Von: luk
Innsbruck – Die steinzeitliche Besiedlungs- und Salzbergbaugeschichte im Alpenraum ist bis heute nicht vollständig geklärt. Ebenfalls fehlen oftmals belastbare Daten zu Umwelt- und Klimaveränderungen oder meteorologischen sowie geologischen Extremereignissen der damaligen Zeit, um Umwelt-Mensch-Umwelt- Wechselwirkungen zu verstehen. Ein Forscher*innen-Team der Universität Innsbruck, des Naturhistorischen Museums Wien, des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ Potsdam und der Universität Bern hat nun erstmals mithilfe modernster Methoden Bohrkerne mit einer Rekordlänge von 51 Metern aus dem Hallstätter See entnommen und gewinnt dadurch einzigartige Einblicke in die Entwicklung einer der ältesten Kulturlandschaften der Welt von den steinzeitlichen Anfängen bis heute. Die 6-wöchige Bohrkampagne wurde heute erfolgreich beendet.
Das Projekt „Hipercorig Hallstatt History“ (H3) verfolgt das Ziel, die komplette Sedimentabfolge im Hallstätter See, die sich seit dem Rückzug des Traun-Gletschers im See abgelagert hat, zu erbohren. Dank des neu entwickelten Bohrsystems Hipercorig konnte die bisher längste zusammenhängende Sedimentabfolge zu Tage gefördert werden, die den Forscher*innen bisher unerreichte Einblicke in die prähistorische Vergangenheit der UNESCO-Weltkulturerbe-Region Hallstatt – Dachstein – Salzkammergut erlaubt. Denn dank dieser Bohrkerne wird es möglich sein, festzustellen, wann der Mensch das erste Mal im Inneren des Salzkammerguts siedelte, begann, seine Umwelt zu beeinflussen und Salz zu produzieren. 400 Meter über dem Hallstätter See liegt eine der wichtigsten archäologischen Fundlandschaften Europas. Bereits vor über 3.500 Jahren bauten Bergleute am Hallstätter Salzberg Steinsalz in nahezu industriellem Ausmaß ab.
Älteste Kulturlandschaft der Welt
Der Fundort Hallstatt in Oberösterreich ist in der archäologischen Welt vor allem durch Funde aus einem Gräberfeld der älteren Eisenzeit berühmt, die Hallstatt namensgebend für eine Epoche in ganz Europa werden ließen. „Neben dem Gräberfeld mit seinen außergewöhnlich reichen Grabbeigaben sind inzwischen auch die Funde aus den prähistorischen Bergwerken weltweit bekannt, die Dank der Erhaltungsbedingungen im Salzberg ein außergewöhnlich breites Spektrum umfassen“, sagt der Archäologe Hans Reschreiter von der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien. „Durch mindestens 7.000 Jahre Salzproduktion, von der Steinzeit bis heute, entstand rund um den Hallstätter Salzberg die älteste Kulturlandschaft der Welt, in der immer noch produziert wird. Diese einzigarte Salzgeschichte wird seit über 100 Jahren vom NHM Wien in Kooperation mit der Salinen Austria AG und der Salzwelten GmbH erforscht und vermittelt“, erklärt Dr. Katrin Vohland, Generaldirektorin des NHM Wien. „Kaum ein Unternehmen weltweit kann eine derart weit zurückreichende Geschichte aufweisen. Es ist ein Balanceakt zwischen Tradition und Innovation, den die Salinen Austria AG als einziger Salzhersteller Österreichs und zugleich wichtiger Player am internationalen Salzmarkt heute besser denn je meistert“, freut sich Mag. Dr. Peter Untersperger, Vorstandsvorsitzender der Salinen Austria AG.
Grenzen der Erkenntnis
„Wann genau und unter welchen Umweltbedingungen der Mensch das erste Mal im Inneren Salzkammergut siedelte, begann, seine Umwelt zu beeinflussen und Salz zu produzieren, ist aber aufgrund der zeitlich nicht kontinuierlich durchgehenden archäologischen Funde nicht gänzlich verstanden“, sagt Dr. Kerstin Kowarik vom NHM Wien. Sie leitete bereits mehrere interdisziplinäre Forschungsprojekte (z.B. das durch ÖAW und Freunde NHM geförderte Facealps-Projekt), bei denen unter anderem auch das natürliche Umweltarchiv der Sedimentablagerungen des Hallstätter Sees zum ersten Mal erforscht wurden. „Dabei wurden erstmals mehrere große historische Hangrutsche in den See hinein nachgewiesen“, erklärt Projektpartner Prof. Achim Brauer vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam. „Allerdings sind die bisher mit den üblichen Methoden gewonnen Kerne max. 15 Meter lang und umfassen lediglich einen Zeitraum von 2.350 Jahren“, ergänzt die Archäologin und Mensch-Umwelt-Forscherin.
Archive unter Wasser: Sedimente als Fenster in die Vergangenheit
„Die Erkenntnisse aus diesen früheren Bohrung haben aber auch gezeigt, dass die einzelnen Sediment-Schichten, die sich Jahr für Jahr am Seegrund des Hallstätter Sees abgelagert haben, eine beinahe kontinuierliche Sedimentabfolge aufbauen, welche auf Grund ihrer hohen Sedimentationsrate ein für den inner-alpinen Raum einzigartiges, zeitlich extrem hochaufgelöstes Archiv vergangener klimatischer und ökologischer Bedingungen, Mensch-Umwelt-Beziehungen und Naturereignisse darstellt“, schwärmt der Gesamtleiter des Projekts, Prof. Michael Strasser von der Universität Innsbruck. Der Geologe leitet die Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie am Institut für Geologie der Universität Innsbruck und die Austrian Core Facility für wissenschaftliche Bohrkernanalysen, wo die Bohrkerne in den nächsten Wochen analysiert werden. Durch das internationale Netzwerk Strassers und aufgrund des aus den Vorstudien hervorgegangenen hohen wissenschaftlichen Potentials ist es gelungen, die hochmoderne Bohr-Anlage für den Hallstätter See zu gewinnen.
