssen die Sprachkenntnisse von Nichtmuttersprachlern bereits vor Schuleintritt bzw. Einteilung der Klassen erhoben werden. Wir Freiheitliche fordern deshalb schon seit Jahren die Einführung von standardisierten Sprachfeststellungstests um sicherzustellen, dass der Anteil von Schülern mit keinen oder sehr eingeschränkten Sprachkenntnissen ein verträgliches Maß – im besten Fall 20 Prozent – nicht überschreitet“, so Mahlknecht.

„Schüler mit niedrigem Sprachniveau müssen im Sinne eines raschen Spracherwerbs und damit guten Integration als geschlossene Gruppe von Fachpersonal gezielt gefördert werden. Falls insgesamt zu wenige Kinder deutscher Muttersprache und auch jener mit äquivalenter Sprachbeherrschung eingeschrieben sind, müssen in letzter Konsequenz auch Klassen gebildet werden, in denen nur Nichtmuttersprachler sitzen, die dann ihrem Sprachniveau entsprechend gefördert werden, ehe sie in die Regelklasse übertreten können“, so die Freiheitlichen abschließend.

Team K fordert mehrsprachige Kindergärten

Die Möglichkeit, unseren Kindern von klein auf mehrsprachigen Unterricht anzubieten, sollte zur Regel werden, findet unterdessen das Team K im Bozner Gemeinderat. Die Bewegung hat dort einen Beschlussantrag eingebracht, um eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die ein Konzept für die Einführung von zweisprachigen Klassen in den städtischen Kindergärten ausarbeitet und die Ergebnisse der zuständigen Gemeinde- und Landesverwaltung vorlegt.

Familien würden vermehrt nach einer frühen mehrsprachigen Erziehung fragen. Die Behörden in Südtirol könnten noch viel für den Ausbau der zwei- und mehrsprachigen Erziehung tun, so das Team K. Der erneute Vorschlag der SVP, Aufnahmetests an deutschen Schulen einzuführen, sei eine weitere plumpe Verdrehung des Problems: Natürlich müsse das Recht auf muttersprachlichen Unterricht gewährleistet sein. Doch das Team K setzt sich für die Einführung von zweisprachigen Schulen als zusätzliches Bildungsangebot zum bestehenden ein.

“Es führt kein Weg daran vorbei: Das derzeitige getrennte Schulsystem hat versagt, ein angemessenes Erlernen von Italienisch und Deutsch zu gewährleisten. Durch diese Trennung treffen wir uns nicht, wir reden nicht miteinander, und wenn wir getrennt aufwachsen, ist es schwieriger, das in der Schule Gelernte in den Alltag zu übertragen”, argumentieren die Gemeinderäte Matthias Cologna und Thomas Brancaglion.

Sie erklären: “Ähnlich wie in Meran, wo der Antrag von Gemeinderätin Sabine Kiem fast einstimmig – auch von der SVP – angenommen wurde, werden wir auch in Bozen einen Beschlussantrag einbringen, der zumindest die Einrichtung einer Arbeitsgruppe für mehrsprachige Kindergärten fordert. Wir sind uns bewusst, dass die Zuständigkeit für die Kindergartenpädagogik nicht bei der Gemeinde liegt – deshalb fordern wir, dass die Ergebnisse der Arbeitsgruppe auch den zuständigen Landesämtern vorgelegt werden – aber in Anbetracht der Tatsache, dass die Verwaltung der Schulen und ein Teil der damit verbundenen Kosten von der Gemeinde getragen werden, halten wir die Zeit für gekommen, dieses Thema anzugehen.”

Grundsätzlich sei geplant, in den italienisch- und deutschsprachigen Kindergärten eine oder mehrere Klassen mit gleichberechtigtem Unterricht in beiden Sprachen einzurichten, wenn dies für mindestens 15 eingeschriebene Schülern verlangt wird. Artikel 19 des Autonomiestatuts, der das Recht auf muttersprachlichen Unterricht garantiert, werde dadurch nicht angetastet.

Plattform Heimat in der SVP: Volle Rückendeckung für Stadträtin Ramoser

Die Bozner Stadträtin Johanna Ramoser hat kürzlich ein Thema angesprochen, das immer mehr in den Stadtgemeinden und den größeren Gemeinden Südtirols in den Vordergrund rückt, aber an sich nichts Neues ist: Zunehmend wird die deutschsprachige Schule mehrheitlich von Kindern nichtdeutscher Herkunft besucht und die Zahl der Kinder mit Deutsch als Muttersprache rückt immer mehr in den Hintergrund.

Dies sollte schwer zu denken geben, ist die deutschsprachige Schule neben der ladinischsprachigen doch eine Errungenschaft der Autonomie, um die Sprachminderheiten in Südtirol zu schützen und diese Minderheitensprachen im Staat Italien nicht aussterben zu lassen. So manch politisches Kräftchen im Land wittert in dieser Debatte Morgenluft und würde so mir nichts dir nichts den Minderheitenschutz einfach vom Tisch fegen.

Die Basis unserer Grund- und Mittelschulen sollte grundsätzlich nicht für fragliche Sprachexperimente herhalten müssen, schon gar nicht in Bezirken, in denen der Erwerb der deutschen Muttersprache von Grund auf gefährdet ist.

Gleichzeitig gibt es auch zu denken im Hinblick auf die Organisation des Unterrichts. Deutsch als Erstsprache zu unterrichten ist nicht dasselbe, wie Deutsch als Zweitsprache zu unterrichten. So wie es scheint, ist unser Schulsystem nicht dafür gerüstet, beiden Ansprüchen gerecht zu werden. Lehrpersonen klagen seit Jahren über Überlastung und fehlende Ressourcen und darüber, dass sie letztendlich unter diesen Voraussetzungen keinem Kind mehr gerecht werden können.

Über das Einführen von Sprachtests kann man streiten. Die Plattform Heimat in der SVP unterstützt aber auf jeden Fall den Appell von Johanna Ramoser, hier genauer hinzuschauen.

 

Von: mk

Bezirk: Bozen