Von: ao
Bozen – „Die Zeit, in der ein Kind medienfrei aufwachsen kann ist kostbar, denn es sind nur wenige Jahre“: Daran, dass Kinder die Welt so lange, wie möglich mit allen Sinnen erfahren sollen, ließ Manuel Oberkalmsteiner bei der Vortragsreihe des Katholischen Familienverbandes Südtirol (KFS) keinen Zweifel. Genau so klar machte er aber: Die digitalen Medien sind für Jugendliche wie Leuchttürme auf der „schweren See der Pubertät“. Sie helfen ihnen, die Welt zu verstehen und bieten einen erwachsenenfreien Raum, den sie für ihre Entwicklung brauchen.
Die Vortragsreihe „Generation online. Wie unsere Kinder die Medien nutzen“ machte interessierte Eltern und Erziehende in der vergangenen Woche vor allem auf eines aufmerksam: Für Kinder ist es völlig normal, immer mit der Welt und ihren Freunden verbunden zu sein – egal, ob online oder offline. Referent Manuel Oberkalmsteiner hat in der vergangenen Woche zwischen Vorträgen in Nals, Toblach, Laas, Seis und Brixen einige Kilometer zurückgelegt und traf auf etwa 300 Eltern und Erziehende aus allen Bezirken des Landes. „Als Erziehende haben wir oft Angst, die Kontrolle zu verlieren. Tatsächlich sind es aber die Erwachsenen, die momentan sehr freigiebig mit persönlichen Daten umgehen“, schilderte er seinen Zuhörern. „Kinder sind zum Teil fitter und reflektierter als wir – gerade, was die Mediennutzung anbelangt.“
Erwachsenenfreie Zonen
Digitale Medien sind die Spielplätze der heutigen Generation. Mittendrin zwischen dem Drang nach Selbstständigkeit und der Abhängigkeit von den Eltern, brauchen Jugendliche solche erwachsenenfreien und kommerzfreien Zonen. Dort können sie sich mit Gleichaltrigen vernetzen, ihre Leidenschaft für bestimmte Interessen mit Gleichgesinnten weltweit teilen, sich Informationen holen, wann, wo und wie sie wollen, sie erfahren Bestätigung und Anerkennung und lernen, Grenzen auszutesten. Genauso, wie sie Wissen konsumieren, können sie selbst ihr Wissen auch teilen.
Wie überschminke ich meine Pickel? Wie flechte ich meine Haare? Wie wird das neue Videospiel gespielt und wie komme ich bei meiner Clique am besten an? Das sind die Probleme vieler junger Mädchen und Jungs. Früher hingen die Vorbilder als Poster an den Wänden und die Antworten auf brennende Fragen las man in der „Bravo“. Die Stars von heute heißen Gronkh, LeFloid oder Bibi von „BibisBeautyPalace“ und sind im Internet auf YouTube und Co. zu finden. Sie sind wie große Schwestern oder Brüder die die Kinder und Jugendlichen beim Erwachsenwerden begleiten. „Viele Eltern mögen verständnislos reagieren, wenn sie sich die YouTube-Videos dieser Social-Media-Stars anschauen“, weiß Oberkalmsteiner. Dort filmt sich Gronkh, wie er ein Videospiel spielt und kommentiert. Bibi sitzt in einem ganz normalen Zimmer und beantwortet Fragen ihrer Abonnenten, wie es eben auch eine große Schwester tun würde oder sie stellt ein neues Beauty-Produkt vor. „Die Klick-Anzahl spricht eine ganz deutliche Sprache: An die 12 Millionen Mal wurden manche Videos auf Bibis Kanal angesehen. Von solchen Einschaltquoten können Fernsehsender nur träumen. Im Vergleich: Ein erfolgreicher ,Tatort‘ kommt auf eine Reichweite von ‚nur‘ etwa 9 Millionen Zuschauern.“
Vertrauensbasis aufbauen und Kinder begleiten
Für Eltern sei gerade YouTube eine gute Gelegenheit ins Gespräch zu kommen, erklärte der Medienexperte: „Fragt man Kinder, welche YouTube-Stars ihnen gefallen, prasselt es aus ihnen heraus und man merkt: Kinder sind oft froh, mit Erwachsenen über ihre Interessen und über ihre Online-Aktivität reden zu können. Dieses Interesse ist enorm wichtig. Wenn Kinder merken, dass man mit den Eltern durchaus über Snapchat, Instagram und Co. reden kann, desto eher werden sie auch zu ihnen kommen, wenn ihnen im Internet etwas Unangenehmes passiert. Dieses Interesse ist enorm wichtig. Damit eine gute Vertrauensbasis entsteht, sollten Eltern ihre Kinder im Umgang mit digitalen Medien von Beginn an begleiten. Dabei gilt: Je jünger die Kinder, desto mehr Begleitung ist nötig. Wenn ich meinem Kind ein Smartphone kaufe und erst ein Jahr später Regeln vorgebe, wird es dafür zu spät sein.“
Oberkalmsteiners Empfehlung: Medienzeiten einzuführen, das Wlan abends auszuschalten und Kindern das Smartphone vor dem Schlafengehen abzunehmen. Gerade beim Einschlafen oder während der Hausaufgaben sei Ablenkung durch das Smartphone ein großes Problem. „Das Internet kann man nicht fertig lesen. Es bietet ständig neue Informationen. Davon fühlen sich viele Kinder abgelenkt und sie sind in ihrer Entwicklung noch nicht soweit, sich selbst zu regulieren – das ist Aufgabe der Erwachsenen.“ Außerdem: Anstatt die Aktivität auf sozialen Netzwerken, wie etwa Facebook zu verbieten, können Eltern auch mit ihren Kindern ein Profil erstellen und die vielen Möglichkeiten und Funktionen gemeinsam entdecken.“
Eltern haben Vorbildfunktion
„Wir dürfen uns nicht wundern, dass das Smartphone von Kindern als extrem spannendes und wichtiges Gerät wahrgenommen wird“, erklärte Oberkalmsteiner. „Schon früh lernt ein Kind, dass es da ein Gerät gibt, das Mama und Papa ganz oft verwenden. Sie sprechen hinein, sie schauen es an und manchmal ist das Gerät in der Wahrnehmung des Kindes sogar wichtiger als es selbst, wenn es etwa ruhig sein muss, wenn Mama oder Papa telefonieren.“ Eltern haben hier Vorbildfunktion und müssen sich dessen stets bewusst sein.