Mit Bohrhammer und Echolot
Diese neuartige Bohranlage „Hipercorig“ des Fraunhofer IEG aus Bochum, die von der österreichischen Firma UWITEC GmbH entwickelt und betrieben wird, liefert den Forscher*innen nun die benötigten technischen Möglichkeiten, durchgehende Sedimentproben – also qualitativ hochwertige, kontinuierliche Bohrkerne – aus den tieferen und älteren Ablagerungssequenzen zu entnehmen. „Herzstück dieser neuen Bohranlage ist ein hydraulischer Bohrhammer an einem langen Druckschlauch, der die Vortriebskraft im Bohrloch selber über rund 70 Hammerschläge pro Sekunde erzeugt und nicht über ein langes und schweres Bohrgestänge entwickeln muss“, erklärt Bohrexperte Volker Wittig vom Fraunhofer IEG. Das im Mondsee und Bodensee getestete Bohrsystem kommt nun im Rahmen des Hipercorig-Hallstatt-History- Projekts im Hallstätter See zu seinem ersten rein wissenschaftlichen Projekt-Einsatz.
„Bei Tiefbohrprojekten dieser Art muss aber jeweils vor der Bohrung der Seeuntergrund bis auf die prognostizierte Bohrtiefe geophysikalisch durchleuchtet werden, um die Bohrung richtig planen zu können“, sagt Flavio Anselmetti, Universität Bern, Experte für wissenschaftliches Tiefbohren in Seen. So fanden im Vorfeld der Bohrungen im März 2021 reflektionsseismische Vermessungen statt. „Wir konnten mit diesen geophysikalischen Untersuchungsmethoden im Vorfeld der Bohrung den Seeuntergrund bis in eine Tiefe von ca. 50 bis 70 Meter Tiefe abbilden, und so die bestmöglichste und sicherste Bohrstelle identifizieren“, sagt Stefano Fabbri von der Universität Bern, der diese Untersuchungen leitete.
Umfassende Daten aus einem einzigartigen Umweltarchiv
Die sechswöchige Bohrkampagne startete im April 2021 und wurde heute auf einer Tiefe von 51 m erfolgreich beendet. Es werden noch geophysikalische Bohrlochvermessung durch das Deutsche GeoForschungsZentrum durchgeführt. Auch hierbei beschreitet das H3-Projekt innovatives Neuland an der Forschungsfront des internationalen wissenschaftlichen Bohrens von Seesedimenten. „Die im Rahmen des Internationalen kontinentalen Tiefbohrprogramms ICDP entwickelten Messsonden, welche beim Rausziehen des Bohrgestänges kontinuierlich physikalische Parameter der Sedimenteigenschaften wie Magnetisierbarkeit und natürliche Gamma-Strahlen erfassen, ermöglichen die Korrelation und Integration der Bohrkerne mit reflexionsseismischen Daten, um von Punkt-Messungen in der Bohrung auf die räumlichen Sedimentverteilungsmuster im ganzen See schließen zu können“, sagt Uli Harms vom GFZ Potsdam.
Mit dem Ende der Bohrung starten nun die wissenschaftlichen Analysen in Innsbruck: Die Bohrkerne werden nun an der Austrian Core Facility der Uni Innsbruck mittels Bohrkernscanning-Methoden analysiert. Danach trifft sich das ganze wissenschaftliche Team in Innsbruck, um die Sedimentkerne für die unterschiedlichen Analysemethoden zu beproben und mittels Radiokarbon-Methoden aus den darin enthaltenen Blattresten zu datieren. Diese Daten werden es den Forscher*innen in der Folge ermöglichen, das einzigartige Umweltarchiv des Hallstätter Sees zu entschlüsseln und es im Hinblick auf archäologische und auf Mensch-Umwelt-Interaktionen betreffende Fragestellungen erforschen zu können.
Interdisziplinäre und internationale Forschung
Ein derartig komplexes und wissenschaftlich wie technisch anspruchsvolles Projekt ist nur unter der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und Institutionen möglich. Das sechsköpfige Leitungsteam mit Expert*innen ausführenden wissenschaftlichen Institutionen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz bringt Expertise von Archäologie bis Paläoklimatologie zusammen:
M. Strasser (Gesamtleitung, Sedimentgeologie und Naturgefahren, Univ. Innsbruck); K. Kowarik (Human Impact & Archäologie, NHM Wien), H. Reschreiter (Archäologie, NHM Wien), A. Brauer (Klimadynamik und Landschaftsentwicklung, GFZ Potsdam), F. Anselmetti und S. Fabbri (Quartärgeologie und Paläoklimatologie, Univ. Bern).
Das Projekt wird durch eine Vielzahl an Institutionen finanziell und infrastrukturell unterstützt: Die Österreichischen Bundesforste, in deren Besitz sich der Hallstätter See befindet, die Österreichische Akademie der Wissenschaften, die Universität Innsbruck, die Freunde des NHM Wien, die Salinen Austria AG, die Salzwelten GmbH, die Gemeinden Hallstatt und Obertraun, sowie das GFZ, Fraunhofer IEG und die Firma UWITEC GmbH.