Niedrige Akademikerquote und hohen Temperaturschwankungen

Lebensqualität: „Statistiken mit Vorsicht zu genießen“

Dienstag, 13. Dezember 2016 | 18:00 Uhr

Bozen – Im aktuellen Ranking der Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ landet Südtirol im Bereich Lebensqualität auf Platz sieben. Bereits fünfmal konnte sich Südtirol in den vergangenen zehn Jahre über den ersten Platz freuen. SVP-Fraktionsvorsitzender Dieter Steger warnt vor falschen Schlüssen: „Statistiken sind immer mit Vorsicht zu genießen“.

Die diesjährige Studie zur Lebensqualität basiert auf Kriterien, die die Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ für seine Bewertung überarbeitet hatte. Südtirols Stärken sind die hohe Beschäftigungsquote und die erfreulich niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Zu den Schwachstellen gehören die niedrige Akademikerquote in unserem Land und die natürlichen Temperaturschwankungen, denen wir ausgesetzt sind.

“Sole-Ranking: Parameter und Indikatoren sind zu hinterfragen”

Zu einem Blick hinter die Kulissen hat Landeshauptmann Arno Kompatscher in Bezug auf die Erhebung der Lebensqualität der Wirtschaftszeitung “Il Sole 24 Ore” aufgerufen.

Im jährlichen Ranking der Wirtschaftszeitung “Il Sole 24 Ore” zur Lebensqualität in den 110 Provinzen Italiens ist Südtirol vom ersten auf den siebten Platz abgerutscht. Ausschlaggebend für den Abstieg waren einige Parameter, “die es aber zu hinterfragen gilt”, bemerkt Landeshauptmann Kompatscher auch im Namen seiner Kollegen und Kolleginnen in der Landesregierung, denn “die Qualität der Statistik ergibt sich aus der Treffsicherheit der Indikatoren”.

Was die Ausgaben im Sozialbereich angeht, so nimmt Südtirol in der Studie von “Il Sole 24 Ore” den 102. Platz ein. Berücksichtigt werden dabei die Prokopf-Ausgabe für Maßnahmen zugunsten von Minderjährigen, von alten und armen Menschen. Dieser Vergleich stimmt natürlich nicht, meldet sich die zuständige Landesrätin Martha Stocker zu Wort. Der Fehler liege darin, dass sich die Prokopf-Ausgabe auf die Gemeinden beziehe, in Südtirol die Sozialleistungen fast ausschließlich aus dem Landeshaushalt und nicht von den Gemeinden bestritten werden. Im vergangenen Jahr 2015 betrugen diese Ausgaben insgesamt  410.356.879 Euro, was einer Prokopf-Ausgabe von 786,42 Euro auf Landesebene gleichkommt.

Im Bereich des Ehrenamtes, in dem Südtirol im Ranking ebenfalls nicht besonders gut abschneidet, berücksichtigt die Sole-Erhebung die 2130 ehrenamtlichen Organisationen, die im entsprechenden Landesverzeichnis eingetragen sind, nicht. Erhoben wurden nur jene ONLUS-Organisationen, die im Verzeichnis der staatlichen Agentur für Einnahmen aufscheinen. Da das Land den im Landesverzeichnis eingetragenen Vereinen und Verbänden jedoch zusätzliche Anreize biete und Weiterbildung organisiere und da eine Doppeleintragung nicht zulässig ist, sei es verständlich, dass dieses Verzeichnis nur einen Bruchteil der Eintragungen des Landesverzeichnisses aufweise, schildert Landeshauptmann Kompatscher, der für das Ehrenamt zuständig ist, die Sachlage.

In dieselbe Kerbe schlägt auch der Landesrat für Deutsche Bildung und Kultur, Philipp Achammer: “Was den Bereich Kultur und Freizeit anbelangt, bleibt unser dicht und kapillar organisiertes Vereinswesen unberücksichtigt, das mit dem bloßen Kriterium der Eintragung von ONLUS-Organisationen bei der Agentur für Einnahmen nicht erfasst werden kann. In jeder Gemeinde gibt es eine Vielzahl von Vereinen und ehrenamtlichen Organisationen, die im Vergleich des ‘Sole’ nicht aufscheinen.” Bei der Auflistung der Eintritte zu Kulturveranstaltungen blieben zudem die Besuche von Aufführungen – beispielsweise von Volksbühnen und Musikkapellen – unberücksichtigt.

Gemeinsam mit seinem italienischen und ladinischen Kollegen Florian Mussner und Christian Tommasini beklagt Landesrat Achammer auch, dass bezüglich der Lesekultur nur die Buchhandlungen gezählt würden, die Tatsache aber, dass es in jeder Gemeinde eine öffentliche Bibliothek gäbe, teilweise mit mehreren Bibliotheksstellen und überall mit hohen Entlehnungszahlen, bleibe gänzlich ausgeblendet.

Was das Bildungswesen angehe, beschränke sich das Ranking auf das Zählen akademischer Abschlüsse, beanstanden die Landesregierungsmitglieder, die Berufsbildung, die für ganz Italien vorbildhaft sei, werde nicht berücksichtigt.

Steger findet bestimmte Punkte absurd

„Es ist geradezu absurd, dass uns die niedrige Akademikerquote als Schwäche ausgelegt wird. Gerade unser differenziertes Bildungssystem orientiert sich an erfolgreichen Staaten wie Deutschland, Österreich und die Schweiz. In all diesen Ländern und besonders in Südtirol beweist eine niedrige Arbeitslosenrate und ein relativ hohes Einkommen, dass unser Bildungssystem so falsch nicht sein kann. Italien täte gut daran nicht so krampfhaft an der Akademikerquote als Kriterium für Lebensqualität festzuhalten“, so der SVP-Fraktionsvorsitzende Dieter Steger. Er ist der Meinung, dass gerade eine so renommierte Wirtschaftszeitung die Daten etwas differenzierter betrachten sollte. So werde Südtirol nämlich zu Unrecht für sein vorbildliches Bildungssystem „bestraft“, welches unbestritten zu den Besten in Italien zähle und mit seiner guten Berufsbildung sehr viel erreicht habe. „Im gleichen Ranking, das uns bei er Akademikeranzahl als Schlusslicht anführt, belegen wir nämlich Platz eins bei der Beschäftigungsquote und bei der Jugendarbeitslosigkeit. Dies allein zeigt schon, dass die vorliegenden Zahlen auf jeden Fall genauer betrachtet, analysiert und auch erklärt werden müssen“, bemerkt Steger. So entstehe nämlich ein völlig falsches Bild. Steger betont: „Hochschulbildung ist nicht alles! Gut ausgebildete Facharbeiter tragen zur Lebensqualität wesentlich mehr bei als Akademiker, die am realen Arbeitsmarkt keinen Job bekommen oder in einem unterbezahlten Beschäftigungs-verhältnis arbeiten.“

Auch andere Kriterien dieser Studie bringen Steger zum Schmunzeln. Wenn beispielsweise Temperaturschwankungen als Kriterium zur Bewertung der Lebensqualität herangezogen werden, wird Südtirol als alpines Land und nördlichste Region Italiens immer schlechter abschneiden als andere. Daher müssten solche und ähnliche Statistiken immer mit Vorsicht und unter Berücksichtigung der Begleitfaktoren und Rahmenbedingungen gelesen werden.

Von: mk

Bezirk: Bozen